Bochum. Die einen kaufen die Nudeltheke leer aus Angst, die anderen bleiben gelassen. Angstforscher Jürgen Margraf erklärt, warum beides normal ist.

Die Spannbreite menschlichen Verhaltens angesichts des Corona-Virus’ ist riesig. Manche versuchen, möglichst nur noch zuhause zu bleiben, andere freuen sich darauf, mit 300 anderen in einer überfüllten Kneipe Fußball zu gucken. Und bei des ist völlig normal. „Auf Gefahr reagiert jeder Mensch mit Angst“, sagt Angstforscher Professor Margraf: „Der Unterschied entsteht, weil Menschen Gefahren unterschiedlich einschätzen. Wenn man sie für kontrollierbar oder wenigstens abschätzbar hält, ist der Stress geringer.“

Margraf ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum und hat in den letzten Wochen genau verfolgt, was das Virus psychologisch mit den Menschen macht. Diese unterschiedliche Einschätzung beruht auf Persönlichkeit, eigenen Erfahrungen, Genetik und teilweise paradoxen äußeren Einflüssen. „Wenn Sie jemandem zehn Mal sagen, mach’ dir keine Sorgen, dann fängt der an, sich Sorgen zu machen.“

Gefahren werden unterschätzt, wenn man sie schon lange kennt

Professor Jürgen Margraf ist ein renommierter Spezialist für Angst- und Panikstörungen. Im Februar 2010 übernahm er einen Lehrstuhl in Bochum.
Professor Jürgen Margraf ist ein renommierter Spezialist für Angst- und Panikstörungen. Im Februar 2010 übernahm er einen Lehrstuhl in Bochum. © WAZ FotoPool | OTTO, INGO

Generell fürchteten sich die Menschen vor den falschen Dingen, so Margraf. Die Angst sei besonders groß vor Dingen, die „unbekannt, außergewöhnlich und unfreiwillig“ sind – wie das Coronavirus. „Unbekanntes macht die größten Sorgen.“

Dagegen würden Gefahren unterschätzt, mit denen man schon lange umgeht: rauchen, Auto fahren, auf die Haushaltsleiter steigen. „Jeder Mensch hat nur 100 Prozent Ressourcen. Wenn wir sie stark auf eine Sache richten, wie das Virus, werden andere Dinge zurückgesetzt.“ Auch in diesen Tagen sei es für die Gesundheit viel wichtiger, sich beispielsweise richtig zu ernähren und viel zu bewegen, als Mundschutz zu kaufen. „Das ist relativ irrelevant“, sagt der 62-jährige Margraf.

Auch bei Angst tritt ein Gewöhnungseffekt ein

Die umfassende Berichterstattung vieler Medien konditioniert die Menschen demnach in gewisser Weise. „Wenn jemand niest, denken Sie an Corona und nicht an Grippe.“ Zugleich empfindet er sie diesmal „in den Qualitätsmedien als vernünftig und nicht alarmistisch“. Wer sich als Leser umfassend informiert fühle, bleibe ruhiger. „Dauerhaft in Panik herumzulaufen, ist nicht hilfreich.“ Das halte auch der Körper nicht durch.

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Dabei tritt auch bei Angst ein Gewöhnungseffekt ein. „Was alltäglich wird, regt nicht mehr auf.“ Wenn das Coronavirus nicht verschwinde, sondern sich einrichte und 2021 wiederkehre, „dann werden wir uns viel weniger die Hände waschen, und es wird viel weniger darüber berichtet“. Sein Beispiel ist HIV, also Aids: „Das HIV-Virus ist nicht besiegt, die Ansteckungsgefahr unter Heterosexuellen ist viel größer als früher, aber es ist irgendwie kein Thema mehr.“ Denn HIV ist: seit 35 Jahren bekannt.