Essen. Im letzten Zipfel Südafrikas erstreckt sich die Sandwüste Kalahari. Auf 1,2 Millionen Quadratkilometern bietet sie ein stilles Meer aus Sand, in das die Regierung einzigartige Lodges bauen ließ. Fabian von Poser reiste in das Gebiet und musste schnell lernen, dass die vermeintliche Einsamkeit trügt.

Wenn man so da steht unter der Dusche wie Gott einen geschaffen hat, splitterfasernackt, die Zeltfenster hochgeklappt, die Tür sperrangelweit offen, damit man möglichst viel von dem sieht, was der Herrgott an Natur hierher gezaubert hat, dann könnte man vor Freude schreien. Wie ein König throne ich oben in meiner Hütte, um mich herum nichts als honiggelber Sand.

Alles leuchtet in Gelb: die Dünen, ja selbst die Akazien, die sich im weiten Bogen um das Camp scharen. Eben noch bin ich durch das Amphitheater der Sandberge geschaukelt, und jetzt stehe ich vor der paradiesischen Kulisse der Xaus-Lodge im letzten Zipfel Südafrikas und wasche mir den Wüstensand vom Leib.

Die Einsamkeit trügt

Es gibt nicht viele Flecken im südlichen Afrika, die so abgelegen sind. Schon wenn man nach 34 Kilometern Fahrt durch den tiefen Sand über die letzte Düne schwappt, weiß man: Hier will man nicht mehr weg. Jetzt am Nachmittag tummeln sich unten am Wasserloch nur ein paar Oryx-Antilopen. Doch die Einsamkeit trügt. „Ihr seid in der Wildnis“, hatte Abraham, Manager der Lodge, bei der Ankunft gesagt. „Keinen Schritt allein über die Dünen. Erst vor einer Woche hatten wir Löwen hier.“

Seit 24 Stunden schon ist die Welt um uns herum ein stilles Meer aus Sand. 1,2 Millionen Quadratkilometer misst die Kalahari, die sich von Angola über Botswana bis in den Norden Südafrikas erstreckt. Mitten in dieser Unermesslichkeit hat die südafrikanische Regierung etwas Einzigartiges geschaffen: eine Lodge, die zu 100 Prozent im Besitz der Bevölkerung ist.

Vor 1600 besiedelt

Bereits vor 1600 Jahren besiedelten die Jäger und Sammler der San-Buschleute die Kalahari. Sie verzehrten, was die Wüste hergab: Wurzeln, Blätter, Straußeneier – bis die Regierung ihnen 1931 das Land nahm, um einen Nationalpark zu schaffen. Viele sahen die letzte Messe der San gelesen. In einer Parodie machte die Filmtrilogie „Die Götter müssen verrückt sein“ des botswanischen Regisseurs Jaymie Uys in den Achtzigern auf das Schicksal der Buschleute aufmerksam.

Die San forderten dasSiedlungsrecht zurück

Alles kam anders. Nach Aufhebung der Apartheid forderten die auf dem Gebiet des heutigen Kgalagadi Transfrontier Parks beheimateten San das Siedlungsrecht zurück – und bekamen es 2002 zugesprochen. Mit Unterstützung der Parkverwaltung führen die Buschleute seitdem ihre eigene Lodge.

„Auf diesem Land lebten unsere Väter und Großväter“, sagt Henrik, der Buschmann, der heute gebügelte Kleidung in Khaki trägt. 113.000 Buschleute leben heute verteilt über Südafrika, Botswana und Namibia. In dieser Gegend sind es 6000. Ein paar Dutzend davon arbeiten auf der Lodge.

Auf große Tiere trifft man selten

Als wir am Morgen nach ein paar Keksen und Tee in den offenen Geländewagen steigen, ist es noch kalt. Minuten später stapfen wir mit Henrik und seinem Begleiter über die Dünen und halten an, wenn einer der beiden etwas entdeckt. Auf große Tiere trifft man in der Kalahari selten, denn von den „Big five“ gibt es hier nur Löwen und Leoparden. Wir finden Spuren von Käfern, Wildkatzen und Schakalen. Henrik kann sie wie eine Zeitung lesen. „Die meisten Gäste wollen Tiere sehen, wir Buschleute wissen auch ohne die Tiere, was hier nachts passiert ist.“

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Henrik zeigt uns den Busch, den die San als Zahnbürste benutzen. Mal schnuppert er an Gras, das wie frische Minze riecht. Der Bitter Bush hat einen anderen Duft: Er riecht nach Löwen-Urin. Es sind Geschichten von heilenden Pflanzen und seltsamen Tieren, die man bei einer Fußwanderung durch die Kalahari erfährt.

Die schönste Zeit ist der frühe Abend

Schließlich findet Henrik den Kot einer Eland-Antilope. „Früher mussten die Jungen mit 20 ausziehen, um eine Eland-Antilope zu fangen; große, wehrhafte Tiere. Zuerst trugen sie den Schwanz ins Dorf, als Zeichen, dass sie das Tier erlegt haben. Dann die ganze Antilope. Heute gibt es solche Traditionen als Zeichen des Erwachsenwerdens nicht mehr.“

Die schönste Zeit in der Kalahari ist die Zeit des frühen Abends: Sind alle wesentlichen Dinge des Tages erledigt, hat man auf der Terrasse den Sundowner und sein hauchzartes Antilopen -Steak zu sich genommen und begibt sich anschließend mit den Buschleuten auf die Nachtsafari.

Die vollen Bäuche schaukeln im Takt der Wellen im Sand. Die Nacht ist in der Kalahari die Zeit der kleinen Tiere, der bellenden Geckos und Hyänen. Mit seinen Röntgenaugen durchfurcht Henrik das Gras wie mit einem Rechen. „Da ist es“, haucht er. Dann schaltet er das Spotlight an. Im fahlen Lichtkegel bewegt sich tatsächlich etwas Fleischiges. „Ein Erdferkel! Die sieht man so gut wie nie.“

Mit sich, den Dünen und den Sternen alleine

Dann geht der Scheinwerfer wieder aus und man ist mit sich und den Dünen und den Sternen alleine. Wie eine Silbermünze hängt der Mond am Firmament, daneben der Große Wagen. Drumherum funkeln Millionen anderer Sterne wie Strasssteine am Himmel. Man fühlt sich in so einem Moment beinahe demütig. Und man hört nichts außer dem Rascheln des Windes im Wüstengras und dem Heulen der Schakale hinter den Dünen.