Freudenberg. Das Jugendamt kümmert sich um die Mädchen, die ihre Mitschülerin Luise (12) getötet haben. Ein „grausames Spannungsfeld“, sagt der Landrat.
- Die beiden Mitschülerinnen, die vor einem Jahr in Freudenberg die zwölfjährige Luise getötet haben, werden vom Jugendamt betreut.
- Eine der beiden Täterinnen lebt schon in einer Wohngruppe, die andere noch in einer Klinik.
- Landrat: Müssen den beiden Mädchen „einen Weg zurück in die Gesellschaft“ ebnen.
Ein Jahr nach der Tötung der zwölfjährigen Luise durch zwei Mitschülerinnen in Freudenberg haben die beiden minderjährigen Täterinnen eine erste Therapiephase nahezu abgeschlossen. Das teilten der Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein, Andreas Müller, und der Jugend- und Sozialdezernent, Thomas Wüst, mit.
„Eine lange Phase des klinischen Aufenthaltes wurde für eines der beiden Mädchen zwischenzeitlich beendet. Es ist in einer Wohngruppe außerhalb des Kreisgebietes untergebracht. In der Wohngruppe erhält das Mädchen ambulante Unterstützung und nimmt am regulären Schulunterricht teil. Das andere Mädchen befindet sich noch in klinischer Betreuung, der Umzug in eine Wohngruppe steht aber kurz bevor“, sagte Landrat Müller. Jugendamtsleiter Wüst ergänzte, dass die zweite Täterin, die noch in stationärer Behandlung sei, innerhalb der nächsten Wochen in eine Wohngruppe umziehe werde. Beide Mädchen würden auch in den Wohngruppen ambulant therapeutisch begleitet.
Die beiden heute 13 und 14 Jahre alten Mädchen, die mit dem Opfer in die siebte Klasse der Gesamtschule Freudenberg gegangen waren, hatten Luise im März des vergangenen Jahres in einem Waldstück in der Nähe des Freudenberger Stadtteils Hohenhain mit 74 Messerstichen getötet. Da beide Täterinnen zum Tatzeitpunkt jünger als 14 und damit nach dem Gesetz strafunmündig waren, wurden sie strafrechtlich nicht belangt, sie müssen sich aber inzwischen mit einer Zivilklage der Opferfamilie auseinandersetzen.
Beide Täterinnen befinden sich in der Obhut des Jugendamtes und an geheim gehaltenen Orten, haben Kontakt zu ihren jeweiligen Familien. „Das familiäre Umfeld ist der einzige Anker, der den beiden Mädchen verblieben ist“, sagte Jugendamtsleiter Wüst.
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Landrat spricht von „grausamem Spannungsfeld“
Wie Wüst betonte auch Müller auf einer Pressekonferenz anlässlich des bevorstehenden Jahrestags des schrecklichen Verbrechens, zu dem es am Wochenende des 11./12. März 2023 gekommen war, dass es gesetzlicher Auftrag des Jugendamtes sei, den beiden Täterinnen „einen Weg zurück in die Gesellschaft“ zu ebnen. „Sie haben ihr ganzes Leben noch vor sich – im Gegensatz zu Luise, der das Leben genommen wurde. Das zeigt einmal mehr das grausame Spannungsfeld, in dem auch wir uns als Behörde auch ein Jahr nach der Tötung von Luise befinden“, sagte der Landrat.
Müller und Wüst hielten sich aufgrund des Alters der Täterinnen und mit Verweis auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte der beiden mit Angaben zu dem Fall zurück. So wollte sich Wüst etwa nicht zum Schuldempfinden der Täterinnen oder einem Motiv für die Tötung von Luise äußern. Nur so viel: „Die Mädchen empfinden die Belastung als immens.“
Schutzauftrag bis zur Volljährigkeit
Wie lange ihre tödliche Tat die beiden minderjährigen Täterinnen noch beschäftigen werde und wann eine therapeutische Begleitung der Mädchen abgeschlossen sein könne, bezeichnete der Jugendamtsleiter als „große Frage“. Niemand könne dies prognostizieren, „auch nicht die Psychotherapeuten“, so Wüst. Dahinter stecke ja die Frage, wann für die beiden Mädchen so etwas wie Normalität einkehren könne – und was das in diesem Fall überhaupt bedeute.
„Was wird für die beiden irgendwann normal sein? Werden sie das überhaupt mal von sich sagen können, bezogen auf die ersten Beziehungen, auf Freundschaften, wem vertraue ich was an? Wird es möglich sein, dieses Thema irgendwann mal so für sich zu verorten, dass es in ihrem Leben keine Rolle mehr spielt? Oder wird das permanent Thema sein, bezogen auf Therapie auch in erwachsenem Alter? Das kann aktuell niemand vorhersehen“, sagte Wüst und erklärte: „Es ist, glaube ich, davon auszugehen, dass sie dieses Thema ein Leben begleiten wird.“
Auftrag seiner Behörde sei es, die beiden Mädchen zu schützen. Dieser Auftrag sei in der Regel abgeschlossen, wenn die Täterinnen 18 Jahre alt und damit volljährig seien.
Für beide Mädchen seien nach der Tat Therapiepläne durch Fachleute entwickelt worden. Psychotherapie, Verhaltenstherapie, soziale Fähigkeitstrainings und „viele weitere Methoden“ seien zum Einsatz gekommen, zunächst in Einzelumgebung, dann nach und nach in Gruppensituationen. „Die Therapie war sehr dynamisch, es gab immer wieder neue Dinge, die aufzuarbeiten und zu thematisieren waren“, sagte Wüst und hielt fest: „Die Tatsache, dass die stationäre Phase abgeschlossen ist und sie jetzt wieder ins Gruppensetting (in Wohngruppen und Schule, d. Red.) kommen, heißt, dass sie dann auch schon wieder in der Zivilgesellschaft leben.“