Dortmund. Nach fünf Fällen von Vogelgrippe wurden in Dortmund 120 Vögel einer privaten Vogelauffangstation eingeschläfert. Der Betreiber ist „tieftraurig“.
Es fing an mit einer Taube. Dann erkrankte ein Weißstorch, als nächster verendete ein Kranich, eine Ente, eine Nilgans… Da war es nicht mehr zu übersehen: In der privaten Vogelauffangstation von Ewald Ferlemann in Dortmund grassierte die Vogelgrippe. Er selbst meldete die Fälle, am Wochenende ließ die Stadt alle 120 Tiere töten. Ferlemann konnte nicht hinsehen, in seinem Garten ist es still geworden.
Die Möwe, die eigentlich schon nach Duisburg gezogen war, aber zum Abendfressen immer pünktlich erschien. Der Kronenkranich mit den verkrüppelten Füßen, den sie in einem Tierpark nicht mehr wollten. Die Dohlen, mit denen einst alles anfing, die Turmfalken, die Ibisse, Reiher, Singvögel: alle tot. Hinter dem Haus in der Zechensiedlung in Dortmund-Dorstfeld, „da ist jetzt ein Friedhof“, sagt eine Freundin Ferlemanns. Sie nennt es den „härtesten Schicksalsschlag, den je ein Tierfreund erleiden kann“. Ewald Ferlemann, der 67-Jährige, der sich seit mehr als 40 Jahren um kranke Vögel gekümmert hat und erst kürzlich den Deutschen Tierschutzpreis dafür bekam – sagte tagelang nichts. Er konnte nicht. Schlief nicht, aß wenig, findet noch immer kaum Worte. Er sei tief traurig, ließ er nun wissen, „am Boden zerstört“: „Es tut mir unsagbar für jedes einzelne Tier leid.“
Alles Kontaminierte muss entsorgt werden
Am Samstag rückte die Feuerwehr bei ihm an, Ferlemann floh: „Ich hätte nicht zusehen können, wie meine Tiere – für die ich so viel gekämpft und gehofft habe – getötet werden. Das hätte ich nicht geschafft.“ Man baute ein Baldachin vor sein Haus und darunter eine dieser orangefarbenen Desinfektionswannen. Vier Tierärzte und zwei Tierpfleger aus dem Zoo fingen die Vögel ein, zum Teil mit Keschern, sie setzten mehr als 100 Spritzen, alles, was da fleuchte, wurde eingeschläfert und später von der Feuerwehr zum Tierentsorger gebracht. „Der Anblick“, sagt Ewald Ferlemann nun gegenüber dieser Zeitung, „ohne ihnen helfen zu können, das hätte mich zerbrochen.“
Alles wurde gereinigt und desinfiziert, aber Ferlemann ist noch lange nicht fertig: Volieren müssen abgerissen, was kontaminiert sein könnte, beseitigt werden. Der Amtstierarzt sagt, wahrscheinlich seien es Wildvögel gewesen, die die tödliche Krankheit eingeschleppt haben – vielleicht koteten sie auf die Käfige, vielleicht auf den Boden. „Dem Betreiber ist kein Eigenverschulden vorzuwerfen“, betont die Stadt. Aber es habe keine andere Handhabe gegeben, als die Vögel zu töten. Das „aufopfernde Engagement“ des Vogelfreundes sei bekannt, die Gesetzeslage dennoch eindeutig, sagt ein Stadtsprecher, dem das Bedauern anzuhören ist: „Es ging einfach nicht anders.“
Stadt ordnete „Räumung des gesamten Bestandes“ an
Erst am Montag vergangener Woche hatte die Kommune vor der „Aviären Influenza“ gewarnt: „Achtung!“, die Geflügelpest, ausgelöst durch das Virus H5N1, komme näher. Halter wurden aufgefordert, Hygienemaßnahmen einzuhalten und sich auf eine mögliche Stallpflicht vorzubereiten. Die Krankheit war im Jahr 2021 allein in Geflügel-Betrieben in NRW 22-mal ausgebrochen, in 29 Fällen war sie bei Wildvögeln nachgewiesen worden. Betroffen waren demnach auch benachbarte Kreise in Westfalen. „Wildvögel“, bedauert der Stadtsprecher, „halten sich aber leider nicht an Kreisbegrenzungen.“ Wenige Tage später entdeckte Ewald Ferlemann die ersten toten Vögel in seiner Auffangstation, er stallte sie ein, sicherte alles und meldete – zu spät. Die Stadt ließ Abstriche nehmen, das „schreckliche Ergebnis“ war ein „Schock“ für Ferlemann: Dortmund ordnete sofort die „Räumung des gesamten Vogelbestandes“ an.
Rechtsgrundlage, erklärt die Kommune, sei das Europäische Tierseuchenrecht (Animal Health Law). Die Maßnahmen seien städteübergreifend mit dem zuständigen Ministerium und dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) abgestimmt: „unumgänglich und alternativlos zur Vermeidung der weiteren Verbreitung der Vogelgrippe“. Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Ewald Ferlemann hat ja nicht nur bei der Stadt einen Namen; Tierschützer aus dem ganzen Land kennen ihn und brachten ihm regelmäßig verletzte oder kranke Vögel. Er selbst sagt, er hätte sich „mildere Maßnahmen gewünscht“.
„Päppler“ nennen sie in der Tierschutz-Szene Menschen wie ihn: die ehrenamtlich und spendenfinanziert ihre Freizeit für die Tiere opfern. 50 Euro am Tag kostete die Tierpension den Rentner, er verbrachte den ganzen Tag zwischen seinen Volieren. Gesundete Vögel wilderte er schnell wieder aus, wie noch zu Jahresbeginn einen Basstölpel, der sich von der See ins Sauerland verirrt hatte. Viele flogen davon und kamen doch immer wieder. „Wer wegfliegen kann, kann das machen“, pflegte Ferlemann zu sagen; zu vielen gefiederten Gästen aber entstand auch eine emotionale Beziehung.
Tierschützer sammeln Spenden für den Betreiber
Tierschutzvereine aus dem Umland, Taubenhilfen, Nachbarn äußern nun ihr Mitgefühl, vor Ferlemanns Haus legten sie Blumen nieder, stellten Kerzen auf, schickten Geschenke, manche schrieben rührende Beileidskarten. Die Familie zeigt sich tief gerührt von der Unterstützung, sie gebe „Trost und Sicherheit“. Sängerin Stefanie Hertel, die ihm erst im Oktober den Tierschutzpreis für sein Lebenswerk überreichte, wünschte öffentlich „viel Kraft und alles Gute“. Auch andere trauern, so erklären sie bei Facebook, „und wir hoffen mit ihm, dass er seine Arbeit zum Wohle der Wildtiere wieder aufnehmen kann“.
Das ist für Ewald Ferlemann allenfalls eine finanzielle Frage. Noch ist nicht abzusehen, welche Kosten noch auf ihn zukommen. Schon jetzt werden Spenden gesammelt für den „schmerzhaften und anstrengenden Weg“. Aber der 67-Jährige wird ihn gehen, er kann gar nicht anders: Ohne seine Auffangstation, gestand er noch kürzlich, „könnte ich nicht leben“. Es sei, sagt er jetzt, jedes Mal „wie ein Wunder“, ein eigentlich totgesagtes Tier doch noch retten zu können. „Ich brauche diese Aufgabe für all diese wundervollen Tiere. Weil das mein Leben ist und so lange wie möglich sein wird.“
>>INFO: MASSNAHMEN GEGEN DIE VERBREITUNG DER VOGELGRIPPE
In Dortmund sind Geflügelhalter und Besitzer von Vögeln aufgerufen, Hygienemaßnahmen zur Vorbeugung der Vogelgrippe einzuhalten: kein Kontakt zu Wildvögeln, kein Besucherkontakt, Tragen von Schutzkleidung und mehr. Wirksamstes Werkzeug, heißt es bei der Stadt, sei die Haltung in geschlossenen Ställen. Auf eine Stallpflicht, die die Behörden im Fall einer weiteren Verbreitung von H5N1 anordnen könnten, wird ausdrücklich hingewiesen. Volieren oder Wintergärten müssten dann so eingerichtet werden, „dass kein Wildvogelkot von oben hineinfallen kann und auch keine Wildvögel eindringen können“.
In einem nun eingerichteten Schutzradius von zehn Kilometern rund um Dortmund gibt es laut Stadt neben sechs landwirtschaftlichen Geflügelhaltungen mit jeweils mehr als 1.000 Tieren rund 580 Hobbygeflügelhalter. Der Bereich betreffe auch Flächen der Stadt Bochum sowie der Kreise Recklinghausen und Unna. Das Veterinäramt muss dort nach dem Ausbruch in Dortmund-Dorstfeld kurzfristig Kontrollen durchführen.