Ruhrgebiet. . Mehr als acht Millionen Übernachtungen im Revier in einem Jahr: Wir erklären, warum das das Ruhrgebiet immer mehr Besucher anlockt:
Als der Berg rief im Gasometer, da flogen – ausgerechnet – die Schweizer ein zur Ausstellung in Oberhausen. Dass die neue Seidenstraße nach 11.000 Kilometern Bahnstrecke am Duisburger Hafen endet, ist sogar bei chinesischen Touristen nicht unbemerkt geblieben. Und selbst die Niederländer rauschen nicht nur durchs Revier, um
möglichst schnell ins Sauerland zu kommen, sondern halten immer öfter an: „Wir sind langsam im Tourismus angekommen“, sagt Axel Biermann.
Der Geschäftsführer der Ruhr Tourismus GmbH (RTG) blickt auf ein Zahlenwerk, das seine Einschätzung stützt. 2017 verbrachten Hotel- und Pensionsgäste im Ruhrgebiet zum ersten Mal in einem Jahr zusammen mehr als acht Millionen Nächte. Die Daten für 2018 liegen Biermann im Februar vor, sie werden mit großer Wahrscheinlichkeit noch besser ausfallen: In den ersten neun Monaten gab es schon 123.000 Übernachtungen mehr als im Vorjahreszeitraum.
Kulturhauptstadt brachte den Schub
Seit 1992 haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt. Und, das ist Biermann besonders wichtig: „Wir wachsen stärker als der Landesdurchschnitt.“ Der lag in NRW in den vergangenen zehn Jahren bei einem Plus von 21 Prozent, das Revier kommt auf 34 Prozent. Das Kulturhauptstadtjahr 2010, in dem das Ruhrgebiet sogar die Titelseiten der großen Reisekataloge eroberte, hat den Schub ausgelöst.
Die Statistiken trennen Geschäftsreisende und Urlauber nicht, dass erstere schon wegen der Messen deutlich in der Überzahl sind, ist unbestritten. Je nach Stadt gehen Experten von mindestens 70 Prozent professionellen Anlässen für einen Aufenthalt im Ruhrgebiet aus.
Flusskreuzfahrten über Duisburg
Allerdings sei der wachsende Tourismus an allen Fronten spürbar,
berichtet Andreas Wietheger, Abteilungsleiter unter anderem für Städtereisen bei Ruhr Tourismus. „Selbst die Nachfrage für Flusskreuzfahrten vom Bodensee mit einem Stopover in Duisburg auf dem Weg nach Amsterdam hat angezogen.“ Zwar tauchten diese Übernachtungen nicht in der Statistik auf. „Aber die Leute geben ja Geld aus, wenn sie im Duisburger Innenhafen sind.“
Wietheger ist überzeugt: „Die Übernachtungszahlen insgesamt werden hier weiter steigen.“ Ein Indiz dafür: 20 neue Hotels sind im Bau oder in Planung. Es hat indes vermutlich nicht nur mit der wachsenden Attraktivität des Reviers für Besucher zu tun, sondern auch mit der Zinssituation und der Lust auf Hotel-Investments. Im Ergebnis aber stärke es den Standort: „Die werben ja auch“, so Biermann, „weil sie an einer guten Auslastung interessiert sind.“
Konzerte und Fußball als Lockmittel
Jenseits von Industriekultur und Rad-Tourismus seien aktuelle Anlässe als Lockmittel nach wie vor das dickste Pfund. Biermann: „Große Konzerte
oder Fußballspiele helfen natürlich immer.“ Über Events ließen sich auch jüngere Zielgruppen verstärkt gewinnen. Die RTG wird wie in jedem Jahr die „Extraschicht“, die Nacht der Industriekultur, ausrichten, der „Tag der Trinkhallen“, der es bis in die „ARD-Tagesthemen“ schaffte, ist erst wieder für 2020 vorgesehen.
In den Niederlanden und im Rhein-Main-Raum ist Ruhr Tourismus mit Plakaten, Postkarten und Radio-Werbespots unterwegs. Journalisten und Blogger werden eingeladen in der Hoffnung, dass ihre Berichte mehr Publikum anlocken. „Der Reiz“, glaubt RTG-Sprecherin Sarah Thönneßen, „liegt ja hier auch darin, Trendscout für andere zu sein, weil hier noch nicht jeder Pfad ausgetrampelt ist.“
Politik hat Stellenwert des Tourismus erkannt
Biermann ist überzeugt, dass der Stellenwert des Tourismus für die Region auch in der Politik mittlerweile erkannt worden ist. „Das ist doch im Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte ein wichtiger Faktor“, so
Biermann: „Wo ich mich als Tourist wohlfühle, fühle ich mich in der Regel auch als Bewohner wohl.“
Auch im Rahmen der Ruhrkonferenz werden Fachleute nach Zukunftskonzepten fahnden, dem Vernehmen nach soll eine neue Landestourismus-Strategie entwickelt werden. Biermann: „Wir müssen darüber reden, auf welchen Wegen wir unsere potenziellen Kunden am besten erreichen, mit welchen Instrumenten wir ihre Aufmerksamkeit wecken, wie wir sie betreuen, wie wir ihren Besuch nachbereiten.“
Die Digitalisierung stellt manches auf den Kopf
Dass die Digitalisierung auch im Tourismus noch manches auf den Kopf stellen wird, davon ist auch Axel Biermann überzeugt: „Du wirst zuhause sitzen und sagen, ,Alexa, buch mir mal ein paar Tage Mallorca’“. Dass der kleine Sprachassistent dann das Ruhrgebiet als Ausflugsziel empfiehlt, daran wird man wohl noch arbeiten müssen.