Essen. . Während Touristen in der Dominikanischen Republik am Strand die Sonne genießen oder am Hotelpool Cocktails schlürfen, sind die Einheimischen immer in Bewegung. In der Karibik wird zu Merengue-Rhythmen getanzt. Nicht umsonst heißt es: Wer nicht tanzt, ist ein schlechter Liebhaber.
Schweißperlen rinnen den Nacken hinunter, sammeln sich im Dekolleté und hinterlassen dunkle Flecken auf leichten Trägertops. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten hundert Prozent. Immer. Im Sommer, im Winter, tagsüber und auch nachts. Doch während die meisten Touristen regungslos an einem der Traumstrände der Dominikanischen Republik in der Sonne garen oder in einem der 40 Luxusresorts in der Hochburg Punta Cana ihre bunten Cocktails am Pool schlürfen, dürstet es die Einheimischen nach Bewegung. Immer. Auf dem Markt oder bei einem Bootsausflug, entlang der schicken Ausgehmeilen in Santo Domingo oder in der Autowaschanlage – wer nicht tanzt, ist ein schlechter Liebhaber, so heißt es hier.
Halb elf morgens. Eine Frau mit langen Rastazöpfen und kurzem Röckchen schenkt großzügig braunen Rum aus – neben Zigarren, von denen weltweit 80 Prozent aus der Dominikanischen Republik kommen, einer der großen Exportschlager des Landes. Ihr Kollege lockert seine fleckige Hose und schiebt die Hüften nach hinten. Aus großen Boxen leiert ein Akkordeon. Merengue-Zeit.
Auf dem Katamaran mit Kurs auf die Insel Saona hat der Animateur leichtes Spiel. Die kubanischen, brasilianischen und dominikanischen Touristen lassen sich nicht lange auf die Tanzfläche bitten. Nur ein paar Holländer kauern irritiert im Bug, während sich fröhliche Mittfünfzigerinnen in durchscheinenden Sarong-Tüchern darum reißen, mit dem Vortänzer lasziv die Becken kreisen zu lassen. Die Dominikaner sind stolz darauf, dass sie vor drei Jahren laut „Happy Planet Index“ als zweitglücklichstes Volk der Erde galten. Mittlerweile liegen sie immer noch weit vor den Niederlanden oder Deutschland, aber deutlich hinter den Kubanern und Brasilianern zurück.
12 Uhr mittags. Der Markt im „kleinen Haiti“, einem der ärmeren Viertel der Hauptstadt Santo Domingo, quillt über vor schmutzigen Puppen, alten Radios, Wurzeln, Kräutern und exotischem Obst. Bananen, an Fahrrädern festgebunden, werden verkauft. Auf einer Motorhaube glänzen frische weiße Kakaobohnen, die dem Export in eines von 170 Ländern entgangen sind, klebrig in der Sonne.
Tanzen und Flirten in der Autowaschanlage
Alte Frauen pulen Erbsen, junge Männer verköstigen Passanten mit Mamajuana. Mit dem süßen Potenzmittel, zusammengemanscht aus Rum, Honig, Wein und kleinen Holzstücken, können sich auch die Niedrigverdiener, die von 120 Euro im Monat leben, für wenige Pesos den karibischen Schwung in die Hüften zaubern.
Geschätzte zwei Millionen Haitianer suchen ihr Glück im Land des reicheren Inselnachbarn, nachdem die Dominikanische Republik 1844 ihre Unabhängigkeit von Haiti erlangt hat. Viele landen im bunten Chaos von Klein-Haiti, wo ein einzelnes Bekleidungsgeschäft das ganze Viertel mit dröhnender Merengue-Musik beschallen kann.
16 Uhr nachmittags. In der Einfahrt der Autowaschanlage „D’Lujo“ (spanisch für Luxus) prangt eine riesige Reklametafel von „Presidente“, dem dominikanischen Standardbier. Staubige Autos stehen verlassen in einer langen Reihe. Wer herkommt, will vor allem tanzen, trinken, flirten.
Nachtclubs und Nebelmaschinen
Unter einem großen Dach aus trockenen Palmblättern reiben sich in karibischer Manier bis zu 800 Menschen zu den Klängen von Salsa, Bachata und Merengue aneinander. Im ganzen Land gibt es solche Freiluft-Discos. Auf die billigen Plastikstühle der „Luxus“-Waschanlage in Friusa, unweit der Bettenburgen in Punta Cana, verirren sich auch manchmal Touristen. Ein junger Mann mit Fotoapparat versucht – peinlich berührt – Abstand zwischen sich und das kreisende Hinterteil einer strammen Karibik-Schönheit zu bringen, während ein rüstiger Herr im kanariengelben Hemd seine deutlich jüngere Tanzpartnerin unermüdlich im Kreis schwingt. „Wir genießen das Leben einfach mehr als die Europäer, die sich immer über alles beschweren“, sagt Carlos Batista vom Tourismusministerium der Dominikanischen Republik mit einem leichten Achselzucken.
22 Uhr abends. Die Venezuela Avenue, das kleine Las Vegas von Santo Domingo, füllt sich. Schicke Sportwagen parken mit wummernden Bässen in zweiter Reihe. Junge Mädchen in Röcken, die gerade das Nötigste bedecken, stöckeln in kleinen Gruppen zu den Eingängen der Nachtclubs. Nebelmaschinen, bunte Scheinwerfer und verchromtes Mobiliar verströmen einen Hauch von High Society. Klimaanlagen im Dauereinsatz verwandeln die Tanzflächen in Kühlräume.
Gute Tänzer sind gute Liebhaber
Die karibischen Rhythmen sind mit Techno-Beats unterlegt. Die Wiege Amerikas, die sich als erste Kolonialstadt des Kontinents einer über 500-jährigen Geschichte rühmt, kann auch modern. Doch im Schein der Neonlampen darf sich nicht jeder sonnen. Knapp ein Drittel der dominikanischen Bevölkerung lebt in Armut. „Beim Tanzen vergessen wir unsere Probleme“, sagt Carlos Batista. „Ich jedenfalls lebe lieber in einem Dritte-Welt-Land, in dem die Menschen glücklich sind…“, den Rest des Satzes verschluckt er.
Mitternacht. Die Stimmung in der Autowaschanlage „D’Lujo“ schlägt plötzlich um. Eine Gruppe Teenager schart sich um ein Pärchen auf der Tanzfläche. Der junge Mann stützt sich rücklings ab, seine Tanzpartnerin bewegt sich mit gespreizten Beinen über ihm und wird sofort vom nächsten Mädchen abgelöst. Die jungen Frauen überbieten sich gegenseitig mit sexuellen Posen, während ihre Freunde grölend zuschauen. „Liebe ist ein Wettbewerb und tanzen ist ein Teil davon“, erklärt Batista.
Die Dominikanische Republik hat weltweit die dritthöchste Rate an Teenagerschwangerschaften bei Mädchen zwischen 12 und 13 Jahren – mehr als die Hälfte der Geburten entfällt auf Mädchen unter 15 Jahren. In Hörweite der Waschanlagen-Disco ist ein „Love Motel“, ein diskretes Stundenhotel. Wer ein guter Tänzer ist, ist eben auch ein guter Liebhaber – so heißt es hier.