Essen. . Verkehrsexperten kritisieren: Revierstädte unterstützen Car-Sharing zu wenig. Sie fordern ein Umdenken bei Autofahrern und in der Politik.

Immer mehr Städte in Deutschland setzen zur Bewältigung der Verkehrsprobleme auf Car-Sharing. Doch ausgerechnet im größten deutschen Ballungsraum mit seinen massiven Mobilitätsproblemen führt das Prinzip, aufs eigene Auto zugunsten eines kurzfristig buchbaren und im Straßenraum parkenden Mietwagens zu verzichten, noch immer ein Schattendasein. Experten fordern deshalb einen Mentalitätswandel bei den Verkehrsteilnehmern, vor allem aber ein Umdenken in der Politik. Ein Überblick.

Welchen Stellenwert hat Car-Sharing im Revier?

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In der Verkehrspolitik des Ruhrgebiets ist Car-Sharing seit Jahren ein reines Nischenprodukt. Zwar gibt es unter anderem mit „Stadtmobil“, „Greenwheels“, „RuhrautoE“ und der Bahn-Tochter Flinkster diverse Anbieter, aber die Abdeckung ist eher dünn. So hat die deutschlandweit tätige Stadtmobil-Gruppe in Essen 35 Stationen, im nur halb so großen Karlsruhe aber 225.

Die bundesweit in 23 Städten aktive Cambio-Gruppe (113.000 Kunden, 2885 Fahrzeuge) ist im Ruhrgebiet ebenso wenig vertreten wie die beiden großen Car-Sharing-Töchter von BMW und Daimler, die sich erst jüngst zur Share-Now-Gruppe zusammengeschlossen haben.

Im Städte-Ranking des Bundesverbandes Car-Sharing belegen Revierstädte wenig überraschend hintere Plätze. Unter den 144 Städten mit Car-Sharing-Angeboten rangiert Essen als beste Revierstadt auf Rang 68. Bochum und Dortmund schaffen es nur auf Platz 93 bzw. 95, Duisburg liegt abgeschlagen auf Rang 112. Das Schlusslicht der bundesweiten Skala bildet Gelsenkirchen. Rein rechnerisch kommen hier auf 1000 Einwohner 0,01 Car-Sharing-Fahrzeuge. In Köln, der Car-Sharing-Hochburg in NRW, sind es 127 Mal so viel.

Warum ist das Ruhrgebiet Car-Sharing-Diaspora?

Weil das Ruhrgebiet für Car-Sharing-Anbieter ein vergleichsweise junger Markt ist, sagt Gunnar Nehrke, Geschäftsführer des Bundesverbandes Car-Sharing. Die Unternehmen seien deshalb auch auf die Unterstützung durch die Politik vor Ort angewiesen. „Doch man kann nicht sagen, dass sich die Ruhrgebietskommunen auf diesem Gebiet bisher besonders hervorgetan hätten“, kritisierte Nehrke.

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Vieles habe schlicht mit Sichtbarkeit zu tun. Nehrke: „Oft parken die Fahrzeuge ja in Tiefgaragen, Hinterhöfen oder auf Supermarkt-Parkplätzen, also eher im hintersten Winkel. Wir müssen die Car-Sharing-Stationen aber in den öffentlichen Raum rücken.“ Dann werde das Angebot auch besser wahr- und angenommen. Große Anbieter lockt das Revier derzeit jedenfalls nicht. Zur Frage, ob die weltweit expandierende Share-Now-Gruppe (20.000 Fahrzeuge, davon allein in Berlin 2600) den Markteintritt im Ruhrgebiet plane, sagte ein Unternehmenssprecher: „Es gibt keine konkreten Pläne.“

Ist der schleppende Ausbau hausgemacht?

Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen, sieht das Ruhrgebiet in Sachen Car-Sharing strukturell gleich mehrfach schlecht aufgestellt. Für ein flächendeckendes Car-Sharing sei das Ruhrgebiet als Ballungsraum insgesamt nicht dicht genug besiedelt. „Die Fahrzeuge müssen ausgelastet sein, damit sich Car-Sharing für die Anbieter rechnet“, so der Autoexperte.

In Oberhausen wird Car-Sharing mit Elektromobilität kombiniert.
In Oberhausen wird Car-Sharing mit Elektromobilität kombiniert. © Kerstin Bögeholz

Das funktioniere aber nur in den großen Stadtkernen wie etwa Köln. Außerdem sei das Ruhrgebiet durch eine für Car-Sharing ungünstige Sozialstruktur geprägt. Dudenhöffer: „Es gibt hier viele Menschen, die mit Car-Sharing nichts anfangen können. Sei es, weil sie selbst drei Autos in der Garage haben. Sei es, weil sie auf dicke Auspuffe und das eigen Auto als Statussymbol viel Wert legen.“

Wie kann Car-Sharing die Umwelt entlasten?

Laut Umfragen des Bundesverbandes Car-Sharing (BCS) führt Car-Sharing gerade in urbanen Gebieten zur Abschaffung von Autos. Demnach haben 70 bis 80 Prozent der Kunden des stationsbasierten Car-Sharing kein eigenes Auto mehr. Beim sogenannten Free-Floating-System, bei dem die Autos in einem festgelegten Gebiet einfach in jeder beliebigen Parkbucht abgestellt werden können, sind es immerhin noch rund 30 Prozent.

Wie kann Car-Sharing besser funktionieren?

Voraussetzung ist laut BCS eine Kombination der Verkehrsmittel. Erfahrungen zeigten: je attraktiver der öffentliche Nahverkehr desto größer die Akzeptanz für Car-Sharing. Auch ein gut ausgebautes Radwegenetz sei von Vorteil. Außerdem müsse es genügend Stellplätze für die Car-Sharing-Flotte im öffentlichen Raum geben. Als ideal für die Branche gilt, wenn die Fahrzeuge nicht weiter als 400 Meter von der eigenen Haustür entfernt stehen.

Car-Sharing ist jedoch nichts für Berufspendler, die jeden Tag mit dem Pkw zur Arbeit fahren müssen. BCS-Geschäftsführer Nehrke: „Das sind Buchungsszenarien, die sich nicht rechnen.“

Was sagt die Politik?

Mona Neubaur, Co-Vorsitzende der Grünen in NRW, fordert ein Umdenken in der Verkehrspolitik. „Car-Sharing ist ein wichtiger Baustein der Mobilität der Zukunft, besonders wenn möglichst große Teile der Flotten emissionsfrei sind, etwa weil sie mit sauberem Strom aus Sonne und Wind betrieben werden“, sagte Neubaur dieser Redaktion. Bund, Länder und Gemeinden seien gefordert, Anreize zu setzen und ganz konkret die geteilte Mobilität zu fördern – etwa über die Bereitstellung von Parkplätzen, durch Förderprogramme oder das Engagement kommunaler Versorger und Verkehrsbetriebe.

Wenn die Autos gut sichtbar an zentralen Stellen der Stadt geparkt werden, erhöht das die Akzeptanz von Car-Sharing, sagen Experten.
Wenn die Autos gut sichtbar an zentralen Stellen der Stadt geparkt werden, erhöht das die Akzeptanz von Car-Sharing, sagen Experten. © Erwin Pottgiesser

Als Vorbild aus der Region nannte Neubaur die Stadtwerke Düsseldorf, die sehr erfolgreich ein dichtes Netz aus E-Rollern, aufgebaut hätten. Neubaur: „Diesem Beispiel könnten sich auch Versorger aus der Metropole Ruhr anschließen.“

>>> Das Land unterstützt Kommunen beim Ausbau

Das Land NRW erleichtert Kommunen die Ausweisung von Parkflächen speziell für Car-Sharing-Angebote. Eine entsprechende Änderung des Straßen- und Wegegesetzes ist im März in Kraft getreten. Es fügt den neu geschaffenen Paragrafen „Sondernutzung durch stationsbasiertes Car-Sharing“ in das Landesrecht ein. Damit bekommen die Städte einen einheitlichen rechtlichen Rahmen zur Ausweisung stationsbasierter Car-Sharing-Stellplätze im öffentlichen Straßenraum.