Essen. Es ist günstig, entlastet die Umwelt und „man hat den Ärger nicht“, sagen langjährige Carsharing-Kunden. Wie das Leben ohne Auto in Essen klappt.
Vollgestopfte Straßen, kilometerlange Staus und die ewige Suche nach einem Parkplatz: Quälend ist der Weg von A nach B im Ruhrgebiet. Zugeparkte Gehwege erhitzen zudem die Gemüter: „Es ist so viel Blech in der Stadt“, sagt Birgit Unger. „Und es wird immer voller.“
Vor zwölf Jahren stieg die Essenerin um aufs Rad. „Ich wollte mich mehr bewegen“, begründet sie. Und müssen vor einem Einfamilienhaus wirklich vier Fahrzeuge stehen? Doch ganz ohne Auto geht es nicht. Zwar passen die Getränkekisten in den Fahrradanhänger. Die Geschäftsführerin einer Veranstaltungsagentur braucht das Auto aber beruflich, für die Strecken nach Düsseldorf oder Aachen, den Kofferraum voll mit Plakaten und Equipment.
Seit ebenfalls zwölf Jahren teilt Birgit Unger daher das Auto mit anderen Essenerinnen und Essenern: Sie ist Carsharing-Kundin bei Stadtmobil. Zwei- bis dreimal in der Woche nutzt sie den Leihwagen. Und das funktioniert so: Birgit Unger bucht – spontan oder im Voraus – ein Auto, holt den Wagen an einer Station im Stadtgebiet ab, steigt ein und fährt los. Ist alles erledigt, bringt sie das Auto wieder zur selben Station zurück. „Es ist so einfach.“
Menschen auf dem Land sind auf das Auto angewiesen
Während die Menschen in ländlichen Gebieten auf das Auto angewiesen sind, ist das Alternativangebot in Ballungszentren und Städten groß. „Wir erledigen viele Strecken mit dem Fahrrad oder zu Fuß“, sagt Desmond Bell aus Essen. Auch die 18 Kilometer lange Strecke zur Arbeit fahre er mit dem E-Bike. Vor acht Jahren, als sein alter Opel Corsa den Geist aufgab, stellte er sich daher die Frage: Brauche ich wirklich ein Auto? „Wir haben erst überlegt, ob wir uns mit den Nachbarn ein Auto teilen“, erzählt der Professor für evangelische Theologie. Doch mögliche Streitsituationen schreckten ihn ab. „Daher haben wir uns für einen offiziellen Carsharing-Anbieter entschieden.“
„Entgegen vieler Vermutungen ist das Auto nicht das bevorzugte Verkehrsmittel unserer Kundinnen und Kunden“, sagt Edgar Augel, Vertriebsleiter bei Stadtmobil. Carsharing lohne sich vor allem für Menschen, die weniger als 12.000 Kilometer im Jahr fahren. Denn auch Fahrzeuge, die meist in der Garage stehen, kosten Geld. Autokredit, Versicherung, Inspektion, Reparatur, Reifenwechsel: Rund 350 Euro habe Desmond Bell monatlich für seinen Corsa „mit allem drum und dran“ gezahlt. Seit er sich das Auto teilt: 200 Euro im Monat. „Wir nehmen für Strecken, die wir früher mit dem Auto gefahren wären, heute aber auch das Fahrrad.“
„Mit einem geliehen Wagen habe ich den ganzen Ärger nicht“
Mit einem geliehen Wagen habe man außerdem „den ganzen Ärger nicht“, sagt Stadtmobil-Kunde Thomas Nürnberger. „Man setzt sich nur rein und fährt los.“ Vor elf Jahren entschied sich der 56-Jährige, sein Auto zu verkaufen. Der Arbeitsweg von Essen nach Düsseldorf sei mit dem Auto nicht nur teuer, sondern auch sehr zeitintensiv gewesen. „Ich stand ständig im Stau“, sagt Nürnberger, der seither mit dem Zug fährt.
Zwei-, dreimal in der Woche aber benötige er einen Wagen: Zwei Stunden für den Wocheneinkauf, einen ganzen Samstag für einen Ausflug ins Grüne oder auch mal fünf Tage am Stück. „Wir waren mit dem Stadtmobil auch schon im Urlaub an der Nordsee.“
Schnell ins Auto springen und losfahren, das gehe ohne eigenes Auto jedoch nicht, bedauert Desmond Bell. „Man muss alles planen“, sagt er, wie lange man bei Freunden bleiben möchte zum Beispiel. „Ich dachte, das geht nur solange, bis wir Kinder haben.“ Doch mittlerweile sei sein Pflegesohn neun Jahre alt – und Bell noch immer ohne Auto.
„Das Carsharing macht dem Kunden die Fahrzeugnutzung zunächst einmal unbequem“, sagt Edgar Augel, sei aber unverzichtbar, wollen wir Verkehr und Umwelt entlasten. „Wir animieren die Leute auch nicht zum Autofahren“, so der Vertriebsleiter. „Wir machen keine Werbung, dass man mit unserem Auto für ein Wochenende nach Holland fahren soll.“ Aber lässt sich ein solches Modell wirtschaftlich betreiben? „Wir möchten, dass die Autos für kurze Strecken genutzt werden“, sagt Augel. Für den Ikea-Einkauf zum Beispiel. „Wenn viele Leute diese kurzen Strecken fahren, lohnt sich das für uns.“
„Es geht ja nicht darum, dass alle Menschen auf ihr Auto verzichten“
Etwas flexibler unterwegs ist Rainer Larisch mit dem Stadtflitzer. Die Kleinwagen stehen in Teilen von Essen-Rüttenscheid, Holsterhausen und dem Südviertel sowie auf der Margarethenhöhe und können nach der Fahrt beliebig im „Bediengebiet“ abgestellt werden. „Ich kann spontan zum Baumarkt fahren, ausladen, und den Wagen einfach vor der Haustür stehen lassen“, sagt der Rentner aus Essen.
Derartige Freefloating-Angebote, die laut Stadtmobil die Lücken zwischen den Mobilstationen füllen sollen, sind jedoch umstritten. Laut Studien ersetzen sie meist Fahrten unter fünf Kilometern, die man mit dem Bus oder Fahrrad erledigen könnte. Die Stadtflitzer können zudem maximal eine Stunde im Voraus gebucht werden. Das Marktforschungsunternehmen Civity kommt daher zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem stationsunabhängigen Modell um „motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich“ handelt.
„Es geht ja nicht darum, dass alle Menschen auf ihr Auto verzichten“, sagt Birgit Unger. Der Dreiklang aus Auto, Fahrrad und ÖPNV – „da müssen wir hin.“ Entscheidend sei, dass man sich von seinem Wagen trenne. „Steht das Auto vor der Tür“, sagt sie, „fahre ich damit auch Brötchen holen.“
Carsharing im Ruhrgebiet
■ 150 Stadtmobil-Fahrzeuge stehen in Bochum, Essen, Duisburg, Mülheim und Krefeld, darunter allein 68 im Essener Stadtgebiet. „Einige tausend Kunden“, näher möchte Vertriebsleiter Edgar Augel die Zahl nicht benennen, habe Stadtmobil im Revier. Damit führt Carsharing im größten deutschen Ballungsraum noch immer ein Schattendasein. Zwar gibt es mit Greenwheels, RuhrautoE und der Bahn-Tochter Flinkster weitere Anbieter. Unter den 151 Städten mit Carsharing-Angeboten schafft es Essen als beste Revierstadt im Städte-Ranking des Bundesverbandes Carsharing jedoch nur auf Rang 81.
■ Neben einem Dutzend Hybrid-Fahrzeugen sind in Essen nur zwei Autos rein elektrisch unterwegs. Problem: „Wir haben keinen Zugang zur Ladeinfrastruktur, da hier eine Höchstparkdauer von vier Stunden gilt“, sagt Edgar Augel. Das Aufstellen eigener Ladesäulen sei „jenseits aller Wirtschaftlichkeit“.
■ Für das kommende Jahr plant Stadtmobil den Ausbau seiner Flotte. Zehn Stationen sollen in Essen dazukommen, 90 bis 100 Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Auch das Stadtflitzer-Angebot soll erweitert werden. „Wir können die Stadtflitzer jedoch nur dort anbieten, wo kein Parkticket benötigt wird“, erklärt Vertriebsleiter Augel.
■ Kundinnen und Kunden zahlen – neben einer einmaligen Anmeldegebühr von 19 Euro – einen monatlichen Beitrag in Höhe von fünf Euro. Je nach Fahrzeugklasse (Kleinwagen bis Transporter) kostet der Kilometer zwischen 0,27 und 0,36 Euro, eine Stunde zwischen 2,09 und 6,87 Euro. Die Spritkosten sind enthalten. Es gibt jedoch eine Anpassungsklausel: „Wir erhöhen den Kilometerpreis um 0,01 Euro, wenn der Benzinpreis um 0,15 Euro steigt“, sagt Edgar Augel. Grundlage sei der durchschnittliche Benzinpreis des Vormonats.