Bochum.. Der Bochumer Psychologe und Panikforscher Jürgen Margraf glaubt, dass die Deutschen sich relativ schnell sogar an den Terror gewöhnen können.
Tote in Brüssel und Paris, der Anschlag in Nizza, ein Angriff in Würzburg: Verändert der Terror auch unser Leben – lassen wir uns von der Angst leiten? Professor Jürgen Margraf, Experte für Angst- und Panikforschung mit einem Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum, sprach darüber mit Frank Preuß.
Der Terror breitet sich in Europa aus. Neues und Unkontrollierbares dringt in unser Leben. Was macht das mit uns?
Die Welt trauert um die Opfer von Nizza
Jürgen Margraf: Der Terror will Angst auslösen. Man muss sich hüten, auf dieses Spiel einzugehen. Man darf sich nicht zu sehr Angst machen lassen. Aber es ist natürlich verständlich, das wir Ängste haben. Ich hatte auch schon die ersten Patienten, die aus Terrorangst nicht mehr fliegen wollen oder nicht mehr mit der Bahn fahren. Klinische Phobien hat es ja immer schon gegeben, jetzt kommt der Terror hinzu. Ich würde aber mit den Erfahrungen aus der Psychologie erwarten, dass die Menschen sich sogar daran relativ schnell gewöhnen. Wir gewöhnen uns an erstaunlich vieles.
Ist Israel ein Musterland dafür, dass man sich sogar an Terror gewöhnen kann?
Margraf: In der Tat. Sie denken eben nicht ständig daran. Die Israelis leben mit einer Bedrohung, die wir uns kaum vorstellen können. Und sie leben trotzdem. Die Amerikaner lernen früh, sich „streetsmart“ zu verhalten. Sie wissen, dass sie in bestimmte Straßen besser nicht gehen. Die Tötungsrate in Amerika ist viel höher als in Deutschland, und die Amerikaner haben trotzdem nicht permanent das Gefühl, sie könnten so nicht weiterleben.
Die Chance, Opfer eines Anschlags zu werden, ist mikroskopisch klein. Kann man Ängste mit Statistiken bekämpfen?
Margraf: Begrenzt. Die Menschen hören eher auf Anekdoten als auf Statistik. Und das spielt dem Terror natürlich in die Hände. Es wird eher über den Einzelfall berichtet als über eine Statistik. ,Er war eigentlich ein netter Junge, und wir können uns nicht erklären, warum er das getan hat’ – sowas merken wir uns leider, und es leitet unser Handeln. Es gibt eine Statistik, die besagt, dass im ersten halben Jahr nach den Anschlägen des elften September tausend Leute mehr bei Autounfällen umgekommen sind, weil viel weniger geflogen sind.
Wovon hängt es ab, ob man Angst hat? Eine Frage der Intelligenz?
Margraf: Angst ist nichts Dummes. Wir brauchen sie zum Überleben. Es gibt eine persönliche Veranlagung zur Angstbereitschaft, die davon abhängt, wie man die Situation einschätzt. Entscheidend dafür ist, ob ich meine, die Angst kontrollieren zu können. Dann kann man sie sogar cool finden wie auf der Achterbahn. Wenn wir das Gefühl haben, wir können sie nicht kontrollieren, dann reichen kleine Schrecken schon aus.
Sollte man Angst ausweichen oder sich ihr stellen?
Margraf: Die allermeisten denken erst recht an etwas, wenn sie versuchen, es zu unterdrücken. Das klappt aber nur, wenn einem die Dinge egal sind. Besser ist es, sich aktiv damit auseinanderzusetzen, darüber zu reden, sich nicht einschränken zu lassen. Den Alltag weiterzuleben hilft sehr.
Wann sollte man sich Hilfe holen?
Margraf: Wenn Sie die Angst beeinträchtigt in ihrem Leben, wenn Sie Ihre Pflichten nicht mehr erfüllen können, wenn die Angst unangemessen groß und unkontrollierbar ist, dann brauchen Sie Hilfe.
Bedroht Angst unseren westlichen Wertekanon, weil Vorurteile Besitz von uns ergreifen?
Margraf: Natürlich. Wenn man in einem Schwarz-Weiß-Schema dazu neigt zu sagen, jetzt gibt es klar definierte Böse. Gegen die Bösen ist ja alles erlaubt. Da kommen dann Ideen aus der Mottenkiste wie Todesstrafe oder Internierungslager. Das ist eine große Falle, die die Anstifter uns stellen. Sie wollen ja sagen, wir haben immer gewusst, dass eure Liberalität nur an der Oberfläche existiert. Es ist aber auch zu einfach, zu sagen, die sind so völlig anders als wir. Wir haben kulturzivilisatorische Errungenschaften, die es uns möglich machen, uns zivilisiert zu benehmen. Unter der Oberfläche lauern aber auch Abgründe. In der Nazizeit konnten normale Polizisten Schreckliches tun und dann einfach nach Hause gehen.
Empfinden Sie denn die jetzige Lage als bedrohlich?
Margraf: Ja, aber der Terror ist zu schwach, uns komplett zu verändern. Die Aktivitäten werden hier verstärkt, weil die Urheber in ihrer Heimat unter Druck geraten sind. Traurig finde ich, dass es immer wieder gelingt, jungen Menschen einzureden, dass es etwas Sinnhaftes ist, Unschuldige zu töten.
Wovor hat der Experte Angst?
Margraf: Ich habe größere Hemmungen, zu einem Fußballspiel zu gehen.