Recklinghausen. Katrin Sobczak hält zwei Schweine im Garten. Fünf Jahre lang nickten Behörden das ab. Nun will das Bauamt Recklinghausen die Schweine forthaben.

„Hier wohnt das Glück“, steht auf dem Türschild, dazu ein aus Draht gebogenes Schwein und ein Kleeblatt. „Nur wie lange noch“, sagt Katrin Sobczak, als sie öffnet. Ein Schwein des Anstoßes wartet bereits im Garten, das andere rappelt sich gerade im Stall vom Mittagsschlaf hoch. Die beiden Schweine sollen verschwinden, hat das Bauamt von Recklinghausen verfügt. Was vielleicht nicht überraschen würde, wenn die Tiere nicht seit fünf Jahren im Garten dieses Reihenhauses leben würden – mit schriftlicher Genehmigung des Kreisveterinäramtes und mit Kenntnis des Ordnungsamtes, der Tierseuchenkasse und der Landwirtschaftskammer NRW. Die Frist des Bauamtes ist bereits abgelaufen, nun läuft ein Eilverfahren.

„Ich leg mal eine Decke hin, auf die nasse Wiese wird Bilbao sich sonst nicht legen. Ist ein Komfortschwein.“ In die spanische Stadt Bilbao ging der erste Flug in Katrin Sobczaks Leben. Von dort aus besuchte sie ihre Eltern auf einem Bauernhof in Südfrankreich; dort sollte dieses kleine, braun gefleckte Ferkel geschlachtet werden, das sie mit großen Augen ansah. Kindchenschema. Eine Hängebauchentscheidung. Und plötzlich stand das Schwein in ihrem Garten.

Ein Mini-Elefant namens Bilbao

Aus dem Ferkel wurde ein strammer Eber. „Bilbao“ ist allerdings kastriert.
Aus dem Ferkel wurde ein strammer Eber. „Bilbao“ ist allerdings kastriert. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Fünf Jahre später kann Bilbao sie längst nicht mehr anschauen, seine Augen sind längst verschwunden hinter Wulsten von, nun, Speck. Was genetisch bedingt ist. Bilbao ist ein wuchtiger Eber, ein „vietnamesisches Hängebauchschwein“, das auf keine Haushaltswaage passt, so dass man nur schätzen kann. 100 Kilo? Kastriert, darum sind auch seine Hauer im Vergleich zierlich geblieben. Stroh bildet einen Flaum auf seinem Rüssel. Zwischen den Borsten die graue, ledrige Haut. „Ein Mini-Elefant“, sagt Sobczak. Und da Schweine nicht allein leben sollen, hat sie noch „Mubi“ dazu genommen, ebenfalls mit hängendem Bauch.

Im Kern geht es darum: Für Katrin Sobczak (36) sind ihre Schweine geliebte Haustiere, die sie mit der Flasche großgezogen hat. Die Nachbarn empfinden sie als Belästigung, und für das Amt sind sie Nutztiere qua Rasse. Und für Nutztiere gelten andere Regeln. Die Haltung von Schweinen, Ziegen und Eseln zum Beispiel kann grundsätzlich in Wohngebieten untersagt werden. Es ist Pech für Katrin Sobczak, dass sie nicht auf der anderen Straßenseite wohnt. Ein paar Meter weiter beginnt laut Bebauungsplan das Mischgebiet – dort wäre die Haltung wohl möglich. Der Stadtteil Röllinghausen liegt umgeben von Landwirtschaft und Grün, aber die Ortlohstraße an der Katrin Sobczak und Adrian Schröder wohnen, ist eben eine größere Reihenhausstraße, typisch fürs Ruhrgebiet.

„Bei uns in einer Zechensiedlung gab‘s immer Schweine und allerlei Kleinvieh, sogar Pferde“, merkt ein Kommentator auf Facebook an, wo es natürlich auch hoch her geht. „Im Ruhrpott ist das Kulturgut.“ Doch neben viel Solidarität wird ebenso viel geschimpft. Auf die „deutsche Bürokratie“ und auf jeden, der Kritisches schreibt. „Man sieht nur das Tier hier, aber wie es den Anwohnern geht, die neben dem Tier wohnen, ist egal...“, erklärt eine Betroffene: „Es stört nicht nur mich, es haben sich schon zahlreiche Leute beschwert.“ Sofort hagelt es kotzende Emojis. Ihr wird der Umzug nahegelegt.

Schweinetoilette hinterm Schuppen

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„Wenn ich mal nicht sofort die Haufen wegräume, kann es natürlich leicht riechen“, sagt Sobczak. „Aber generell sind Schweine die saubersten Tiere überhaupt. Sie gehen immer zur selben Ecke, um zu toilettieren.“ Das ist hinter dem Schuppen, so weit wie möglich entfernt von der Terrasse. „Ich streue immer Kaolinpulver, so dass es nicht riecht.“ Heute hat es geregnet. Es riecht tatsächlich nicht, aber wie es an heißen Sommertagen ausschaut, können wir nicht beurteilen.

Das Ordnungsamt jedenfalls klingelte über die Jahre mehrfach bei Sobczak und Schröder, schnüffelte im Wortsinn, suchte nach Ratten, von denen es in der Gegend offenbar zu viele gibt, und ging auch dem Hinweis auf Fliegen nach, die eine Nachbarin gegenüber (verwandt mit den ersten Beschwerdeführern) in ihrer Küche gefilmt haben soll. Es gab offenbar nie etwas zu beanstanden. Noch im März erteilte das Veterinäramt des Kreises die Haltungsgenehmigung, wie immer befristet auf weitere fünf Jahre. Am 21. April kam dann das Schreiben des Bauamtes. Innerhalb von knapp vier Wochen müssten die Schweine weg, bis zum 16. Mai. Auch hier wird die Geruchsbelästigung von Nachbarn erwähnt.

Katrin Sobczak hat geklagt gegen die Anordnung. Parallel sucht sie natürlich nach einer Unterbringung. „Aber alle Begegnungs- und Gnadenhöfe in der Umgegend sind voll. Ich wäre auch bereit ein Stück Land zu mieten, aber das müsste ja auch den Anforderungen entsprechen, mit doppelter Einfriedung, einem hohen Zaun.“ Und es müsste erreichbar sein für sie. Auch die Facebook-Gruppe „Notrüsselchen“ konnte nicht weiterhelfen.

Nur ein Fristaufschub

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Wann das Gericht entscheidet, sei noch nicht abzusehen, erklärt die Stadt Recklinghausen. Sollte Karin Sobczak das Eilverfahren verlieren, müssen die Schweine in jedem Fall anderswo untergebracht werden. Und die medizinische Fachangestellte muss wohl das bereits angedrohte Zwangsgeld von 500 Euro zahlen. Doch auch wenn das Verfahren für Sobczak ausgeht, könnte sie Schwein nur gehabt haben. Ein Fristaufschub wäre das zunächst, mehr nicht. Denn zunächst geht es nur um den sofortigen Vollzug des Verbots. „Generell ist festzuhalten, dass die Nutzung nicht genehmigungsfähig ist“, so eine Stadtsprecherin. In einem weiteren Gerichtsverfahren müsse also geklärt werden, ob die Schweine bleiben dürfen.

„Ich erhoffe mir eine Art Duldung oder Bestandsschutz“, sagt Sobczak. „Es ist ja nicht so, als ob ich die Schweine heimlich oder illegal halten würde. Ich habe ja sofort die Stadt und alle möglichen Stellen informiert. Nie hat mir jemand einen Hinweis gegeben, dass ich auch das Bauamt einschalten müsse – und ich habe beim Ordnungsamt gefragt, ob ich noch etwas tun kann.“ Es wäre sicher leichter gewesen, sagt sie, eine neue Unterbringung für Bilbao zu finden, als er noch klein war und es seine Gefährtin Mubi noch nicht gab. Sogar bei eBay-Kleinanzeigen hat Sobczak ihre Gefährten nun inseriert: „Bis jetzt kennen die beiden unseren Garten und ihren Stall, lieben Wassermelonen und am Bauch gekrault zu werden. Das ist alles sehr traurig!“