Freudenberg. Weil sie noch keine 14 Jahre alt waren, gab es keine Anklage gegen die Täterinnen. Nun kommt der Tod von Luise (12) doch vor Gericht.
- Die Familie der vor einem Jahr gewaltsam getöteten Luise (12) aus Freudenberg verklagt die beiden minderjährigen Täterinnen.
- Lange sah es so aus, als würde es keine juristische Aufarbeitung geben, weil die Täterinnen bei der Tat noch strafunmündig waren. Jetzt gibt es aber eine Zivilklage.
- Die Eltern einer der beiden Täterinnen äußern sich zu der Klage.
Fast ein Jahr nach der Tötung der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg hat der schockierende und weltweit für Aufsehen sorgende Fall nun doch ein juristisches Nachspiel. Nach Informationen der WESTFALENPOST hat die Familie des Opfers am Landgericht Koblenz eine Zivilklage gegen die beiden minderjährigen Täterinnen eingereicht. Der Streitwert beträgt laut Klageschrift, die dieser Redaktion vorliegt, 162.000 Euro. Das Landgericht Koblenz bestätigt den Sachverhalt.
Die zwölfjährige Luise war am 11. März des vergangenen Jahres, einem Samstag, nach dem Besuch bei einer Freundin im Freudenberger Stadtteil Hohenhain als vermisst gemeldet worden. Einen Tag später wurde ihre Leiche in einem nahegelegenen Waldstück im Grenzgebiet zu Rheinland-Pfalz gefunden. Die Staatsanwaltschaft bestätigte, dass die damals zwölf Jahre alte Freundin, bei der Luise zu Besuch gewesen war, und eine weitere Freundin (damals 13) gestanden hätten, Luise getötet zu haben. Zu Details der Tat und möglichen Motiven machten die Ermittler damals mit Verweis auf das Alter der Täterinnen jedoch keine Angaben. Da beide Täterinnen zum Tatzeitpunkt noch keine 14 Jahre alt und damit nach dem Gesetz nicht strafmündig waren, wurden sie strafrechtlich nicht belangt. Nun wird es aber mit der Klage, die Luises Familie eingereicht hat, eine zivilrechtliche Aufarbeitung geben.
Die Kläger – laut Klageschrift Vater, Mutter und minderjährige Schwester von Luise – stellen die Höhe eines Schmerzens- und Hinterbliebenengelds in das Ermessen des Landgerichts. Der Anwalt der Familie hält aber laut Klageschrift unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 Euro für die Eltern (als Erben von Luise) sowie ein Hinterbliebenengeld in Höhe von jeweils mindestens 30.000 Euro pro Person für angemessen. Laut Landgericht Koblenz gibt es bislang noch keine Entscheidung über die Klage, es sei auch noch keine mögliche Verhandlung terminiert.
Anwalt schreibt von „eiskalt geplanter Hinrichtung“
Die Zivilklage gegen die beiden Täterinnen datiert vom 27. November 2023, sie umfasst 32 Seiten. Darin betont der Anwalt der Kläger die Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion von Schmerzensgeld. „Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass keine strafgerichtliche Ahndung der Beklagten erfolgt ist. Die Genugtuungsfunktion muss hier erst recht Berücksichtigung finden“, heißt es. Zudem legt der Anwalt in teils emotionalen Worten den Sachverhalt aus Sicht der Opferfamilie sowie die Auswirkungen der Tat auf die Hinterbliebenen dar. Der Verfasser beruft sich bei seinen Schilderungen auf Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, auf Obduktionsergebnisse und auf Vernehmungen der beiden Täterinnen durch die Polizei nach der Tat vom 11. März 2023. Auch werden ein Motiv thematisiert und Chatverläufe präsentiert, die vor und nach der Tat zwischen beiden Täterinnen entstanden sein sollen.
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Laut Klageschrift soll Luise durch 74 Messerstiche in dem Waldstück in der Nähe von Hohenhain getötet worden sein – nach einer mindestens mehrtätigen Vorbereitung der Täterinnen. Der Rechtsanwalt schreibt in der Klageschrift von einer „eiskalt geplanten Hinrichtung“. Vor der Zivilklage sollen laut Klageschrift außergerichtliche Einigungsbestrebungen stattgefunden haben, allerdings erfolglos.
Der Anwalt von Luises Familie will sich auf Anfrage der WP nicht zu der Klage äußern, verweist auf seine Schweigepflicht. Der Rechtsanwalt der jüngeren Täterin (heute 13) reagierte nicht auf Gesprächsbitten dieser Redaktion; seine Mandantin hat laut Landgericht Koblenz die Abweisung der Klage beantragt.
Aufseiten der älteren Täterin (14), die keine Klageabweisung beantragt hat, will sich die Anwältin nicht äußern. Dafür nehmen die Eltern der Beklagten in insgesamt mehrstündigen Gesprächen mit dieser Redaktion Stellungzu dem sensiblen und komplexen Fall.
Eltern haften nicht für ihre Kinder
Die Eltern der 14-Jährigen äußern großes Verständnis für die Familie von Luise. „Ich bin eine Mama, ich verstehe die Mama des Opfers. Das Bett ihrer Tochter bleibt leer. Ich hingegen habe meine Tochter noch“, sagt die Mutter der älteren Täterin. Zur Zivilklage erklärt der Vater: „Wie soll meine Tochter, die 14 Jahre alt ist, Zehntausende Euro oder mehr bezahlen? Wie sollen wir so viel Geld bezahlen?“ Er sei Schlosser, seit Monaten krankgeschrieben, seine Frau arbeite als Putzfrau. Der Vater gibt an, keine Abweisung der Zivilklage beantragt zu haben, weil ihn hohe Anwaltskosten abgeschreckt hätten.
Sollten die beiden minderjährigen Täterinnen, die sich in Obhut des Jugendamtes befinden, im Zivilprozess verurteilt werden, würden die Ansprüche erst nach 30 Jahren verjähren. Laut Landgericht Koblenz haften die Eltern nicht für ihre Kinder: „Minderjährige können in einem Zivilprozess verklagt und verurteilt werden. Eltern sind rechtlich grundsätzlich nicht verpflichtet, die Schulden ihrer Kinder zu übernehmen.“
Die beiden Täterinnen sind zudem als Gesamtschuldner verklagt worden. Diese würden „in der Regel“ die Verbindlichkeit zu gleichen Anteilen tragen, so das Landgericht Koblenz. Es kann aber anders kommen. Inwieweit die jeweilige Tatbeteiligung der beiden Täterinnen, die unterschiedlich stark an der Tötung von Luise beteiligt gewesen sein sollen, hierbei noch eine Rolle spielt, bleibt abzuwarten.
Vater sieht Schuldfrage nicht ausreichend untersucht
Der Vater der älteren Täterin sieht seine Tochter nur als Mitläuferin – und die Schuldfrage an der Tötung von Luise seitens der Staatsanwaltschaft nicht ausreichend untersucht. „Ich sage nicht, dass meine Tochter ein Unschuldsengel ist, aber sie war perplex, sie stand unter Schock“, sagt der Vater, der findet: „Es macht einen Unterschied, ob man gemeinschaftlich eine solche Tat plant oder ob man reingerissen wird.“
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Die Staatsanwaltschaft Siegen will „weiterhin aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Beteiligten keine Auskünfte zum Tathergang, zu den Hintergründen oder zur Motivlage erteilen“. Das Landgericht Koblenz – das für die Klage zuständig ist, da der Tatort auf rheinland-pfälzischem Gebiet lag – äußert sich nicht dazu, welche Rolle die jeweilige Tatbeteiligung oder die Geständnisse der beiden Täterinnen für den Zivilprozess spielen. Dies bleibe „der Entscheidung durch das zuständige Gericht vorbehalten“.
Klar ist dafür: Eine Strafunmündigkeit der beiden strafrechtlich nicht belangten Täterinnen hat für den Zivilprozess keine Bedeutung. Bei einer Haftung aus Straftaten ist die Deliktsfähigkeit entscheidend. Wer das siebte, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet habe, sei für den Schaden nicht verantwortlich, wenn er beim Begehen einer Tat „nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte“, teilt das Landgericht Koblenz mit. Ob die nötige Verantwortungsreife in diesem Sinne vorliege, auch das bleibe der Entscheidung durch das zuständige Gericht vorbehalten.