Essen. Das Narrativ von den Grünen als Verbotspartei kommt wie ein Bumerang zurück. Ob CDU und CSU begreifen, wer der wahre Gegner ist?

Man muss schon ein mutiger Mann sein wie der Duisburger Felix Banaszak, wenn man ausgerechnet jetzt Vorsitzender der Grünen werden will. Denn keiner Partei schlägt aktuell mehr und heftigere Ablehnung entgegen als den Grünen. Von dem bundesweiten 28-Prozent-Umfragehoch im Frühjahr 2021 ist die Partei inzwischen weit entfernt. Zuletzt wurde sie bei den Landtagswahlen im Osten Deutschlands pulverisiert; nur in Sachsen gelang ihr mit hauchdünnen 5,1 Prozent der Wiedereinzug in den Landtag.

Besonders alarmierend ist die Zahl der Straftaten gegen grüne Politikerinnen und Politiker. Der Bundesregierung zufolge richteten sich im vergangenen Jahr 1200 von 2800 politischen Straftaten gegen Grüne. Im gleichen Zeitraum wurden knapp 500 AfD-Mitglieder Opfer politisch motivierter Gewalt. Das korrespondiert mit den verbalen Entgleisungen gegen Grüne in den sogenannten sozialen Medien bis hin zu handfesten Drohungen gegen alles „Linksgrünversiffte“, um eine in bestimmten Milieus etablierte Beschimpfung Andersdenkender zu zitieren. Ich finde diesen Hass furchtbar und bedrohlich. Banaszak will sich dem engagiert entgegenstellen. Aber dazu später mehr.

Robert Habeck und das Heizungsgesetz

Dass die Grünen so viel Ablehnung erfahren, hat viel damit zu tun, dass ihre Politik zuweilen stümperhaft ist: Handwerkliche Fehler gehen einher mit einer Kommunikation, die die Menschen nicht mitnimmt und überfordert. Robert Habecks Heizungsgesetz ist das wohl prominenteste Beispiel und war vor rund anderthalb Jahren so etwas wie der Kipppunkt für seine Partei und die Ampelkoalition insgesamt. Auf der anderen Seite machen die Grünen eine Erfahrung, die wir Journalisten auch gut kennen: Der Überbringer schlechter Nachrichten wird für eben diese Nachrichten verantwortlich gemacht. Und es ist eine verdammt schlechte Nachricht, dass wir alle unser Leben ändern, dass wir liebgewonnene Gewohnheiten aufgeben müssen, damit wir und unsere Nachkommen eine Zukunft haben.

Statt sich also selbst dafür zu hassen, dass man trotz Klimawandels mit dem 400-PS-SUV zum nahegelegenen Bäcker fährt, wandelt man sein schlechtes Gewissen lieber in Grünen-Hass um. Statt sich zu seinen eigenen Schwächen zu bekennen, stempelt man diejenigen, die unangenehme Wahrheiten aussprechen, als hypermoralisierende Spielverderber ab, als anstrengende Besserwisser, grüne Umerzieher und Freiheitsberauber. Das ist einfacher. Schritt für Schritt werden die Grünen so zur Projektionsfläche für alles, was nicht funktioniert, ähnlich wie die frühere Bundeskanzlerin („Danke, Merkel!“). Und wenn die deutsche Wirtschaft marode ist – und das ist sie, gemessen an unseren Ansprüchen, im internationalen Vergleich –, dann muss dafür der Bundeswirtschaftsminister verantwortlich sein, auch wenn der gerade einmal zweieinhalb Jahre regiert und nichts kann für den Reform- und Innovationsstau, den frühere Regierungen und Konzernmanager nicht auflösen konnten oder wollten.

„Grüne lösen Aversion aus“

Recht hat also CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz, wenn er sagt, dass niemand im demokratischen Spektrum bei den Wählern der Union „eine solche Aversion auslöst wie die Partei der Grünen“. Haarig wird es allerdings, wenn Merz weiter ausführt, dass der Grund für diese Aversion die „ständige Bevormundung, Regulierungswut und Technikfeindlichkeit“ der Grünen sei. Er bedient damit das Narrativ von der grünen Verbotspartei und versucht so, aus der gesellschaftlichen Polarisierung, aus diesem Kulturkampf, der da tobt, Profit zu schlagen. Ein fataler Fehler! Denn die Grünen sind nicht der Gegenpol zu den Unionsparteien. Sie sind der Gegenpol zur systemfeindlichen AfD. Und somit stehen Grüne und Union auf derselben Seite. Mehr noch: Sie sind potenzielle Regierungspartner im Bund, auch wenn Merz und vor allem CSU-Chef Söder etwas anderes behaupten. Schon jetzt koalieren CDU und Grüne im größten Bundesland, in unserem NRW.

Es ist gefährlich, die Wähler hinter die Fichte führen zu wollen, wenn man sagt, mit den (Söder) oder diesen (Merz) Grünen (ein wichtiger semantischer Unterschied) könne man nicht zusammenarbeiten. Daran werden sich die Wähler auch nach einer Wahl erinnern. Und noch gefährlicher ist es, die anti-grünen Aversionen zu befeuern, statt bedrängten Mit-Demokraten beizuspringen. Denn der Grünen-Hass ist im Grunde System-Hass, und der richtet sich gegen alle demokratischen Parteien. Nach all den Krisen haben die Menschen ihr Vertrauen in Politik und (in die etablierten) Parteien insgesamt verloren. Sie sind zudem veränderungsmüde. Das zeigt sich ganz besonders in den ostdeutschen Bundesländern. Dort stehen Grüne für die westdeutschen übergriffigen Eliten – Christdemokraten aber zunehmend auch. Beste Bedingungen also für Faschisten und Putin-Versteherinnen.

Der Hass kommt auch von Links

Das heißt freilich nicht, dass im Westen alles super ist. Auch hier erodiert das System. Vor allem die (anderen) bürgerlichen Parteien sollten es also im eigenen Interesse schnellstmöglich unterlassen, die Grünen in ideologische Ecken zu stellen, in die sie nicht hineingehören. Was soll das, den Grünen zu unterstellen, sie seien für ein „Fleischverbot“, wie es die CSU getan hat? Das hat nie ein Grüner in Verantwortung gefordert. Was soll das, die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke mit Margot Honecker zu vergleichen – ebenfalls eine CSU-Entgleisung? Gerade die Grünen zeigen sich in Regierungsverantwortung doch immer wieder in einem Maße kompromissbereit, wie man es sich von konservativen Ideologen aus Bayern öfter einmal wünschen würde.

Das ist ja das Bittere für die Grünen-Spitze, dass sie aufgrund dieser Kompromissbereitschaft nicht nur von Rechts angegangen wird, sondern auch von Links, von ihrer eigenen Parteijugend etwa, die die neue Linie in der Migrationspolitik keinesfalls akzeptieren will. Man denke nur an das Sicherheitspaket der schwarz-grünen NRW-Landesregierung nach dem Solingen-Attentat. Auch daraus resultiert Grünen-Hass, nur eben von der anderen Seite.

Felix Banaszak / Grüne
Der Duisburger Felix Banaszak will zusammen mit Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner als Co-Parteichef die Grünen anführen. „Wer die Grünen verteufelt, sollte Politik anderen überlassen“, sagt er im WAZ-Interview. Hier posiert er in unserer Zentralredaktion in Berlin. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Vielleicht muss man „ein Kind des Ruhrgebiets“ sein, wie sich der designierte neue Grünen-Chef Felix Banaszak selbst bezeichnet, um sich aus einer solchen Zange herauswinden zu können: mit der regional typischen Ehrlichkeit, mit Geradlinigkeit, Pragmatismus und dem Blick fürs Machbare und Menschliche. Ich finde es schon beeindruckend, wenn der 34-Jährige erzählt, wie er sich erfolgreich für ein 14-jähriges Mädchen in Duisburg eingesetzt hat, das aus dem Schulunterricht heraus nach Nepal abgeschoben werden sollte, in ein Land, das sie gar nicht kannte, in dem sie nie zuvor war. Heute hat das Mädchen Abitur, studiert, ist integriert.

Der Wahrheit ins Gesicht sehen

Banaszak will auch nach Solingen weiter unterscheiden: „zwischen den vielen, die hierhin gekommen sind, um ihr Glück zu suchen – und denen, die hier sind und das Glück anderer zerstören“. So klingt einer, der ruhig abwägt, der differenziert, der keine einfachen Antworten gibt, weil es keine wahrhaftigen einfachen Antworten gibt. Man muss die Grünen nicht mögen und schon gar nicht wählen, um ein aufrechter Demokrat zu sein. Ganz bestimmt nicht. Aber wer die Grünen hasst, der hasst differenzierte Argumentation, der kann oder will der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen. Wir müssen aber Wahrheiten aushalten, um Lösungen zu finden, ob mit oder ohne die Grünen. Sonst überwinden wir die Krisen nie.

Auf bald.

Klartext als Newsletter

Wer die Klartext-Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ, nicht verpassen möchte, kann den kostenlosen Newsletter bestellen. Klartext: Hier werden politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen – um Klartext eben.

Klartext als kostenloser Newsletter? Hier anmelden!

Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.