Essen. Die Algarve lockt mit ihrer Insellandschaft, der entspannten Lebensart und dem angenehmen Klima. Die kleinen Fischersiedlungen und kilometerlangen Dünenstrände, sowie Straßen aus Sand ganz ohne Autos halten die Zeit an und beeindrucken die Urlauber der portugiesischen Region.

Helder Mendonça ist froh, dass er zurück ist. Der Mann mit der dunkelblauen Uniform lebt zum dritten Mal hier und hat eigentlich nie weg gewollt. Als Sohn eines Leuchtturmwärters aus Farol kam er hier vor bald vier Jahrzehnten zur Welt und wuchs im Schatten des 42 Meter hohen Ausrufezeichens aus Stein und weißem Putz auf.

Sein Spielplatz war die 220 Treppenstufen vom Erdboden entfernte Plattform mit dem riesigen rotierenden Spiegel. Die Tanzfläche seiner Jugend war der Strand vor der Haustür, wenn sie abends alle hingingen, Musik machten und feierten. Zur Ausbildung musste er aufs Festland – um anschließend zurückzukehren und den Job des Vaters zu übernehmen. Nach fünf Jahren wurde er routinemäßig auf einen Turm bei Lissabon versetzt.

Bloß nichts ändern –nur den Alltag leben

Jetzt ist er endlich zurück: wieder für eine Fünf-Jahres-Schicht in Farol auf der Insel Culatra. Sein eigener Sohn wird demnächst sechs Jahre alt, die Tochter ist gerade ein Jahr alt. Sie haben das Glück, genauso aufzuwachsen wie ihr Vater. Was aus seinem Sohn João einmal werden soll? Helder lächelt. „Am besten Leuchtturmwärter, am besten hier. Wenn es diesen Beruf dann noch gibt.“

Jetzt hat er Melancholie in seinem Blick. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass irgendwer die Insel bis dahin in die Zeit zurückgeholt haben wird. Die Fischer von Culatra, die Leuchtturmwärter von Farol, die Muschelfarmer aus Hangares haben ein gemeinsames Ziel: unbedingt weiter die Zeit anhalten, ganz im Stillen. Nichts ändern. Weiter ihre Arbeit machen, ihren Alltag leben. Es ist ihnen bisher ziemlich gut geglückt.

Die vergessenen Inseln der Algarve

Die fünf Eilande vor Faro und Olhão, die die Ria Formosa-Lagune zum offenen Atlantik hin wie ein Riegel schützen, sind die vergessenen Inseln der Algarve: Eilande mit nichts als kleinen Fischersiedlungen und Straßen aus Sand, mit Bars und Restaurants unter Sonnenschirmen und Markisen, mit kilometerlangen Dünenstränden und ganz ohne Autos.

Nur ein paar Traktoren zum Lastentransport durch den Sand sind dort unterwegs, wenn wieder mal ein paar Kisten Bier, eine Palette Mineralwasser und ein paar Kartons mit Cachaça-Flaschen angelandet werden. Sie tuckern ganz vorsichtig durch die Gassen zu den zwei Tante-Emma-Läden und den Gaststätten, um nur bloß nicht mit den vielen Blumentöpfen vor den Häusern, den Veranda-Mäuerchen, den halb im Sand versunken Pflanzkästen oder den Ästen manchen Medronho-Baumes zu kollidieren.

Das Festland mit seinen Touristenhochburgen ist nur drei Kilometer Luftlinie entfernt. Trotzdem braucht die Fähre von Olhão auf Zickzackkurs vorbei an Sandbänken und Untiefen zwischen 30 und 45 Minuten bis zum Anleger der Hauptinsel Culatra, die so heißt wie ihr größter Ort. Meistens vier-, im Sommer bis zu siebenmal am Tag fährt das alte Schiff und hat neben Einheimischen und Paletten mit Getränkekisten allenfalls Tagesbesucher mit an Bord.

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Keine Pension und kein Hotel auf der Insel

Bis nach sieben am Abend, wenn die letzte Fähre zurück ablegt, bleibt nur, wer sich später ein Wassertaxi zum Festland ruft – oder einen kennt, der einen kennt, der sein Häuschen vermietet. Alles in allem sind es in Culatra maximal eine Handvoll, in Farol ein paar mehr, die zu haben sind. Auf Dauer leerstehende Häuser gibt es deshalb nicht, weil es keine Flucht in die Stadt, kaum Wegzug gibt: „Die haben zu wenig Wasser drüben auf dem Festland, nur an einer Seite, nicht drumherum wie bei uns“, scherzt Leuchtturmwärter Mendonça.

Kein einziges Hotel gibt es auf der Insel, keine Pension – weil die Einheimischen so etwas hier nicht wollen. Es würde Unruhe in ihren Alltag bringen, das Leben verändern – das der 980 Einwohner von Culatra, fast alles Fischer oder Muschelfarmer mit ihren Familien, und das der 14 Einwohner von Farol im äußersten Inselwesten, von denen die Hälfte als Leuchtturmwärter arbeitet. Ihr gemeinsames Ziel: weiter die Zeit anhalten, den Alltag festhalten, das vertraute Leben noch so lange wie möglich so führen wie sie es seit jeher tun.

Schon immer bestimmen auf den Inseln vor allem die Gezeiten den Ablauf allen Tuns. Am Anfang steht dann jedes Mal die Fangfahrt hinaus auf die Lagune oder auf den atlantischen Ozean. Meist gegen Mittag sind die Fischer zurück, haben dann ihre Ausbeute bereits drüben auf dem portugiesischen Festland in Olhão angelandet.

Ein Bier in der Bar und über Fußball plaudern

Sie knoten ihre kleinen Boote mit so schönen Namen wie „Siempre Amigos – Einfach Freunde“, oder „Deus del Mar – Gott des Meeres“ wieder an den Steg zuhause in Culatra oder ziehen die Nussschalen auf den Strand und verschwinden dann auf ein „Sagres“-Bier in einer der Bars, diskutieren über Fußball und halten bald darauf Mittagsschläfchen mit dem Rücken an die schattige Wand der kleinen Kirche gelehnt. Und am Nachmittag, wenn der Geruch von gegrilltem Fisch aus jedem Innenhof aufsteigt, gehen sie nach Hause zu ihren Familien.

Abends ist es schnell ruhig im Ort, denn die meisten müssen früh in der Nacht schon wieder hoch und aufs Meer hinausfahren. Und auch am neuen Morgen schaut am neun Kilometer langen Sandstrand an der Atlantikseite der Insel wieder nur der Wind vorbeit. Er trifft sich hier mit der Sonne. Und sonst ist fast niemand da: diesmal nur zwei, drei Paare mit ein paar Badelaken und einem Sonnenschirm – weil noch immer fast keiner von dieser Insel und ihren vier Nachbar-Eilanden weiß. Auch nicht davon, dass Sonne und Wind sich hier zum Spielen verabreden.

„Culatra“, sagen die Leute vom Festland, „sieht aus, als hätte es einen Landstrich aus dem Nordosten Brasiliens vor Europas Küste gespült. Und irgendwie fühlt es sich dort auch so an.“

980 Fischer und ein paar Leuchtturmwärter hoffen, dass es noch lange so bleiben wird.(dpa)