Dortmund. Fast 20 Jahre nach dem Auszug des letzten Bewohners wird Dortmunds „Horrorhaus“ abgerissen. Die Bagger klettern dafür bis in die 18. Etage.
Heizung und warmes Wasser waren längst aus, da wich im November 2002 das restliche Leben aus dem Riesen. Der letzte Bewohner floh und hinterließ auch Dortmund ein leerstehendes „Horrorhaus“. Fast 20 Jahre später nimmt dieser Schrecken endlich ein Ende: Das 18-stöckige Hochhaus in der Nordstadt wird abgerissen. Und der vornehme Terminus „Rückbau“ stimmt diesmal sogar.
Es liegt in der Natur von „Problemimmobilien“, das sie nicht zu übersehen sind: Diese ist 52 Meter hoch, drei aneinandergeklebte Türme in Waschbeton gekleidet – wie ein mahnender Zeigefinger steht das Gebäude an der Tür zur Nordstadt. Aus längst blinden, hohlen Augen blickt es über den ohnehin nicht mit Attraktivität geschlagenen Stadtteil, die Stadt bemüht sich nicht einmal, es schönzureden: „Stark verwahrlost“ sei es, „Schrott“ und ein „Schandfleck“. Von dem nicht nur Andreas Grosse-Holz als Leiter der Städtischen Immobilienwirtschaft froh ist, „dass es endlich wegkommt“.
Anleger hofften auf eine Altersversorgung
Sanierungsbedürftig ist die Kielstraße 26 schon, als der Ärger anfängt, aber das ist damals noch nicht das Problem. Gebaut in den späten 60ern, gehört der Komplex einem Wohnungsunternehmen, das weiterverkauft, als erste Arbeiten nötig wären. 1993, nach mehreren Eigentümer-Wechseln, wird das Haus filetiert: aufgeteilt in 102 Wohnungen, verkauft an 44 Geldanleger. Viele hoffen auf eine Altersvorsorge, zahlen überhöhte Preise, ohne das beginnende Elend überhaupt gesehen zu haben. Für die nötigen Modernisierungen haben die meisten kein Geld mehr übrig.
„Rückblickend“, schreibt die Stadt Dortmund heute, „beginnt hiermit die Entwicklung des Wohnkomplexes zu einer Schrottimmobilie.“ 2001 wirft die Hausverwaltung das Handtuch, im April 2002 wird die Heizung kaltgestellt, auch der Strom soll nicht mehr lange fließen. Die letzten Standhaften packen ihre Koffer, im November schließt die Stadt den Riesen für immer ab.
Stadt musste 80 Tonnen Sperrmüll entsorgen
Und da steht er. Schmutzig, beschmiert, vermüllt – bevor die Abrissarbeiten beginnen konnten, mussten erst 80 Tonnen Sperrmüll aus dem Gebäude entsorgt werden. 80.000 Kilogramm! Und auch die Schadstoffe müssen weg: Bevor die Wohnungen zerstört werden, werden sie nun doch noch saniert. Der Boden über altem Kleber wird herausgerissen, Wände von Asbest befreit. Nur hier und da sind noch Spuren von altem Leben: Orange-geblümte Tapeten, himmelblaue Badewannen-Fliesen, Teppichböden, die einmal rosa gewesen sein dürften. Es riecht nach feuchtem Putz. An der Außenmauer kämpft Efeu um sein Leben, an der Wand im Treppenhaus hat jemand namens „ICH“ seine Zuneigung zu Nadine bekundet: am 28. März 1998.
Das „verkommene“ Hochhaus muss weg, das ist in Dortmund früh klar. „Es zieht die Umgebung runter“, sagt Susanne Linnebach, die Leiterin des Amtes für Stadterneuerung, einen weiteren Brennpunkt braucht hier keiner. Was die Nordstadt aber wohl braucht, sind Flächen; diese wird bald knapp 4000 Quadratmeter haben. Allerdings ist die Sache nicht so einfach: Die Stadt ist nicht Eigentümerin des Gebäudes, wer aber ist es dann? Nach vielen Vorarbeiten und zwei Ratsbeschlüssen von 2009 und 2015 beginnt die Kommune zu kaufen: 102 Wohnungen auf 18 Etagen.
„Wir mussten die Besitzer erst finden“, sagt Susanne Linnebach, „und dann mit jedem einzelnen verhandeln.“ Manchen haben sie nicht mehr auftreiben können, anderen klarmachen müssen, dass ihre Wohnung im fernen Dortmund nicht mehr viel wert sei. Wieder andere empfanden das Kaufangebot der Stadt als „Befreiung“, sagt Linnebach. „Die hatten immer noch Kredite abzubezahlen“, seien froh gewesen, ohne Schulden aus der wenig Glück bringenden Kapitalanlage aussteigen zu können.
Abbruchvorhang schützt die Nachbarhäuser
Seit 2019 gehört das gesamte „Horrorhaus“ der Stadt – die es nun dem Erdboden gleichmacht. Fallen wird der Riese aber nicht, für eine Sprengung ist kein Platz. Das Hochhaus hat an seinen Flanken gleich zwei stilgleiche, aber nur vierstöckige Trabanten, an der engsten Stelle halten die nur acht Meter Abstand, minus das bereits stehende Baugerüst. Die oberen neun Stockwerke werden deshalb „scheibchenweise“ abgetragen, der Schutt wird durch den Aufzugschacht nach unten entsorgt. Ein Kran wird dafür kleine Abbruch-Bagger in die Höhe hieven.
Kein Platz für eine Sprengung
Eine Hydraulikzange nimmt die alten Waschbetonplatten der Verkleidung „an den Haken“, wie Amtsleiter Andreas Grosse-Holz sagt, ab Etage acht kann der Kran auch das Haus abreißen. „Rückbauen“, wie die Experten sagen, auch wenn das Unternehmen mit „Abbruch“ wirbt: Wäre das Gebäude nicht aus Beton, man könnte sagen „Stein für Stein“. Ein Abbruchvorhang aus Gummi und Stahlträgern soll die Nachbarn von Nummer 22 bis 32 vor herabfallendem Material schützen, vor Staub und Lärm schützt sie nicht. Aber schon Ende September, verspricht Grosse-Holz, wird zwischen Kiel- und Heiligegartenstraße „grüne Wiese“ sein. Darunter bleibt die Tiefgarage.
3,6 Millionen Euro kosten Ankauf und anschließender Abbruch des Gebäudes, 80 Prozent übernehmen Bund und Land mit Mitteln der Städtebauförderung. Weshalb feststeht, dass auch die spätere Neunutzung eine öffentliche sein muss: Gedacht wird etwa an eine Kindertagesstätte. Flächen und Plätze werden in der Nordstadt einigermaßen verzweifelt gesucht.