Horta. . Nur der habe eine glückliche Weiterfahrt, der im Hafen von Horta ein Bild hinterlasse. Seit dieser Mär aus den 1970er Jahren schmücken die Kaimauer unzählige Gemälde. Nicht weit davon entfernt liegt die populärste Kneipe zwischen Europa und Amerika.
Die junge Frau liegt fast auf dem Boden. Mit der rechten Hand stützt sie sich ab, die linke führt vorsichtig einen Pinsel. Ihr Motiv – so viel zeichnet sich jetzt schon ab – wird maritim sein: ein rot-weiß gestreiftes Segel auf weißem Untergrund. Die Frage nach einem Foto erweckt die schlanke Blondine aus ihrer andächtigen Tätigkeit. „Passt scho!“ lächelt sie, outet sich als waschechte Bayerin und nutzt die Chance zu einer Plauderei über Gott, die Welt und Deutschland. Das hat sie seit über einem Jahr nicht gesehen.
Ihre Weltreise, so erzählt Gertrude Rutzmoser aus München, habe sie über Mexiko in die Karibik verschlagen, wo sie das Heimweh plagte. Bei einem Skipper sei noch ein Platz frei gewesen, und nach ein paar Tagen Überfahrt habe sie nun zumindest den halben Weg nach Hause geschafft.
Kaimauer von Horta
Bevor es weiter geht, bleibt jetzt nur noch zu tun, was jedes Seglers Pflicht ist, der auf dem Weg von Europa nach Amerika oder anders herum nach Faial kommt: Er muss sich auf der Kaimauer von Horta verewigen. Schon immer war das schmucke Städtchen ein Rastplatz für Reisende.
Ob Walfangschonermatrosen, Dampfschiffkapitäne oder Hochseepiraten – alle gingen sie in Horta an Land. Wer als erster auf die Idee kam, ein Bild auf die nackte Betonwand der langen Hafenmauer zu malen, weiß heute niemand mehr – es soll irgendwann in den 70ern gewesen sein. Bald danach verbreitete sich die Mär, dass nur demjenigen eine glückliche Weiterfahrt beschieden sei, der ein Bild in Hortas Hafen hinterlasse. Und so haben sich seither unzählige Besatzungen hier verewigt.
Auf dieser Hunderte Meter langen Gemäldegalerie rund um die Marina liegt alles dicht bei dicht: Logos und großflächige Comics. Abstrakte Zeichnungen und grandiose Gemälde. Irre Farbenspiele und maritime Fantasien. Strichmännchen und Sprechblasen. Frauen und Fabelwesen.
Populärste Kneipe zwischen Europa und Amerika
Von dieser wahrscheinlich verrücktesten Kaimauer der Welt sind es idealerweise nur ein paar Schritte bis zur populärsten aller Kneipen zwischen Europa und Amerika: Peters Café Sport. Hier treffen sich die Weltenbummler und Freizeitkapitäne aller Kontinente. Nicht nur wegen des besten Gins zwischen Jamaica und Gibraltar, wie die Skipper rühmen. Hier wurde und wird sich auch stets um ihre Wünsche und Nöte gekümmert: sei es als Poststelle und Geldwechselservice oder bei Bedarf als Vermittler von Segelmachern, Bootsbauern oder Mechanikern. Die zahllosen farbenfrohen Wimpel und Flaggen, die von der Decke des Raumes baumeln sind jedenfalls Ausdruck des Dankes für geleistete Hilfe oder einen Rat.
Keinesfalls versäumen sollte man auch den Gang durch die Holztür mit dem Bullauge gleich neben der Kasse: Die Tür führt zum Scrimshaw-Museum, einer einzigartigen Sammlung von Pottwalzähnen. In das auf Hochglanz polierte Elfenbein des Meeres haben wahre Meister ihres Fachs faszinierende Kunstwerke eingeritzt und eingraviert: filigrane Porträts grimmiger Seebären und exotischer Schönheiten. Segelschiffe, die sich durch peitschende Wogen kämpfen. Szenen aus dem harten Kampf der Walfänger mit den Riesen des Meeres, der manchmal einen ganzen Tag lang dauerte.
„Dös gfoid ma guad.“
Zurück am Pier. Gertrude hockt noch immer auf dem sonnengewärmten Beton und zieht unverdrossen ihre sorgfältigen Striche. Dabei entgeht ihr völlig, dass sich die Wolken verziehen und den Blick freigeben auf etwas, das sich hinter dem Mastenwald auftürmt. Es ist der imposante Kegelvulkan auf der nahen Nachbarinsel Pico. Kein ganz unkomplizierter Herr, denn tagsüber versteckt er sich gern in den Wolken, die durch Wärme und Feuchtigkeit entstehen. Umkreist von ein paar Wolken-Ufos zeigt er sich an diesem Abend von seiner Schokoladenseite und macht klar, warum nicht nur viele Einheimische diesen Panoramablick für das Beste auf Faial halten.
Trotz Hafenmauer und Peters Café Sport, trotz Vulkanlandschaften und Hortensienhecken. „Reit mi da Deifi“, erklärt denn auch das bayrische Madl spontan und höchst ergriffen, als sie endlich einmal den Kopf hebt und aufschaut, „dös gfoid ma guad.“