Düsseldorf. Prozess um mutmaßliches Drogenkurier-Netzwerk: Wie Eltern zweier Kinder zu Schmugglern wurden und was der Hauptangeklagte aussagt.
Er spricht mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme, wirkt gefasst, von Aufregung oder Reue keine Spur. Dass er der Kopf eines für die Mafia international tätigen Drogenkurier-Netzwerks gewesen sein soll, dass ihm mindestens zwölf Jahre Haft drohen, ihm, dem inzwischen 64-Jährigen – all das lässt sich Karl-Heinz E., genannt „Kalle“, vor Gericht nicht anmerken.
Am dritten Verhandlungstag in dem Prozess um das Angelparadies Steinbachtal in Breckerfeld, das Zentrum einer Schmugglerbande gewesen sein soll, hat sich der Hauptangeklagte erstmals geäußert. Im Gegensatz zu zwei mitangeklagten Eheleuten, welche teils unter Tränen umfassende Geständnisse ablegten, schwieg der mutmaßliche Boss der Drogenkuriere zwar zu den Vorwürfen.
Doch auch so war es ein aufschlussreicher Verhandlungstag, der nicht nur das bisherige Leben des Hauptangeklagten und die Frage beleuchtete, wie er zum Angelparadies gekommen war, sondern auch die Hintergründe des mutmaßlichen Kurier-Netzwerks.
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Geldeintreiber für die Republikaner
Kalle darf man wohl – ausweislich seines Lebenslaufs – als umtriebig bezeichnen. Der gebürtige Wuppertaler gab am Montag vor Gericht an, gelernter Bauschlosser zu sein. Im Laufe seines Lebens habe er aber auch als Kraftfahrer und Koch gearbeitet, zudem verschiedene Restaurants, eine Immobilienfirma und einen Imbisswagen betrieben sowie ein Feinkostgeschäft geführt – italienische Spezialitäten, versteht sich. Auch ein Inkassounternehmen zählte der Hattinger zu seinen Geschäftsfeldern, dabei habe er im Auftrag eines Vorstandsmitglieds der Republikaner Geld eingetrieben für die einst bekannteste rechtsextreme Partei des Landes. Deren Mitglieder sollen allerdings nicht die beste Zahlungsmoral an den Tag gelegt haben. „Diese Republikaner, die wollten ihre Beiträge nicht bezahlen, die haben sich gesträubt“, berichtete Kalle am Montag vor Gericht.
Später, wohl im Jahre 2018, will er dann mit einem seiner Mitangeklagten, einem Angler, auf die Idee gekommen sein, im nördlichen Ruhrgebiet eine erste Angelanlage zu mieten. Nach wenigen Monaten habe man das Geschäft jedoch aufgegeben. Der Grund: Von Feldern des Inhabers, die oberhalb der Teiche gelegen hätten, sei Dung in die Teiche gelaufen. „Da sind alle Fische kaputtgegangen“, so Kalle. Schließlich sei man dann im Angelparadies Steinbachtal gelandet, in Breckerfeld, Ennepe-Ruhr-Kreis.
„Ziemlich gute Einkünfte“ habe man dort erzielt, allerdings habe man „meistens wieder alles in die Anlage reingesteckt“, weil dort „unheimlicher Renovierungsbedarf“ bestanden habe. „Das hat viel Geld gekostet“, sagte E., der von Jahresumsätzen von einer halben Million Euro und mehr berichtete. Sein einstiger Geschäftspartner ergänzte: „Wir waren extrem frequentiert, wir haben guten Umsatz gemacht. Wir waren sehr, sehr bekannt, die Angler kamen gerne zu uns.“
![Angelparadies als Mafia-Drehkreuz? Die Forellenzucht Steinbachtal bei Breckerfeld soll Zentrale eines internationalen Schmuggel-Netzwerks gewesen sein. Angelparadies als Mafia-Drehkreuz? Die Forellenzucht Steinbachtal bei Breckerfeld soll Zentrale eines internationalen Schmuggel-Netzwerks gewesen sein.](https://img.sparknews.funkemedien.de/408265287/408265287_1739120472_v16_9_1200.jpeg)
Inhaber will monatlich 1000 Euro im Angelparadies verdient haben
Der Hauptangeklagte, der bei seiner Aussage keine Angaben zu mutmaßlichen Drogengeschäften oder Hintermännern machte, dafür aber von einigen gesundheitlichen Problemen berichtete, will als Inhaber des Angelparadieses dort angestellt gewesen sein. Er habe monatlich „ungefähr 1000 Euro“ bekommen. Sein Mitstreiter, der Angler, und dessen Frau führten das Angel-Geschäft. Das Ehepaar verdiente dabei laut eigener Auskunft etwa 2300 Euro (sie) und 500 Euro (er). Anders als der Hauptangeklagte legten die Eheleute am Montag Geständnisse ab, und das teils sehr emotional.
Den beiden Wuppertalern, die zwei gemeinsame Kinder (15 und 13 Jahre alt) haben, hat die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines möglichen Deals Haftstrafen zwischen viereinhalb und siebeneinhalb Jahren in Aussicht gestellt. Sie sitzen, wie die anderen Angeklagten, seit fast zwei Jahren in Untersuchungshaft, in unterschiedlichen Gefängnissen. Vor Gericht im Prozessgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf sitzen sie in einer Reihe, getrennt durch ihre Verteidiger. Ihre Kinder wachsen bei der Schwester der Mutter auf. Wenn die Eheleute bei ihren Befragungen vor Gericht auf die Familie zu sprechen kommen, dann geraten sie ins Stocken.
„Ich bitte um Entschuldigung, ich bereue zutiefst, was ich getan habe und dass ich meine Familie in eine derart belastende Situation gebracht habe“, sagt etwa der Ehemann (47). Er habe den Hauptangeklagten 2014 über dessen Bruder kennengelernt, es sei um Umbauarbeiten in einem Restaurant gegangen, die er, ein Handwerker, ausführen sollte. Zwei Jahre später habe Kalle ihm und seiner Frau dann ein Darlehen über 20.000 Euro gewährt – angeblich ohne konkret über die Rückzahlungsmodalitäten gesprochen zu haben. Sie seien verschuldet gewesen, hätten sich kaum das Nötigste für sich und die Kinder leisten können. „Wir sahen eine Möglichkeit, um unsere Schulden begleichen zu können. Es klang nach einer schnellen Lösung, also sagten wir zu“, berichtete der von einem Gehleiden eingeschränkte Ehemann.
„Man hatte schwierige Situationen, an Weihnachten keinen Strom, wir haben die Kinder zu meinen Eltern gegeben.“
Kurierlohn: 2250 Euro
Während er, der Angler, sich um die Fischanlagen kümmerte, eines der zum Drogentransport verwendeten Autos auf sich angemeldet hatte und als rechte Hand des Hauptangeklagten grundsätzlich in die Drogengeschäfte eingeweiht war, war seine Frau als Drogenkurierin in Europa unterwegs. Sie gestand, dass sie über alles von Anfang an Bescheid wusste – Zitat: „Es ging darum, Kokain von rechts nach links zu transportieren und das nicht gerade in kleinen Mengen“. Im Schnitt habe sie pro Tour als Fahrerin oder Beifahrerin 15 Kilogramm Kokain geschmuggelt. Ihr Lohn: als Fahrerin 2250 Euro pro Tour (150 Euro pro transportiertem Kilogramm Kokain), davon seien 500 Euro an den Co-Piloten gegangen.
Auch sie gab an, nicht zuletzt aufgrund der Schulden „schleichend“ in die illegalen Geschäfte geraten zu sein. „Ich hatte ein Gewerbe auf mich angemeldet, das ging den Bach runter. Ich hatte Privatinsolvenz angemeldet, von allen Seiten wollten die Leute Geld haben. Man hatte schwierige Situationen, an Weihnachten keinen Strom, wir haben die Kinder zu meinen Eltern gegeben“, erzählte sie – und schluchzte.
Wie ihr Mann und eine weitere Mitangeklagte stellte sie den Hauptangeklagten als Strippenzieher dar, als Dreh- und Angelpunkt des Netzwerks, das für die `Ndrangheta und albanische Täter laut Anklage 880 Kilogramm Kokain geschmuggelt haben soll. „In der Regel ging alles über ihn“, sagte die 36-Jährige.
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