Essen. Seit 40 Jahren läuft „Last Christmas“ von Wham! Kaum ein anderer Song polarisiert so wie der Schmachtfetzen aus der Feder von George Michael.

Letzte Woche im Supermarkt. Abteilung Haushaltswaren. Aus dem Lautsprecher klingen die vorweihnachtlichen „Jingle Bells“ scheinbar in Endlosschleife. Den vollen Einkaufswagen vor mich hin schiebend, suche ich – schon reichlich genervt vom schier endlosen Schlangestehen an der Wursttheke – nun noch in den Regalen nach dem richtigen Badreiniger. Mein Hintermann rammt mir die Rollen seines Einkaufswagens in die Hacken. Und dann auch noch das: Während die „Jingle Bells“ endlich ausklingen, kündigt aus dem Lautsprecher das laszive Stöhnen von George Michael „Last Christmas“ an. Bitte nicht.

Es gibt in den Wochen vor Weihnachten einfach kein Entrinnen vor George Michael und Andrew Ridgeley, die in den 80er-Jahren als Duo Wham! einen Hit nach dem anderen landeten und mit eben jenem „Last Christmas“ einen Dauerbrenner hatten, der noch heute polarisiert wie nur wenige Pop-Stücke: Die einen lieben den Schmachtfetzen und können nicht genug davon kriegen. Die anderen kriegen Pickel beim Zuhören.

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Am 3. Dezember 1984, vor nunmehr 40 Jahren, kam der Song auf den Markt. Das Stück, geschrieben von George Michael, zählt zu den erfolgreichsten Weihnachts-hits überhaupt. Michael, der am 25. Dezember 2016 im Alter von nur 53 Jahren verstarb, komponierte und produzierte den Titel selbst. Im dazugehörigen Musikvideo spielt Andrew Ridgeley den neuen Freund einer Frau, der Michael im vergangenen Jahr sein Herz geschenkt hatte („Last Christmas, I gave you my heart“). Doch sie brach es, indem sie es bereits am nächsten Tag weiter verschenkte („But the very next day, you gave it away“).

80er-Jahre-Mode in verschneiter Alpenkulisse

Das legendäre Musikvideo zum Song entführt in einer verschneite Alpenkulisse – und ist an 80er-Jahre-Kitsch kaum zu überbieten. Das liegt nicht allein an den schmachtenden Blicken der Hauptfiguren, sondern auch am üppig eingesetzten Weichzeichner und an den Föhn-Frisuren, die zur damaliger Zeit angesagt waren. Das Video entstand im noblen Schweizer Wintersportort Saas Fee. Die Hütte, in der die, nun ja, Handlung spielt, ist in dem Streifen nur von außen zu sehen. Hinein kam die Dreh-Crew nämlich gar nicht, da sich im ganzen Ort niemand fand, der den Schlüssel dazu hatte. Dumm gelaufen.

So musste man die die Innenaufnahmen gezwungenermaßen im weniger romantischen Kulturzentrum von Saas Fee drehen. Die Produktionskosten beliefen sich damals auf beachtliche 60.000 Pfund Sterling. Das war aber noch verhältnismäßig wenig. Das berühmte „Thriller“-Video zu Michael Jacksons Superhit zum Beispiel lag Ende 1983 bei 500.000 Dollar.

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„Last Christmas“ wurde zahllose Male neu interpretiert, unter anderem von Künstlern wie Ariana Grande, Taylor Swift und den Darstellern aus der Fernsehserie „Glee“. Es gibt den Song auf Spanisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Schwedisch, Portugiesisch und vielen anderen Sprachen und Dialekten – wie beispielsweise Kölsch. Die Coverversionen sind nicht zu zählen, von Salsa bis Metal, von Folk bis R&B. „Last Christmas“ gehört heute fest zu den klassischen Weihnachts-Playlists und taucht immer wieder in Filmen, Serien und Werbekampagnen auf.

„Ich selbst höre kein Radio. Ich höre den Song nur gelegentlich, wenn ich einkaufen gehe oder im Taxi sitze. Dann freue ich mich drüber. Aber ich kann verstehen, dass es heikel sein kann, wenn man das Lied jeden Tag immer wieder hört“, sagte Andrew Ridgeley einmal in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.

Dabei sollte „Last Christmas“ ursprünglich gar kein Weihnachtslied werden. Die Plattenfirma von Wham! drängte aber auf die schnelle Veröffentlichung eines Weihnachtssongs. George Michael hatte zunächst einen Titel namens „Last Easter“ (Letzte Ostern) geschrieben und änderte kurzerhand den Text und den Titel des Songs. Es war eine Herausforderung für den Sänger mit dem Sonnyboy-Lächeln, ein Weihnachtslied zu komponieren, das ihn unsterblich machen würde. Er wollte sich in die Reihe großer Künstler wie Bing Crosby mit seinem „Merry Christmas“, Paul McCartney mit „Wonderful Christmas time“ oder der Band Slade mit „Merry Xmas Everybody“ einfügen.

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„Last Christmas“ ist ein Dauerbrenner und ein Phänomen, was die Beliebtheit betrifft. Am 30. November 2018 platzierte sich der Song zum 130. Mal in den deutschen Singlecharts und stellte damit einen neuen Allzeit-Rekord auf. Bis April 2023 war es der erfolgreichste Titel in der Geschichte der deutschen Singlecharts, bevor das Stück von „Roller“ von Apache 207 abgelöst wurde. Am 24. Dezember 2021 erreichte „Last Christmas“ erstmals Platz eins der deutschen Singlecharts – 37 Jahre nach seinem Debüt. Diese Leistung verdeutlicht die ungebrochene Popularität des Songs.

Auch im Vereinigten Königreich schrieb der Song Geschichte: Am 1. Januar 2021 erreichte er erstmals die Spitze der britischen Charts, 36 Jahre nach seiner ursprünglichen Veröffentlichung. Damit wurde „Last Christmas“ zur Single mit der längsten Zeitspanne bis zum ersten Platz – ein Rekord, der zuvor von Tony Christie mit „Is This The Way To Amarillo“ gehalten wurde, das 33 Jahre brauchte, um 2005 Platz eins zu erreichen.

Bei seiner Erstveröffentlichung 1984 hatte „Last Christmas“ nur Rang zwei der britischen Charts erreicht, geschlagen von „Do They Know It’s Christmas?“ des Musikprojekts Band Aid. Doch auch an diesem Song war George Michael beteiligt. Bob Geldof hatte den Song 1984 als Reaktion auf die mediale Berichterstattung über die damalige Hungersnot in Äthiopien geschrieben. Gesungen von einer ganzen Riege von Stars wie Phil Collins, George Michael, Sting, Boy George und vielen anderen, wurde er zu einem Top-Hit. Heute steht „Do They Know It’s Christmas“ übrigens scharf in der Kritik – viele finden, in dem Text würden negative Stereotype über Afrika verbreitet.

Nach George Michaels Tod stieg „Last Christmas“ erstmals in die US-amerikanischen Charts ein – 32 Jahre nach seiner Veröffentlichung. 2018 erreichte der Song dort die Top 40. „Last Christmas“ taucht Jahr für Jahr in den Download- und Airplay-Charts auf – nicht nur in England, sondern auch in Deutschland und vielen anderen Ländern. Im Jahr 2023 gelang es „Last Christmas“ schließlich erstmals, die begehrte „Christmas Number One“ in den britischen Charts zu werden.

Andrew Ridgeley und das Erbe von „Last Christmas“

Andrew Ridgeley, der heute verheiratet ist und sich als Umweltaktivist engagiert, steht immer wieder im Zentrum von Spekulationen über die Einnahmen des Songs. Verschiedene Theorien kursieren, wonach George Michael möglicherweise die Rechte an dem Lied an Ridgeley übertragen haben könnte, um ihn finanziell abzusichern. Andere wiederum behaupten, dass ausschließlich Komponist Michael bis zu seinem Tod von den Einnahmen profitierte, da Ridgeley weder an der Komposition noch an der Produktion beteiligt war.

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Dennoch wird der heute 61-Jährige Ridheley auch in diesem Jahr mit einem Hauch von Nostalgie und Dankbarkeit an die Wham!-Zeit mit George Michael zurückdenken – und vielleicht ein stilles Lächeln auf den Lippen tragen, sollte er im Taxi aus dem Autoradio die ersten Töne von „Last Christmas“ hören. Ich mit meinem Einkaufswagen im Supermarkt hab mir nur den erstbesten Badreiniger aus dem Regal geschnappt und bin los zur Kasse. Bloß raus hier!

Mariah Carey und der Erfolg des Einfachen

New York 1994. Hochsommer. Hundstage, wie die Amerikaner die Zeit vom 23. Juli bis zum 23. August nennen. Über New York liegt eine Hitzeglocke, als Helfer Lichter-Girlanden und Tannenbäume in die Hit Factory Studios am Broadway schleppen. „In Stimmung bringen“ will sich die junge Frau, die hier vor dem Mikro steht. Mariah Carey heißt sie, ist mit drei Alben zum Superstar geworden und soll jetzt ein Weihnachtslied aufnehmen. Eigentlich will sie das gar nicht. Weihnachtslieder werden damals von Leuten aufgenommen, die am Ende ihrer Karriere stehen. Carey ist gerade mal 24 Jahre alt. Doch Tommy Mottola, damals nicht nur ihr Manager sondern auch ihre Ehemann, gibt nicht nach. „Wir machen das jetzt.“

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Und Carey macht. 15 Minuten, erzählt die Sängerin später, hätten sie und Songwriter Walter Afanasieff gebraucht, um das erste von drei neuen Weihnachtsliedern zu schreiben. „All I Want for Christmas is You“. Stimmt das, kann man 30 Jahre nach der Veröffentlichung sagen: Das war der beste (Viertel)Stundenlohn aller Zeiten.

Die Sängerin soll alleine mit ihrem Weihnachtsklassiker inzwischen mindestens 80 Millionen Dollar an Tantiemen verdient haben! „Celebrity Net Worth“ schätzt, dass jedes Jahr zwischen zwei und vier Millionen Dollar durch dieses eine Lied dazu kommen. Davon werden geschätzt zwischen 600.000 und 1,2 Millionen Dollar in der Hauptsaison Dezember eingenommen.

Dabei ist der Erfolg zunächst überschaubar. Erst nach 25 Jahren klettert der Song sowohl in den USA als auch in Deutschland erstmals auf Rang Eins. Ein Vorgang, der sich seitdem jedes Jahr wiederholt – vor allem, weil mittlerweile die Streams bei Spotify und Co. mitgezählt werden.

Mariah Carey tritt auf dem Times Square in New York auf.
Mariah Carey tritt auf dem Times Square in New York auf. © dpa | Brent N. Clarke

Was den Song so lange so erfolgreich macht, hat auch die Wissenschaft beschäftigt. Vom „melodischen Standpunkt aus betrachtet“, sagt Musik- und Kommunikationsprofessor Murray Forman, habe die Kombination von Careys „verspieltem“ Gesang und der nostalgischen Qualität der Musik dazu beigetragen, dass dieses Lied den Test der Zeit überstanden habe. Außerdem, so der Professor weiter, treffe Carey „Töne, die andere nicht treffen“. Das übrigens bis heute. Wenn sie – seit Jahren schon – Anfang November in einem Internetvideo die Saison mit den Worten „It’s Time“ eröffnet, sorgt man sich angesichts der Höhen, die sie dabei gesanglich erreicht, um das feine Glas im Schrank.

Songwriter Walter Afanasieff kann den Erfolg noch kürzer erklären. „Es ist definitiv nicht ,Schwanensee’“, räumt er ein. „Aber gerade deshalb ist es so beliebt – weil es so einfach ist!“

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