Köln/Münster. Bei Köln trainieren Bundeswehr-Reservisten den Einsatz im Ernstfall. Sie treibt das Gefühl an, etwas tun zu müssen. Schießen gehört nicht dazu.

Die Demokratie ist allgegenwärtig an diesem sonnigen Tag in der Wahner Heide. Sie wird hier verteidigt. Von jungen und älteren Männern und einer Handvoll Frauen. Mit Schweiß, ein wenig Pathos und ganz viel Herzblut. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang 2022 ausgerufene „Zeitenwende“ hat diese so unterschiedlichen Menschen zusammengebracht. Es sind größtenteils Reservisten der Bundeswehr, sie nennen sich Heimatschützer. Und sie alle treibt das Gefühl, etwas tun zu müssen. Sie wollen handeln. Anpacken. Sich wehren.

Hier trainiert das sonst in Münster stationierte nordrhein-westfälische Heimatschutzregiment 2 mit rund 250 Soldatinnen und Soldaten bei Altenrath den Einsatz im Ernstfall. Große Zelte, mit Tarnnetzen verhängte Dixi-Toiletten und viele Menschen in Bundeswehrkleidung zeugen von den Aktivitäten.

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Eine Heimatschutzkompanie der Bundeswehr. © picture alliance / ABB | picture alliance

„Es gibt dieses Sprichwort“, sagt Feldwebel Roman: „Wenn du die Geschichte nicht kennst, bist du verdammt, dass sie sich wiederholt.“ Er steht in voller Ausrüstung in der prallen Sonne, Schweiß läuft ihm über die Stirn. Er sagt auch: „You train as you fight.“ Du trainierst, wie du kämpfst. Obwohl der Kampf im eigentlichen Sinne ja gar nicht sein Auftrag ist. Hier stehen keine Panzer im Gelände, es wird nicht geschossen, Feldwebel Roman und seine Kollegen bereiten sich nicht darauf vor, den Feind zu vernichten. Bestenfalls bekommen sie den Feind gar nicht zu Gesicht. Heimatschützer schützen – im wahrsten Sinne des Wortes – die Heimat.

Die Sicherung militärischer Anlagen gehört zur Aufgabe

Die Übung in der Wahner Heide trägt den Namen „Agiles Ross“ und ist Teil der deutschlandweiten Übung „National Guardian 2024“, bei der an neun Orten Verfahren und Abläufe zum Schutz und zur Sicherung militärischer Anlagen und verteidigungswürdiger kritischer Infrastruktur geübt werden. Denn das ist der Kernauftrag der sechs neuen Heimatschutzregimenter. In Friedenszeiten können sie auch die aktive Truppe bei Wach- und Sicherungsaufgaben unterstützen oder bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen den zivilen Behörden und Blaulichtorganisationen helfen.

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Schon länger geplant, aber durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine befeuert, wurde im April 2022 in Bayern im Rahmen eines Pilotprojektes das Heimatschutzregiment 1 aufgestellt. Im vergangenen Herbst kamen die Heimatschutzregimenter 2 im nordrhein-westfälischen Münster und 3 im niedersächsischen Nienburg dazu. Weitere Heimatschutzregimenter sind für Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Berlin geplant. Das NRW-Regiment soll auf rund 1000 Kräfte anwachsen. Man habe viele Interessenten, der Auswahlprozess sei aber noch nicht abgeschlossen, berichtet Oberstleutnant Fonrobert, Leiter der Informationsarbeit im Landeskommando NRW.

„Wenn der Feind kommt, dann aus dem Osten“

Feldwebel Roman befehligt an diesem Übungstag ein Team an einem Checkpoint. Der liegt an der Zufahrt zu einer imaginären kritischen Infrastruktur. Das könnte ein Munitions- oder Materiallager sein, ein Hafen, Verladebahnhof oder eine Brücke. Die Leverkusener Brücke zum Beispiel. Die sei in jedem Fall schützenswert, erklärt Oberstleutnant Fonrobert. Nicht nur, weil sie so neu ist. Sondern vor allem, weil sie so breit ist und den Weg von West nach Ost ermöglicht. Von den Häfen in Belgien oder Holland, wo verbündete Truppen der Nato anlanden könnten, in Richtung Feind. „Wenn er kommt, kommt er ja wahrscheinlich aus dem Osten“, sagt Fonrobert.

Die Bilder, die hier heraufbeschworen werden, galten viele Jahre nur noch als Klischee. Seit Putins Überfall auf die Ukraine wirken sie wieder realer. Sie machen Angst. Setzen Kräfte frei. Torpedieren Überzeugungen wie jene, dass Aufrüstung nicht gut sein kann. „Unsere Grundwerte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind ja nicht vom Himmel gefallen“, sagt Feldwebel Roman: „Ich kann nicht Nutznießer dieses Systems sein und tue nichts dafür.“

Die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“
In der großen Sommerserie der Hagener Stadtredaktion erzählen wir die Geschichten von außergewöhnlichen Häusern und Landmarken: Viele haben sie vielleicht schon einmal am Wegesrand entdeckt, wissen aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Folgende Teile sind bereits erschienen:

  1. Bahnhof Hagen-Dahl: Wohnen, wo die Züge rollen
  2. Pavillon in der Hagener City - das Reisebüro schließt, und dann?
  3. Blau-Weißes Haus am Tücking: Dort wohnt gar kein Schalke-Fan
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Er hat sich direkt nach seinem Wehrdienst 2004 für die Reservistenlaufbahn entschieden, im zivilen Leben ist er Justizvollzugsbeamter. Immer wieder sei er für sein Engagement bei der Bundeswehr belächelt worden, für diese zwei bis vier Wochen Training pro Jahr, für die lediglich ein Ausgleich für den Verdienstausfall gezahlt wird. Da gehe er doch „Schlauchbootfahren und Bier trinken“, sei ihm vorgehalten worden. Doch das habe sich geändert. Inzwischen verspüre er vermehrt Anerkennung, sagt der Vater zweier Kinder: „Die Zeitenwende ist auch eine Zeitenwende für uns Reservisten.“

Am Checkpoint herrscht reger Betrieb. Es gibt normalen Durchgangsverkehr. Und hin und wieder schickt die Kommandoleitung bestimmte Fahrzeuge vorbei. Eines mit Blaulicht. Eines von der Polizei. Die Verhaltensregeln für die Reservisten sind immer anders. Sie kontrollieren Personen und Autos, suchen mit Spiegeln nach Sprengstoff, winken Autos durch oder halten sie auf. Bei der Übergabe an ein neues Team müssen die einen ihre Waffen entladen und die anderen ihre laden. Nach dem Vieraugen-Prinzip kontrolliert man sich gegenseitig. „Wir üben hier echte Szenarien mit allen Belastungen“, sagt Feldwebel Roman. Also Schwitzen in voller Montur, 24/7-Schichtbetrieb, Schlaf in Gemeinschaftszelten, Dixie-Toiletten.

„Es ist gut, mal nicht der Chef zu sein“

Der Obergefreite Markus ist vor gut zwei Jahren Reservist geworden. Vier Monate vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Sein Wehrdienst liegt lange zurück, den hat er 1997/98 absolviert. Die Kameradschaft habe ihn gelockt und das Gefühl, sich vorbereiten zu müssen. „Erst zu handeln, wenn es passiert ist, endet meistens im Chaos“, sagt er. Also ist Markus nun Reservist bei der Bundeswehr und hat die alten Einmachtechniken seiner Oma reaktiviert. Im zivilen Leben ist er Betriebsstellenleiter in der Stahlindustrie und hat 40 Mitarbeiter unter sich. Hier in der Wahner Heide ist er Befehlsempfänger und findet: „Es ist gut, mal nicht der Chef zu sein, daraus lerne ich und das nehme ich dann mit in den Job.“

Der Oberst ist Rettungsschwimmer

Kommandiert wird das Heimatschutzregiment 2 von Oberst Teichmann. Er ist ein drahtiger Mann, die Haut wettergegerbt. Im zivilen Leben Objektleiter und Rettungsschwimmer bei der DLRG. Auch er dient als Reservist, und das schon seit 1989. Nach einer Karriere als Zeitsoldat ist er dabeigeblieben. Ein Konzept für die Heimatschutzregimenter gebe es seit 2017, erklärt Oberst Teichmann. „Und mir war schon damals klar, dass es da ein Defizit gibt und dass das ein lohnendes Projekt ist.“ Sieben Jahre später steckt er mitten im Aufbau des NRW-Regiments und sagt: „Uns alle verbindet die Erkenntnis, dass unsere freiheitlich-demokratische Ordnung kein Selbstläufer ist.“

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Neben den Reservisten, altgedienten und neuen, gehören dem Heimatschutzregiment auch einige aktive Soldaten an und junge Menschen, die einen Freiwilligen Wehrdienst (FWD) leisten. Einer von ihnen ist der Gefreite Tobias. Da es keine Wehrpflicht mehr gibt, lockt die Bundeswehr mit dem Programm „Dein Jahr für Deutschland“ Nachwuchs. Das bedeutet einen insgesamt einjährigen Dienst als Soldatin oder Soldat, davon werden sieben Monate Freiwilliger Wehrdienst geleistet und weitere fünf Monate Reservistendienst. Der Nettolohn liegt bei rund 1800 Euro pro Monat.

Der Gefreite Tobias hat sich dafür entschieden, um die Zeit zwischen Abitur und Polizeistudium zu überbrücken. „Ich wollte etwas Sinnvolles tun“, sagt er, und: „Andere in meinem Alter interessieren sich nur für sich selbst, ich interessiere mich für andere.“ Er arbeitet auch ehrenamtlich beim Roten Kreuz. Bei der Übung in der Wahner Heide ist er der „Pre-Checker“. Er trägt eine gelbe Warnweste über dem Tarn-Outfit und steht in vorderster Position. Der 22-Jährige habe einen guten „Gefahrenradar“, sagt Feldwebel Roman. Das brauche es auf dieser Position – und in dieser Welt.

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