Essen. Mit Ende der Ferien fahren wieder mehr Menschen mit dem Zug. Einfach wird das für viele von ihnen nicht werden. Wo Probleme drohen.

„Die Bahn kommt“, hieß es früher in der Werbung. Das tut sie auch heute noch. Meistens jedenfalls. Man weiß nur nicht immer, wann. Das wird sich auch 2025 nicht ändern. Im Gegenteil. Bevor es irgendwann einmal besser wird, wird es erst einmal schlimmer. „So viele Baustellen hatten wir noch nie“, weiß Lothar Ebbers, Sprecher von Pro Bahn NRW.

Gibt es Beispiele?

Die größte Baustelle tangiert das Ruhrgebiet nur am Rande, den Niederrhein dafür umso mehr. Seit vergangenem November und noch bis Mitte 2026 wird die Strecke von Oberhausen über Emmerich bis in die Niederlande gar nicht oder nur eingeschränkt befahrbar sein. 80 Wochen lang Baustelle, 20 Wochen davon mit Vollsperrung. „Das ist schon eine deutliche Einschränkung“, sagt Ebbers.

Freie Fahrt für Züge gibt es nur auf Strecken ohne Baustellen. Und die werden immer seltener.
Freie Fahrt für Züge gibt es nur auf Strecken ohne Baustellen. Und die werden immer seltener. © dpa | Boris Roessler

Und im Ruhrgebiet selbst?

Essen - Duisburg, Oberhausen - Gelsenkirchen, Düsseldorf – Duisburg, beginnt Ebbers seine Aufzählung und fasst dann zusammen: „Eigentlich hat jede Strecke irgendwann im nächsten Jahr eine Vollsperrung.“ Zu völlig verschiedenen Zeiten und von unterschiedlicher Dauer. Im Idealfall aber ist das nicht ganz so schlimm, wie der Experte erklärt. Weil es für durchfahrende Fahrgäste immer noch Umleitungsmöglichkeiten gibt. „Wenn beispielsweise die linke Rheinstrecke gesperrt ist, ist die rechte offen.“ Gibt es diese Umleitungsmöglichkeiten nicht, wie etwa zwischen Hagen und Siegen oder Siegen und Köln, „dann müssen Sie riesige Umwege in Kauf nehmen“.

Sind auch touristische Fahrten betroffen?

Ja. Schwierig wird es 2025 auch für Revier-Ausflügler ins Sauerland. Drei Monate wird im Sommer die Obere Ruhrtalbahn zwischen Bestwig und Brilon-Wald gesperrt. Je nachdem, wohin man will zum Wandern oder Mountainbiken, kann es dann Probleme geben. Immerhin: Winterberg ist in dieser Zeit montags bis freitags jede Stunde und nicht nur alle 120 Minuten erreichbar.

So leer wird es durch die Streichung mehrerer Verbindungen künftig auf vielen Strecken am Abend nicht mehr sein.
So leer wird es durch die Streichung mehrerer Verbindungen künftig auf vielen Strecken am Abend nicht mehr sein. © dpa | Lando Hass

Was ist mit kurzzeitigen Sperrungen im Bahnverkehr?

Seit Mitte Juli 2024 hat die Bahn ein neues Konzept für nächtliche Baumaßnahmen. „Jede Strecke wird alle paar Wochen mal kurz gesperrt – in der Regel zwischen 21 und 5 Uhr.“ Klingt nicht dramatisch, „aber davon sind viele Abendfahrgäste betroffen“. Erschwerend kommt hinzu, sagt Ebbers, dass diese Sperrungen oft sehr kurzfristig bekannt gegeben werden. „Das ist ein System, das sowohl die Aufgabenträger, also zum Beispiel den VRR, als auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen in Schwierigkeiten bringt. Vor allem, wenn sie dann ebenfalls sehr kurzfristig Schienenersatzverkehr bestellen müssen.“

Gibt es eine zusammenfassende Einschätzung?

„Ich beobachte die Bahn jetzt seit 60 Jahren“, sagt Ebbers. „Aber so etwas habe ich noch nie erlebt.“ Eine Baustelle an einer Strecke kann man ausgleichen. „Bei zwei Baustellen ist diese Strecke in der Regel nicht mehr normal zu fahren. Dann geht auch die Nachfrage für diese Verbindung zurück.“ Hinzu kommt laut Ebbers, dass die Bahn die Fahrpläne für die Umleitungen oft sehr schlecht plane. Viele dieser Fahrpläne seien gar nicht einhaltbar, Verspätungen unvermeidbar. „Da haben Sie dann oft einen völlig ungeregelten und für die Fahrgäste unvorhersehbaren Plan.“

Lothar Ebbers beobachtet die Entwicklung bei der Bahn bereits seit Jahrzehnten.
Lothar Ebbers beobachtet die Entwicklung bei der Bahn bereits seit Jahrzehnten. © WAZ FotoPool | Gerd Wallhorn

Hängen auch die kurzfristigen Gleiswechsel in den Bahnhöfen damit zusammen?

Das tun sie. Die Informationen auf Anzeigetafeln und bei Durchsagen seien stark automatisiert, erklärt Ebbers. „Wenn sich dann plötzlich etwas verändert, kann das System nicht schnell genug reagieren.“ Die Passagiere sind oft die letzten, die das erfahren. „Ich erlebe es immer öfter, dass Fahrgäste erst ganz kurzfristig am Bahnhof über einen Wechsel des Abfahrtgleises informiert werden. „Leute, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, kommen dann zu spät zu ihrem Zug.“ Die Bahn liefere viele Informationen, sagt der Pro-Bahn-Sprecher. „Lieber wären mir weniger, die dann aber richtig sind.“ 

Helfen die vor kurzem eingeführten Notfahrpläne oder verstärken sie Probleme?

„Das ist endlich ein Mittel, um dem Fahrgast rechtzeitig klarzumachen, was fährt und was nicht“, sagt Ebbers.. Endlich sei man hingegangen, habe geschaut, wie die Personalsituation ist und gefragt: „Was könnt ihr tatsächlich hinkriegen?“ Für alles andere müsse man sich entscheiden. Gibt es einen Schienen-Ersatzverkehr oder streicht man Züge? „So hat man endlich einen kalkulierbaren Fahrplan“, fügt Ebbers hinzu. Prinzipiell also ein „richtige Maßnahme“. „Aber in Einzelfällen gibt es deutliche Einschränkungen.“

Immer wieder wird die Gleisbelegung an den Bahnhöfen kurzfristig geändert. Nicht jeder Passagier schafft es rechtzeitig bis zum richtigen Gleis.
Immer wieder wird die Gleisbelegung an den Bahnhöfen kurzfristig geändert. Nicht jeder Passagier schafft es rechtzeitig bis zum richtigen Gleis. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Welche Einschränkungen genau?

Vor allem die, dass abends ab 21 oder 22 Uhr wichtige RE-Linien nicht mehr auf der Hauptachse durch das Ruhrgebiet – also von Duisburg nach Dortmund – fahren. „Der RE 6 fällt aus und der RE 3, der über Gelsenkirchen fährt, fällt auch aus. Der RE 1 fährt weiter.“ In dem könne es dann, fürchtet Ebbers, „vor allem am Wochenende chaotische Zustände geben“. Ebenfalls sehr kritisch ist, dass auf dem RE 7 zwischen Hagen und Hamm sowie zwischen Köln und Krefeld abends dann nur noch Busse verkehren, die viel länger unterwegs sind.

Gibt es denn gar keine guten Nachrichten?

Doch. Bei der Personalsituation. Hier will Ebbers zwar noch keine Entwarnung geben. „Aber bei der Ausbildung neuer Triebwagenführer war der Hochlauf sehr groß. Im nächsten Jahr werden über 300 Menschen abschließen und über 500 neue Ausbildungen werden starten. Allerdings gehen auch 180 in den Ruhestand.“ Dennoch hat man eine „gute Bewerbersituation“. „Das liegt an der allgemeinen Konjunkturschwäche, aber auch am Stellenabbau, beispielsweise bei Thyssen-Krupp.“ Noch nicht im nächsten Jahr, aber „langfristig sehe ich ein ganz kleines Licht am Ende des Tunnels“.

Und was braucht man als Bahn-Passagier bis dahin?

Ebbers lacht: „Extrem viel Geduld und eine hohe Frusttoleranz.“

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