Essen. Die französisch-georgische Pianistin Khatia Buniatishvili ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen unserer Zeit. Deutsche Fans lieben sie.

Die französisch-georgische Pianistin Khatia Buniatishvili verzaubert seit vielen Jahren ihre Fans am Klavier. Die 37-Jährige hat sich als eine der bedeutendsten Künstlerinnen unserer Zeit etabliert. In ihrer Heimat und auf den großen Bühnen der Welt begeistert sie das Publikum neben ihren Liedern mit ihrem einzigartigen Charisma. Kürzlich hat sie ihr erstes Mozart-Album veröffentlicht. Unsere Sonntagszeitung hat mit Buniatishvili gesprochen.

Frau Buniatishvili, Sie haben das Klavierspiel mit drei Jahren entdeckt. Da spielen andere Kinder mit Spielzeug. Wie war es bei Ihnen?

Khatia Buniatishvili: Meine Mutter hat mir davon erzählt. Ich habe mit drei Jahren angefangen, weil sie es so wollte. Sie hat immer Musik geliebt und wollte auch selbst Musik machen, hat dann aber einen anderen Weg eingeschlagen. Meine Schwester und ich wollten beide etwas mit Kunst machen. Aber ich wurde nicht gezwungen, Klavier zu spielen; meine Mutter hat mich spielerisch herangeführt, mit viel Freude.

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Ihr erstes Konzert haben Sie mit sechs Jahren gegeben. Wie geht das in so jungem Alter?

Das kam einfach so, und plötzlich wurde alles professionell. Auf der Bühne spürte ich auf einmal eine gewisse Verantwortung. Ich fand schnell die Balance und ein Gefühl dafür, wie ich mit dem Publikum und dem Klavier umgehen wollte, und wusste: Das möchte ich weitermachen.

Sie waren als Kind schon daran gewöhnt, allein zu sein. Das klingt sehr traurig.

Für mich war das nicht traurig. Ich habe es immer geliebt zu lesen, das war meine eigene Welt. Ich wollte immer die Hauptfigur in einem Buch sein. Natürlich wollte ich auch mit anderen Kindern spielen, aber wenn du allein am Klavier sitzt, dann weißt du, was Einsamkeit ist. Es war für mich wirklich nicht traurig, sondern eine Möglichkeit, meine Fantasie weiterzuentwickeln. Das war einfach mein Naturell. Es gibt Kinder, die viel Kontakt zu anderen Kindern brauchen, und andere, die mehr Fantasie brauchen. Für mich war es zum Glück eine gute Erfahrung.

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Ist der Applaus des Publikums heute gewissermaßen ein später Ausgleich für einsame Momente früher?

Der Applaus des Publikums hat damit gar nichts zu tun. Einsamkeit hat Platz in meinem Inneren, und der Kontakt zu Menschen ist etwas völlig anderes. Der Applaus ist das Dankeschön des Publikums. Auch ich sage den Leuten danke, weil ich die Energie des Publikums spüre. Diese Stille, bevor ich zu spielen beginne, ist ein unglaublicher Moment. Dann kommt die Musik, und wir sind durch Emotionen und Klänge vereint. Die Zeit, die Achtung und die Energie des Publikums zu bekommen, bedeutet mir viel. Ich gebe auf der Bühne all meine Emotionen und bin sehr dankbar dafür.

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Sind Sie dann überrascht, dass heute kaum noch Briefe geschrieben werden und fast nur noch die digitale Welt zählt?

Zuerst war ich überrascht, jetzt habe ich mich daran gewöhnt. Ich bin ein nostalgischer Mensch und mag vieles, was früher war. Ich schätze es, wenn Menschen sich Zeit füreinander nehmen. Ich mag es, wenn man das Leben bewusst erlebt. Wenn wir etwas fotografieren, machen wir nur eine Kopie dessen, was wir gerade leben. Wir erleben es dadurch nicht vollständig. Der Fokus liegt nur auf der Kopie, die für das Internet und die sozialen Medien gedacht ist. Ich versuche, die Momente im Leben wirklich zu genießen. Ich habe ein schönes Beispiel von meiner Tochter Charlotte (kam 2023 zur Welt, Anm. d. Red.).

Erzählen Sie gerne…

Wenn die Kleine etwas Süßes macht, überlege ich sofort: „Soll ich davon ein Foto oder ein Video machen?“ Aber dann möchte ich diesen Augenblick völlig mit ihr erleben und spüren. Ich will keine Zeit für das Foto verlieren, das würde mich in diesem Moment nur stören. Natürlich sollte man manchmal Fotos machen, um Erinnerungen festzuhalten, aber man sollte es nicht übertreiben. Es ist wichtig, dass wir lernen, das Leben wirklich zu erleben. Ich würde niemals ein Foto von Charlotte posten, weil sie das später selbst entscheiden sollte.

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Sie sind heute eine der bedeutendsten Künstlerinnen unserer Zeit. Was bedeutet Ihnen das?

Es ist angenehm. Ich komme aus Georgien und bin in den 1990er Jahren dort aufgewachsen. Natürlich habe ich auch von einer großen Karriere geträumt, aber es war damals eine schwere Zeit mit viel Kriminalität und Krieg. Die finanzielle Lage war für die meisten Georgier einfach schrecklich. Ich erinnere mich, dass es oft weder Strom noch Wasser gab. Trotzdem wusste ich, dass ich eine große Karriere machen würde – obwohl Karriere nicht das Wichtigste für mich war. Mein Freiheitsgedanke stand über allem. Und wenn man diese innere Freiheit von Anfang an besitzt, ist man frei, auch wenn man keine Karriere macht. Es gibt Menschen, die Karriere gemacht haben und sich dennoch nicht frei fühlen.

Khatia Buniatishvili gilt als Ausnahmetalent.
Khatia Buniatishvili gilt als Ausnahmetalent. © picture alliance / SvenSimon | Elmar Kremser/SVEN SIMON

„Die Beyoncé des Klaviers“, schrieb mal France 2 über Sie. Ein schöner Vergleich?

Das ist ein schönes Kompliment im Sinne eines sexy Feminismus. (lacht) Es gefällt mir, weil viele Menschen Beyoncé mögen. Ihre Musik ist nicht das, was ich normalerweise höre, aber ich sehe es als Kompliment. Ich definiere mich nicht selbst; ich lasse andere Menschen denken, was sie möchten. Es gibt verschiedene Auffassungen darüber, wer ich bin, und die Menschen haben die Freiheit, sich eine Meinung zu bilden. Es stört mich nicht, wenn ich Komplimente bekomme, genauso wenig stört mich Kritik. Ich habe schon in jungen Jahren gelernt, unabhängig von beidem zu sein.

Über Sie war zu lesen: „Sie spielt, was sie will und wie sie es will.“ Klingt sehr selbstbewusst.

Ich glaube, dass ich etwas Konkretes ausdrücken möchte, wenn ich die Noten von Komponisten sehe oder ihre Klänge höre. Ich spüre das, was der Komponist sagen wollte, und möchte es auf meine Weise interpretieren.

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Auf Ihrem neuen, zehnten Album beschäftigen Sie sich ausschließlich mit Wolfgang Amadeus Mozart. Warum erst jetzt?

Seit ich denken kann, liebe ich Mozart. Es war ein großes, emotionales Erlebnis, als ich mit sieben Jahren zum ersten Mal seine Musik hörte. Der musikalische Geschmack wird in der Kindheit geprägt, und bis heute liebe ich Mozart genauso wie damals. Es gibt Dinge, die sich nie ändern. Ich habe auch den Film Amadeus von Miloš Forman gesehen und mich vollkommen in diesen Film und die Hauptfigur verliebt. Mein Verständnis von Talent und Nicht-Talent ist stark durch diesen Film geprägt und hat sich tief in meinem Gedächtnis verankert. Er hat meine Sicht auf die Welt beeinflusst und lässt mich die Dinge noch heute durch die Augen meiner Kindheit betrachten. Danke an Miloš Forman.

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Ihre Mutter ist Ihre Stylistin, Ihre Schwester Gvantsa - ebenfalls Pianistin - Ihre Managerin. Sie treten außerdem gelegentlich im Duo mit ihr auf. Familie und Job sind bei Ihnen eins, oder?

Oh ja. Das ist mir sehr wichtig. Ich habe in Wien studiert und konnte damals meine Familie nicht oft sehen. Es war alles sehr teuer, und weder sie konnten zu mir kommen noch ich nach Georgien fliegen. Die Freiheit und Unabhängigkeit in Wien waren schön, aber ich brauchte den Kontakt zu meiner Familie. Also dachte ich mir: Wenn ich Karriere machen würde, dann könnten wir den engen Kontakt haben, den wir uns wünschen. Das habe ich erreicht. Auch wenn ich viel reise, bin ich meiner Familie sehr nah. Meine Mutter ist meine Heldin; sie war meine erste Musiklehrerin und hat mir gezeigt, was es bedeutet, eine starke Frau zu sein. Meine Schwester ist ebenfalls eine sehr begabte und liebevolle Frau.

Und Ihr Vater?

Nach ihm werde ich selten gefragt, das ist schade. Über meinen Vater ihn spreche ich selten, aber er hat immer vollstes Verständnis für mich gehabt. Man hört oft Schlechtes über Männer, aber mein Vater war immer sehr liebevoll und einfühlsam. Er hat Frauen immer zugehört und war für mich ein toller Mann. Die Familie ist wichtig, um geerdet zu bleiben. Echte Gefühle entstehen in einer guten Familie, und das möchte ich auch meiner Tochter beibringen. Meine Familie und Charlotte sind immer dabei, wenn ich unterwegs bin.

2023 kam Ihre Tochter Charlotte zur Welt. Soll sie auch mit drei am Klavier sitzen?

(lacht) Sie wird unbedingt selbst entscheiden, was sie im Leben machen will. Aber natürlich ist die Musik ein Teil ihres Lebens. Schon als sie in meinem Bauch war, hat sie Musik gehört, und das wird auch immer so bleiben. Meine Tochter weiß bereits, dass Mama Pianistin ist. Sie wird sicher die Musik kennenlernen, denn das bereichert einen Menschen. Sie sieht jeden Tag mein Klavier und will jetzt schon spielen. Aber es wird ihre Entscheidung sein, was sie später machen möchte. Ich werde ihr alle Möglichkeiten geben, verschiedene Dinge auszuprobieren.

Sie sagten einmal: „Es fühlt sich egoistisch an, eine Tochter zu haben.“ Warum?

Weil ich lange dachte, dass ich keine eigenen Kinder haben werde – bei dem Job, mit all den Reisen und den Dingen, die in der Welt passieren. Es gibt so viele Kinder, die keine Eltern haben. Damals fühlte ich mich schlecht bei dem Gedanken, für mein persönliches Glück ein Kind in die Welt zu setzen. Meine Lebenseinstellung war eigentlich, keine Kinder zu haben. Doch dann passierte es, und ich spürte plötzlich, dass ich das wirklich wollte. Es war ein schönes Gefühl, aber gleichzeitig auch irgendwie egoistisch, weil ich emotional etwas für mich brauchte. Eigentlich wollte ich eine gute Mutter sein, aber ich dachte immer, dass ich mich lieber auf das Klavierspielen und meine Projekte konzentrieren sollte. Jetzt bin ich so glücklich, dass Charlotte da ist.

Sie haben auch einmal gesagt: „Ich war eigentlich immer ein braves Mädchen.“

Brav vielleicht nicht, aber ich hatte immer ein starkes Verantwortungsgefühl – für meine Familie und für soziale Themen. Wenn man bemerkt, dass die Welt etwas braucht, aber nicht bei sich selbst anfängt, ändern sich nicht einmal die kleinen Dinge. Für mich war es immer wichtig, auch an diejenigen zu denken, denen es nicht so gut geht. Das kommt wahrscheinlich aus dem Chaos, das es früher in Georgien gab. Ich wünsche mir, dass meine Tochter dieses soziale Verständnis ebenfalls haben wird.

Sie haben einmal im Wald ein Konzert gegeben. Wie war das?

Es war schön. Ich hatte schon immer den Wunsch, draußen Konzerte zu spielen: im Wald oder am See. Man fühlt sich anders dabei. Im Wald war es besonders, weil die Bäume eine angenehme Atmosphäre geschaffen haben. Es war eine tolle Erfahrung.

Sie sagten einmal, Sie hätten einen „Träumer-Charakter“. Wie war das gemeint?

Ich mag es, in der Fantasie zu leben und mir Geschichten auszudenken. Ich liebe Emotionen. Mit Büchern und Geschichten kann man viel intensiver erleben. Als Kind habe ich manchmal ein Buch hinter den Notenblättern versteckt, damit niemand sah, dass ich heimlich lese. Die Passagen beim Üben waren manchmal langweilig, und ich brauchte dazu eine Geschichte.

Sie haben einmal mit Coldplay zusammengearbeitet. Wie war das?

Es war eine wunderbare Erfahrung. Chris Martin ist jemand, der stets nach neuen Klängen sucht. Das war sehr erfrischend. Er ist eine faszinierende, warmherzige Person und denkt wirklich viel über das nach, was heute in der Welt geschieht. Das ist ihm wichtig, und man merkt ihm an, dass das ehrlich ist. Er ist unglaublich talentiert. Besonders die alten Coldplay-Songs mag ich sehr. Die Zusammenarbeit mit ihm war spannend; es war kein Crossover, sondern einfach gemeinsames Musizieren.

Im Januar kommen Sie nach Deutschland. Was bedeutet das Land für Sie?

Deutschland ist für mich Beethoven, Bach und Thomas Mann. Von Anfang an wurde ich dort mit offenen Armen empfangen. Deutschland hatte ein großes Herz für mich, vielleicht mehr als andere Länder. Man hat mich immer so akzeptiert, wie ich bin. In Deutschland hat das Publikum viel gesehen und gehört, es hat einen raffinierten Geschmack. Ich fre

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