Der “Tren a las nubes“ zeigt Urlaubern die einzigartige Schönheit Argentiniens in über 4000 Höhenmetern. Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen, mit eigener Krankenstation im Zug für eventuelle Sauerstoffprobleme werden in sieben Stunden 217 Kilometer in traumhafter Landschaft zurückgelegt.
Für jeden ein Tablett mit Essen. Alles in Folie verpackt, alles ziemlich geschmacklos. Das könnte der Start einer Flugreise sein. Aber hier verteilen zwei junge Studenten die Sättigungs-Pakete. Völlig unaufgeregt, ohne Hektik, lächelnd. Sie haben Zeit, alle hier haben Zeit. Sie haben kein Ziel.
14 Stunden beträgt die reine Fahrzeit mit dem „Tren a las nubes“ durch die argentinischen Anden in die Wolken. Das verspricht der Name des Zuges. Der berühmteste Zug Südamerikas tuckert als Touristenattraktion sieben Stunden die Anden rauf und genauso lang wieder runter. Dann sind die Fahrgäste zurück in der Provinzhauptstadt Salta. Zwischendurch dürfen sie zweimal aussteigen, zweimal essen und so oft sie wollen tiefe Züge aus der Sauerstoffflasche nehmen.
Das Zugticket ist die Eintrittskarte in ganz großes Kino, in einen spektakulären Landschaftsfilm, der hinter den Scheiben der Waggons abläuft. Aber noch ist der Vorhang zu. Die erste halbe Stunde ist das Zugabteil abgedunkelt. Draußen ziehen jene Stadtteile vorbei, die kein Tourist sehen soll. Dort stehen jene Menschen, die neidisch, ungläubig, wütend auf den Touristenzug schauen, der seinen Gästen für eine Fahrt so viel Geld abknöpft, wie sie im ganzen Monat nicht haben, um ihre Familie durchzubringen. Offiziell sind die Fahrgäste jetzt gefährdet, potenzielle Anschlagsopfer. Die Slumbewohner haben ihre Wut in der Vergangenheit gegen die Zugfenster geschleudert.
Es gibt sogar einen Aufpasser pro Abteil. Er eilt herbei, lächelt und schließt das Fenster zur Außenwelt. Es gebe ein paar Regeln hier im Zug, man solle sich doch daran halten und im Zweifelsfall ihn fragen, erklärt er freundlich. „Ecotren“ heißt die Firma, die den Zug in die Wolken schickt. „Seguridad“ würde besser passen. Sicherheit ist oberstes Gebot, nichts wird dem Zufall überlassen und niemand sich selbst.
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Nach den Slums in die Anden
Erst als die beiden Studenten, die sich als Reiseführer entpuppt haben, die Tabletts einsammeln, wird das Sightseeing-Verbot aufgehoben. Längst hat der Zug die Stadt hinter sich gelassen und zuckelt durchs fruchtbare Lermatal Richtung Anden. Rinder finden hier noch saftiges Gras und die Menschen leben vom Anbau von Tabak und Getreide. Obwohl es noch Morgen ist, hat sich schon eine schwere Hitze über die Felder gelegt. Wer es sich mit dem Mann von der Security nicht verscherzen will, fragt besser nach, bevor er ein Fenster öffnet. Der „Tren a las nubes“ kriecht weiter, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde.
Im Abteil haben sich zwei Gruppen gebildet: Die erste Spezies stürmt bei jedem landschaftlichen Höhepunkt ans Fenster und legt sich gerne auch über die Beine wildfremder Menschen, um eine Fotoserie zu schießen. Es gibt viele landschaftliche Höhepunkte.
Kein Zahnrädchen hilft dem Zug auf dem Weg nach oben
Gruppe zwei hält bei jedem technischen Highlight die Kamera vors Auge, ist aber eindeutig zurückhaltender, was Körperkontakte betrifft. Es gibt viele technische Highlights. Die Ingenieure haben hier in der 27-jährigen Bauzeit ab 1921 eine Meisterleistung vollbracht. Kein Zahnrädchen hilft dem Wolkenzug dabei, die 3000 Höhenmeter bis zu seinem Umkehrpunkt zu überwinden.
Er rollt auf ganz normalen Schienen, die Steigungsrate liegt im Promillebereich und jeder größere Hügel war eine Herausforderung für die Erbauer. Sie waren Erfinder, in deren Köpfen „rulos“ und „zig-zags“ entstanden sind, die dem Zug nach oben helfen. Ihr erstes Meisterwerk haben die Pioniere gleich nach der „Schlucht des Stieres“ vollbracht, die den Übergang vom lieblich-grünen Tal in die raue Gebirgswelt, die Puna, markiert. Argentinien, Chile und Bolivien teilen sich die unendlich weite Hochebene, über der der Himmel immer so hellblau strahlt und die Sonne so verlässlich lacht, wie auf der argentinischen Fahne.
Im Zick-zack schiebt und zieht die Lok ihre Waggons über die Serpentinen, die Gleise kleben nah am Abgrund. Bunt, wie vom Regenbogen gemalt, funkeln schroffe Felsabbrüche, seit Jahrhunderten wegen ihres mineralischen Schatzes. Über allem thronen die 4000er, 5000er und 6000er, deren Gipfel der Wind in Jahrtausende währender Arbeit geschnitzt hat. Unbeirrt davon klettert der „Tren a las nubes“ nach oben, auf 3000 Meter.
Eigene Krankenstation im Zug vorhanden
Für den Wolkenzug kein Problem, aber für einige seiner Insassen. Plötzlich machen Symptome der Höhenkrankheit die Runde. Ein Arzt und mehrere Schwestern kümmern sich um 20 bis 30 hechelnde Menschen pro Fahrt, es gibt sogar eine eigene Krankenstation im Zug.
Frederico San Juan Walter kennt die Szenen, er kennt sogar noch viel schlimmere. Der 20-Jährige war schon als Kind mit seiner Mutter mit dem Zug unterwegs, sie war Reiseführerin. „Früher war es ein Wahnsinn, es war kein Arzt dabei, nur zwei Rettungssanitäter und ein paar kleine Sauerstoffflaschen“, erzählt er. Vor sieben Jahren habe es einen schweren Zwischenfall gegeben: Einer Lok ist jenseits der 4000-Meter-Marke die Puste ausgegangen. Es war Winter und die Touristen zitterten stundenlang in der Kälte, ehe sich die Verantwortlichen für eine Evakuierung entschieden. Die neue Betreiberfirma wird jetzt peinlich genau vom argentinischen Staat kontrolliert.
Sicherste und pünktlichste Zug Südamerikas
Nach gut sieben Stunden Zugfahrt wartet tatsächlich noch ein Highlight: die Fahrt über das Viadukt „La Polvorilla“, ein Ungetüm aus 1600 Tonnen Stahl. Sechs Türme halten die Gleise in die Höhe, damit der Zug nicht in die 224 Meter breite Schlucht stürzt. Noch einmal gibt es ein riesiges Gedränge an den Fenstern und unruhige Minuten für den Mann von der Sicherheit. Jeder will seinen Kopf hinaus strecken. Hier kann man spüren, warum der „Tren a las nubes“ jenen Namen bekommen hat. Die Nase hängt im Wind, unter ihr 63 Meter Luft. Schweben. Wie auf einer Wolke. Berauscht fallen die Touristen nach diesen 60 Sekunden zurück in die Sessel. Der Zug fährt zurück aufs Festland und lässt sie Höhenluft auf 4220 Metern schnuppern und Fotos vom Viadukt machen.
Bereits nach ein paar Minuten müssen alle schon wieder einsteigen. Die Verantwortlichen wollen so demonstrieren, dass dies hier nicht nur der sicherste Zug Südamerikas ist, sondern auch der pünktlichste. Er hält noch einmal in einem Bergdorf, das wahrscheinlich soviel Souvenirstände hat wie Einwohner, und beginnt die lange Rückreise. Sieben Stunden. Noch mal 217 Kilometer, 1328 Kurven, 44 Brücken und Viadukte und 21 Tunnel. Abendessen im Speisewagen. Irgendwann haucht die Abendsonne rotes Licht über die Berggipfel. Die Landschafts-Fotografierer und die Technik-Freaks sind müde. Sieben schöne Stunden.