Essen. Giftige Tiere werden immer noch nach NRW verkauft – obwohl ein Gesetz das verhindern sollte. Wie kann das sein? Ein Selbstversuch.
„Der Versand nach NRW ist nicht das Problem. Sie dürften wissen, auf was Sie sich da einlassen. Meinerseits gibt es da keine Einwände.“ Der Händler im Internet bietet uns einen Mengenrabatt an: 20 Euro pro Tier. Ab 10 Stück wird’s günstiger. 15 Euro kostet der Versand per DHL, mit „Styroporbox und Heatpack“. Der Händler aus dem Internet macht sich in diesem Moment mutmaßlich strafbar. Was er uns da gerade verkaufen will, ist potenziell tödlich. Androctonus australis, so heißt der Skorpion, der zu den giftigsten der Welt gehört. Angeboten im Internet in einem Terraristik-Forum.
Ginge es nach der Politik, wäre so ein Verkauf unmöglich. Vor knapp vier Jahren ist das Gifttiergesetz in NRW in Kraft getreten. Es verbietet die Haltung und die Abgabe giftiger Tiere in NRW. Verboten sind verschiedene Giftschlangen, Skorpione und Spinnen. Wer gegen das Gesetz verstößt, dem drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis. Ausnahmen gibt es für all die Halter, die schon vor Einführung des Gesetzes giftige Tiere gehalten haben: Sie dürfen ihre Tiere behalten, müssen ihre Bestände aber an das Landesumweltamt melden.
Das Kobra-Drama in Herne
Das Gifttiergesetz vor knapp vier Jahren war auch die Folge einer dramatischen Woche in Herne, die bundesweit und sogar international für Aufsehen, Angst und Schrecken gesorgt hatte: Am 25. August 2019 sieht eine Bewohnerin eines Mehrfamilienhauses in Herne-Holthausen eine rund 1,40 Meter lange Schlange. Sie wählt den Notruf. Was folgt, ist ein nervenaufreibender, tagelanger Einsatz für Ordnungsdienst, Polizei, Feuerwehr und Gifttierexperten. Denn bei dem entflohenen Tier handelt es sich um eine giftige Monokelkobra – ein Biss kann tödlich enden. Rund eine Woche später wird die Schlange endlich eingefangen. Die Stadt bleibt am Ende auf den horrenden Kosten von mehreren zehntausend Euro für den Einsatz sitzen. Danach hatte in der Politik Einigkeit geherrscht: Der Umgang mit giftigen Tieren muss eingedämmt werden.
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Aber funktioniert das Gesetz? Zahlen des Landesumweltamts NRW (LANUV) lassen Zweifel aufkommen: Wurden mit Inkrafttreten des Gesetzes 213 Halter mit insgesamt 4389 giftigen Tieren gemeldet, waren es zum Stichtag 1. November dieses Jahres immer noch 175 Halter mit insgesamt 3883 Tieren. Der Bestand an giftigen Tieren ist in NRW also kaum gesunken. Wie hoch die Dunkelziffer ist, kann das LANUV nicht sagen, aber: „Die Haltung von Terrarientieren kann (…) sehr diskret und ohne Wahrnehmung durch das soziale Umfeld erfolgen.“ Seit Inkrafttreten des Gesetzes sind gerade einmal 13 illegale Haltungen aufgeflogen. Spezielle Ermittler auf Seiten der Behörde gibt es laut eigenen Angaben nicht.
Gesetz dämmt nicht den Schwarzmarkt ein
Ein Grund, dass selbst die offiziell gemeldeten Gifttierbestände nicht deutlicher sinken: Tiere in noch erlaubten Bestandshaltungen vermehren sich weiter. Unsere Recherchen zeigen aber auch: Das Gesetz schafft es nicht, den Schwarzmarkt einzudämmen. Mit falscher Identität melden wir uns im Forum „Terraristik.com“ an. Hier gibt es alles, was das Reptilien- und Exotenherz begehrt. Für Giftschlangen gibt es extra eine eigene Kategorie. Das Problem: Jedes Bundesland hat seine eigenen – oder auch gar keine – Gesetze, die die Haltung von Gifttieren einschränken. Für Behörden ist der Handel im Internet schwer zu kontrollieren.
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Wir schreiben einige Anbieter an – und bekommen schnell Antworten. Ein Halter eines giftigen Skorpions etwa will sich mit uns in Essen für eine persönliche Übergabe treffen. Bis zu zehn der Skorpione können wir kaufen – Preis: 110 Euro für alle zehn. Ein anderer Händler möchte uns eine giftige Tigervogelspinne verkaufen. Sie gilt als leicht aggressiv, ihr Gift als besonders stark. Auch hier wird eine Übergabe in den nächsten Tagen angeboten. Wir fragen extra nach: „Mit dem Gifttiergesetz gibt’s da keinerlei Probleme, oder?“ „Nein“, antwortet der Händler. Als wir ihn konfrontieren, behauptet er, er hätte sich vor dem Verkauf eine Haltungsbescheinigung von uns zeigen lassen. Welche er damit meint, bleibt offen.
„Am Handel selbst hat sich nichts geändert“
Auch der Deutsche Tierschutzbund bestätigt unsere Recherche auf Anfrage: „Am Handel selbst hat sich nichts geändert.“ Online sei sowieso alles erhältlich. Händler seien weiterhin nicht dazu verpflichtet, den Wohnort des Kaufinteressenten zu kontrollieren. Die Landesregierung habe es verpasst, mit dem Gifttiergesetz eine vollumfängliche und vernünftige Regelung im Sinne des Tierschutzgesetzes zu treffen.
In einem Monat, am 14. Dezember, findet in Hamm wieder die „Terraristika“ statt, die größte Reptilienbörse der Welt. Tierschützer kritisieren regelmäßig den „Graumarkt“ auf dem Parkplatz vor der Messehalle. Die Börse selbst weist zwar regelmäßig auf das Haltungs- und Abgabeverbot giftiger Tiere in NRW hin. Aber schon jetzt finden sich in den Internet-Portalen viele Angebote giftiger Tiere: „Abzugeben in Hamm im Dezember“. Der Gifttierbestand in NRW dürfte in den nächsten Wochen weiter steigen.
HINWEIS
Diese Recherche ist zusammen mit Radio K.W., Radio Mülheim, Radio Oberhausen und Radio Emscher Lippe entstanden. Hier finden Sie auch exklusiv ein Interview mit Schlangenexperte Roland Byner aus Bochum. Er hatte vor fünf Jahren die giftige Kobra in Herne eingefangen.
