Lissabon. Mitte der 1920er Jahre fand der Fado erstmals seinen Weg aus den Armenvierteln Lissabons in die vornehmen Salons der portugiesischen Hauptstadt. Nachdem er in den 80er und 90er Jahren in der Versenkung verschwand, erlebt der zum Unesco-Welterbe gehörende Musikstil derzeit eine Renaissance.
Es ist still im Saal. So still, dass man den eigenen Atem hören kann. Das Geklimper der Teller hat jetzt aufgehört. Die Kellner haben sich in die Küche zurückgezogen. Niemand spricht mehr. Nur eine Stimme durchschneidet die Nacht. Ana Sofia Varela hat die Augen geschlossen. Ihre Lippen funkeln im gedämpften Licht des Saals. Für Momente zieht sich ihr Körper zusammen, die Muskeln spannen sich an. Dann prustet sie alles Seelenleid heraus: Ó meu amor não te atrases. Oh meine Liebe, verspäte Dich nicht. Ihre Worte zerfließen in der Luft. Das Publikum honoriert es mit tosendem Applaus.
Wenn die Nacht ihre Fühler ausstreckt und es dunkel wird über Lissabon, scheinen die hohen Klänge der portugiesischen Gitarre förmlich durch die Gewölbe des Clube de Fado im Altstadtviertel Alfama zu fliegen. Dazu füllt der melancholische Gesang des Fado den Raum mit einem Kaleidoskop an Gefühlen: Liebe und Leidenschaft, Melancholie und Weltschmerz. Kaum ein Ort in der portugiesischen Hauptstadt ist bekannter für Fado als der Clube de Fado, und kaum ein Ort steht so für seine Wiedergeburt. Nach einer langen Durststrecke erlebt der Musikstil derzeit in Lissabon eine Renaissance. Seit 2011 gehört er sogar zum immateriellen Welterbe der Unesco.
Moderne Inhalte gebendem Fado ein neues Gesicht
Der Fado entstand Anfang des 19. Jahrhunderts in den Armenvierteln der portugiesischen Hauptstadt. Ob er sich aus den Gesängen portugiesischer Seeleute entwickelte oder brasilianische Wurzeln hat, ist bis heute nicht geklärt. Fest steht: Mitte der 1920er-Jahre hielt er in den vornehmen Salons Lissabons Einzug und trat seinen nationalen Siegeszug an. Außerhalb Portugals machte ihn später vor allem eine Person bekannt: die Sängerin Amália Rodrigues. In den 1950er-Jahren trug sie den Fado in die weite Welt.
Als sich in den 1980er- und 1990er-Jahren alle Welt dem Pop zuwandte, ebbte die Begeisterung für den Fado ab. Mit dem Tod von Amália Rodrigues 1999 schien das Kapitel Fado bereits zugeschlagen. Doch seit einiger Zeit versuchen einige junge Sängerinnen und Sänger in die Fußstapfen der großen Fadista zu treten. Künstler wie Camané, Carminho, Kátia Guerreiro, Mariza, Mísia, Ana Moura, Hélder Moutinho, Ana Sofia Varela und die auch hierzulande bekannte Band Deolinda geben dem Fado eine moderne Note. In der Altstadt von Lissabon machen immer mehr Fado-Lokale auf. In der Burg Castelo de São Jorge hoch über den Dächern Lissabons, werden regelmäßig Open-Air-Konzerte gegeben. Selbst die Straßenmusiker in den Gassen der Altstadtviertel spielen wieder öfter Fado. „Heute gibt es viele junge Künstler, die ihren Erfolg nachzuahmen versuchen“, sagt Mário Pacheco. „Einige davon haben den Durchbruch geschafft.“
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Pacheco muss es wissen. Er ist Sohn des berühmten Fado-Gitarristen António Pacheco und Besitzer des Clube de Fado. Einst spielte er mit der 1999 verstorbenen Amália Rodrigues. Heute fördert er junge Fado-Musiker. „Es gibt eine neue Generation von Fado-Sängern“, sagt Pacheco. „Sie haben die Musik nicht verändert, aber sie singen über modernere Inhalte, das gibt dem Fado ein neues Gesicht.“
Klassiker vom großen Vorbild
Der Abend im Clube de Fado schreitet voran. Ana Sofia Varela packt jetzt einen Klassiker von ihrem großen Vorbild aus: Vivendo sem mim, Leben ohne mich, von Amália Rodrigues. Spätestens jetzt wird klar, was mit dem Begriff saudade, dem verzehrenden Weltschmerz, der Sehnsucht nach dem Unerfüllbaren, die dem Fado ihren Stempel aufgedrückt hat, gemeint ist. Im Rund finden sich an diesem Abend auch viele Touristen. Denn auch im Ausland erlebt der Fado eine Renaissance. „Viele Fado-Musiker reisen nach Südamerika, Australien, Japan und Korea, um Geld zu verdienen“, sagt Mário Pacheco. „Da bleiben nicht mehr viele für die Heimat übrig. Wir haben im Sommer sogar Probleme, genügend Künstler für unseren Club zu finden.“
Das Beste an diesem Abend kommt zum Schluss: Der Chef musiziert selbst. Noch einmal geht das Licht im Saal aus. Dann betreten Pacheco und Varela gemeinsam die Bühne. Nur noch die Kerzen erleuchten jetzt das Rund. Pachecos Gitarre durchschneidet das Dunkel. Ana Sofia Varela steht mit dem Kopf an eine Säule gelehnt und singt von der „Rosa nocturna“, der Rose der Nacht. Wieder schallender Applaus. Später verabschiedet der Clubbesitzer jeden einzelnen Gast per Handschlag. Eine Gruppe Koreaner will sich noch mit ihm vor seinem Club fotografieren lassen. Selbst da willigt Pacheco ein. Denn seine Mission ist klar: Lang lebe der Fado.