Essen. Wenn die Schnecken ins Beet kriechen, vergeht die Lust am Gärtnern. Schotter und Kies sind keine Lösung – aber verdammt verführerisch.

Von wegen Wonnemonat. Da stehe ich wieder in meinem Garten, und ich möchte betonen: ich stehe, ich sitze nicht, schon gar nicht liege ich, etwa in der Hängematte, die ich zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte und die noch fast unberührt ist. Da stehe ich also, blicke mich um und sehe allüberall Zerstörung, Wucherung und Verwelkung. Da, wo gerade noch der gemähte, halbwegs gepflegte Rasen war, bricht der Löwenzahn wieder durch die Grasnarbe; der Maulwurf, dieser Blindfisch, hat das Rosenbeet erneut sinnlos verunstaltet; und aus irgendeinem Grund geht es dem Fächerahorn gerade nicht gut. Meine Frau fragt mich, warum ich plötzlich so blass aussehe. Stumm und traurig verweise ich auf die kahle Baumkrone mit den wenigen entfärbten Blättern. Manchmal gehen Pflanzen ein, weil sie zu wenig Wasser hatten. Oder zu viel. Oder was weiß ich.

Es ist Mitte Mai, die Sonne scheint, wir haben 20 Grad, ich könnte mich ausruhen, die Seele baumeln lassen, mich am Grün erfreuen. Stattdessen sehe ich nur ex- oder implodierende Biomasse. Und dann entdecke ich auch noch eine bestimmte Raupe, die mich sofort in den gärtnerischen Sondereinsatzkommando-Zustand versetzt. Alarm, Blaulicht, Krisenmodus. Aber dazu später mehr.

Viel Kies für den Schottergarten

Sie merken schon, liebe Leserinnen und Leser, in dieser Kolumne geht es ausnahmsweise mal nicht um Politik. Obwohl: Ein bisschen Politik steckt ja überall drin. Stichwort: Schottergartenverbot. Ich könnte es mir einfach machen, wie ein Nachbar von mir. Der hat in seinem großen Vorgarten flächendeckend Vlies verlegt, darauf tonnenweise Kies geschüttet (Icy Blue für 300 Euro je 1000 Kilo, was viel Schotter für Schotter ist), eine Alibi-Fetthenne gepflanzt – und nun meint der Herr Geröllheimer, mit der Wüste Gobi vor seinem Haus hätte er keine Arbeit mehr und alles wäre gut. Von wegen!

Grünspan und Moos werden sich schon bald über das Steinbeet legen, im Hochsommer wird Icy Blue trotz seines coolen Namens glühende Hitze reflektieren, und spätestens im Herbst treibt das verrottende, zwischen den Steinchen schwer zu entfernende Laub meinen Steinzeit-Nachbarn in die Verzweiflung. Gut so, sage ich – natürlich ohne jeden Anflug von Gehässigkeit. Denn es geht um unsere Umwelt, ums Klima, um Nachhaltigkeit. Nicht ohne Grund entscheiden sich immer mehr Kommunen für Schottergartenverbote. In Gelsenkirchen versucht man es derweil mit positiven Anreizen: Dort werden die schönsten schotterfreien Gärten prämiert.

Was für ein trauriger Anblick: Das Archivbild zeigt einen Schottergarten vor einem Reihenhaus in Velbert.
Was für ein trauriger Anblick: Das Archivbild zeigt einen Schottergarten vor einem Reihenhaus in Velbert. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Wie kann man nur so wenig blümchengemusterte Tassen im Schrank haben und die Schönheit der Natur begrenzen und aussperren wollen?, denke ich beim Anblick auf das nachbarschaftliche Tal des Todes. Der Natur muss man ihren Lauf lassen.

Verwandt mit dem Milzbrand-Erreger

Kopfschüttelnd begebe ich mich zurück zu meinem Garten, gehe schnurstracks in den Keller und suche in einem Regal nach der Packung mit der Aufschrift „Raupenfrei“. Der Hersteller verspricht, dass das Produkt geeignet sei für den ökologischen Landbau. Statt mit einer Chemiekeule um sich zu schlagen, versprühe man nur „Bacillus thuringiensis“. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Das Bakterium sei zwar verwandt mit dem Milzbrand-Erreger, verrät Wikipedia, aber vergleichsweise harmlos. Man sollte es da nicht in Sippenhaft nehmen. Die eigentliche B-Bombe lauert in meiner Buchsbaum-Hecke. Denn die oben erwähnte Raupe ist der – und nun hören Wissende in ihrem Unterbewusstsein vermutlich Klänge wie bei der Duschszene in Psycho – BUCHSBAUMZÜNSLER! Das ist der mit Abstand größte Terrorist unter den Schädlingen im Garten.

Nicht selten sind es Zufallsfunde. An nichts Böses denkend, bleibt mein geschultes Auge an einer leicht kahl aussehenden Stelle im Buchs hängen, und da schaut er mich schon frech an, der Zünsler. Wer seinen Kindern immer und immer wieder die Geschichte von Eric Carle über die kleine Raupe Nimmersatt vorgelesen hat, der kann in Gedanken die Stellen überspringen, wo sie sich am Montag durch einen Apfel, am Dienstag durch zwei Birnen, am Mittwoch durch drei Pflaumen und so weiter frisst, und sich gleich dem Sonntag zuwenden: Da fraß sich die Raupe bekanntlich durch ein grünes Blatt, bis sie satt und fett wurde.

Nachts, im Mondschein ...

Für einen Buchsbaumzünsler ist jeder Tag ein Sonntag, bis zum Tag der Abrechnung. Denn bevor die Raupe nicht, wie bei Carle, zu einem wunderschönen Schmetterling, sondern nur zu einem unscheinbar-verschlagenen Falter werden kann, der noch mehr Gärtnerleid produziert, kommt ganz jugendfrei Bacillus thuringiensis zum Einsatz. Hasta la vista, baby!

Friede? Freude? Pustekuchen! Bevor ich auch nur in die Nähe der Hängematte komme, rüttelt nach dem Zünsler schon wieder der Giersch an meiner Autorität, die wilden Brombeeren im Steilhang, tief ausgegraben, sind plötzlich zurück, nicht, weil es ihnen dort besonders gefiele, sondern nur, um mich zu ärgern, und dann sind da noch die gar nicht so schnuckeligen Schnecken, diese langsamen, entschleunigten Schleimschei... .

Kriegerische Grüne

Halt! Habe ich gerade „entschleunigt“ geschrieben? Wie immer ist ja alles relativ. Wer am Abend die sündhaft teure neue Staude gepflanzt hat, kann angesichts der aktuellen Plage am nächsten Morgen schon eine scheinbar aus dem Nichts gekommene Wolke gewalttätiger Nacktschnecken beobachten, unter der sich nur noch ein Schlachtfeld von Strünken befindet. Die Blüten: abgenagt, die Träume: zerstört, das Herz: gebrochen. Als Gärtner führst du einen Krieg, der niemals endet.

Blattläuse! Verteidigt von einer Armee aus Ameisen, saugen diese kleinen grünen Monster ja nicht nur den süßen Saft aus der unschuldigen Pflanze. Sie saugen dich selbst aus, dich als Gärtner, der du deine ganze Liebe in den neuen Rosenstock gesteckt hast, der nun dahinvegetiert. Was ist das für ein sisyphoshaftes Schicksal! Tag für Tag pflanzt du, mähst, jätst und gießt, nur um all deine Hingabe im Minenfeld der Gartenpest zu vergeuden. Perfektionismus trifft auf Pflaumenmotten. Das Paradies wird zur Illusion, und wenn der Abend kommt, fragst du dich, ob der Kampf es wert war – nur um am nächsten Morgen wieder mit der Harke in der einen und dem Neemöl in der anderen Hand an die Front zu treten.

Denn Hoffnung ist die letzte Zierpflanze, die in einem Gärtnerherz verblüht, bevor ...

Ultima ratio?

... bevor er entnervt alles Grüne rausreißt, Kunststoffvlies verlegt und tonnenweise Icy blue darauf kippt, bis auch das letzte impertinente Insekt alle sechse von sich streckt (wenn es nicht eine Schnecke, eine Raupe, eine Spinne oder ein Tausendfüßler ist). Manchmal verstehe ich ihn, meinen Nachbarn mit dem Herz aus Stein.

Auf bald.

Klartext als Newsletter

Wer die Klartext-Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ, nicht verpassen möchte, kann den kostenlosen Newsletter bestellen. Klartext: Hier werden politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen – um Klartext eben.

Klartext als kostenloser Newsletter? Hier anmelden!

Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.