Ruhrgebiet. Unter den Top-25-Reisezielen für 2022 bei „National Geographic“: Wie die Auszeichnung den Tourismus an der Ruhr nach vorne bringen soll.
Seit 13 Jahren ringt Axel Biermann (56) darum, die Menschen ins Ruhrgebiet zu locken – wenigstens für ein paar Tage. „Es wird Zeit“, sagt der Geschäftsführer der Ruhr Tourismus in Oberhausen, „dass wir mal aus dieser Dauer-Rechtfertigungsschleife rauskommen, dass es hier doch auch grün ist.“ Es ist, wie es ist, und entweder es gefällt oder eben nicht, müsse das Motto sein. Das klingt trotzig, aber bei allen Schwächen, die im Revier so unübersehbar sind wie der Gasometer, sieht man sich als Vermarkter ungern ewig in der Defensive. Und es gibt ja auch gute Gründe, dort nicht zu verharren.
Einbruch bei den Besucherzahlen
Die Besucherzahlen sind trotz zarter Erholung im Sommer 2021 höllisch im Vergleich zu 2019, das sind sie allerdings überall auf der Welt. Im ersten Halbjahr brachen sie im Revier um 78 Prozent ein, von Milliardenverlusten ist die Rede. Aber Biermann sieht seine Mission mit neuem Treibstoff befüllt: „National Geographic“, das angesehenste und traditionsreichste Geografie- und Reisemagazin überhaupt, hat das Ruhrgebiet im November als eines von 25 Top-Reisezielen weltweit ausgezeichnet. Natürlich spricht Biermann in diesen Tagen gerne und immer wieder darüber, man spürt, dass er sich im Umfeld etwas mehr Enthusiasmus für diesen Ritterschlag wünscht.
„National Geographic“ wirbt für das Ruhrgebiet
Im Ruhrgebiet seien Halden aus dem Bergbau und „post-apokalyptisch wirkende“ Industriegebäude zu Parks und Open-Air-Kulturräumen umgebaut worden, heißt es in der Begründung bei „National Geographic. Mit zahlreichen Radwegen auf ehemaligen Eisenbahnstrecken und Wanderwegen kombiniere es „in einzigartiger Weise Natur und Industriekultur“.
Schon vor zwei Jahren hatte das Magazin in einem üppig bebilderten Artikel in seinen englischsprachigen Ausgaben für einen Trip ins Revier geworben – Corona würgte das Reisen auf dem Globus ab.
Einen Besucherrekord nach dem anderen hatte Axel Biermann seit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 verkündet. „Wir sind langsam im Tourismus angekommen“, sagte er 2019 mit Blick auf deutlich mehr als acht Millionen Übernachtungen im abgelaufenen Jahr. Auch wenn seinen eigenen Einschätzungen zu Folge mehr als 70 Prozent der Besucher immer noch Geschäftsreisende sind, ist der wachsende Erfolg des Ruhrgebiets im Freizeitfeld unbestreitbar: Fußball, Konzerte, Radfahren, Ausstellungen und Industriekultur, vom Regionalverband Ruhr fleißig gepflegt, sind die Treiber.
Biermann sieht „Riesenchance für den Nahtourismus“
Wie es indes mit Messen, Tagungen und Kongressen weitergeht, ist kaum vorherzusagen. Aber dass der Tourismus sich verändern wird, davon ist Biermann überzeugt. „Die 29-Euro-Flüge nach Barcelona sind Geschichte, an der Flugscham ist schon etwas dran, glaube ich, und das“, hofft er, „ist die Riesenchance für den Nahtourismus, der mal den schnellen Tapetenwechsel bietet.“
Eine neue Werbekampagne in Teilen Deutschlands und den Niederlanden soll genau da ansetzen: „Wir müssen noch viel mehr junges Publikum hier hinbringen“, sagt Biermann, „Leute, die nicht die alten Vorurteile im Kopf haben, dass hier immer noch die Briketts durch die Luft fliegen, kreative Leute, die mal was anderes erleben wollen.“ Die vielen Studierenden an den Ruhrgebiets-Universitäten könnten „wunderbare Multiplikatoren“ sein. Man sei nicht im Wettbewerb mit Berlin oder Hamburg, aber zum Beispiel mit Leipzig oder Antwerpen.
Ein Bolzplatz aus der Vogelperspektive
Mit Fotos, die mal auf Zollverein verzichten und all die vermeintlichen Sehenswürdigkeiten, die der Reiseführer so gerne aufzählt, wolle man Neugier wecken, hofft Biermann. Ein junges Pärchen beim Kicken, vor Graffitiwänden oder beim Bummel durch eine x-beliebige Wohnstraße, ein Bolzplatz aus der Vogelperspektive, der Haldenblick in die Industrieferne – ob jeder die sympathische Frische darin erkennt, die sich die Ideengeber davon versprechen, mag Geschmackssache sein, aber ist es das bei Werbung nicht immer?
Für eine digitale Datenbank, die gerade aufgebaut wird, ein Reiseführer mit rechtefreien Bildern, die man also herumsenden kann, ohne Anwaltsschreiben eines Rechteinhabers befürchten zu müssen, fließen Millionen aus der EU und vom Land. Bei der Suchmaschine Google, bei der nun einmal alle alles suchen, damit höher und besser gelistet zu werden, soll eine Folge davon sein. Der Tourismus habe nun mal immer noch großes Potenzial, beteuert Biermann. Wie schnell sich das wieder in Zahlen ausdrücken wird, das weiß gerade niemand.