Nach zwei umstrittenen Polizei-Einsätzen in NRW tobt ein Streit um den Elektroschocker. Auch die Landesregierung ist uneins.
Name: Taser 7. Hersteller: Axon Enterprise/USA. Zweck: Elektroimpulswaffe für die Polizei. Risiken: umstritten. Ähnlich einer Schusswaffe wird der Taser mit einem Abzug ausgelöst, wodurch zwei Pfeile abgeschossen werden. Sie leiten mittels dünner Drähte einen Strom mit hoher Volt- aber niedriger Amperezahl in den Körper. Bis zu einer Distanz von sieben Metern soll das Gerät treffsicher sein. Aber: Der „Taser“ ist in NRW nach zwei Einsätzen der Polizei, bei denen zwei Menschen starben, ins Gerede gekommen. Ist das Distanzelektroimpulsgerät, wie der Taser auch genannt wird, eine gefährliche Waffe oder ein nützliches und weitgehend harmloses „Einsatzmittel“ für die Polizei? Eine Spurensuche.
Corinna Petritsch ist froh, dass ihre Wache schon mit dem Taser ausgestattet wurde. „Einmal hat er mir sehr genützt“, erinnert sich die 31-Jährige, die die Junge Gruppe der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Rhein-Erft-Kreis leitet. „Mein Kollege und ich wurden von einer Frau zu einem volltrunkenen, aggressiven Randalierer gerufen, der sich in ihrer Wohnung aufhielt. Der Mann weigerte sich, die Wohnung zu verlassen, er interessierte sich gar nicht für unsere Ansprache. Auf dem Balkon bellte ein großer Hund, ein Kangal, und der Betrunkene wollte die Balkontür öffnen. Wir befürchteten, dass der Mann den Hund auf uns hetzen wollte. Wir haben ihn aufgefordert, die Balkontür geschlossen zu halten, aber er lachte nur“, sagt Petritsch. Dann zogen die Beamten ihre Taser.
Der Taser macht Eindruck
„Der Mann sah die Taschenlampen-ähnliche Beleuchtung des Gerätes, und wir drückten die ,ARG‘-Taste, was einen Lichtbogen und ein Stromgeräusch erzeugt. Ergebnis: Der Mann stand auf einmal kerzengerade, streckte die Arme in die Höhe und war lammfromm.“ Laut Polizei eine fast schon typische Reaktion. In drei Viertel der Fälle reiche allein die verbale Drohung mit dem Taser, erklärt die junge Beamtin. Das zeige die Dokumentation in der Pilotphase der Taser-Einführung im Rhein-Erft-Kreis. Doch nicht alle Einsätze enden so glimpflich.
Die Dortmunder Polizei steht unter besonderer Beobachtung, seit Anfang August in der Nordstadt ein 16-jähriger, suizidgefährdeter Flüchtling aus Senegal bei einem Polizeieinsatz durch mehrere Kugeln aus einer Maschinenpistole getötet worden wurde. Vor den tödlichen Schüssen wurde zweimal mit Tasern auf den Jugendlichen geschossen. Der erste Schuss traf nicht richtig. Beim zweiten Versuch soll eine der beiden Elektroden den jungen Mann am Glied, die zweite den Unterbauch getroffen haben. Die lähmende Wirkung trat aber nicht ein, heißt es. Stattdessen soll der Jugendliche Schmerzen erlitten haben. Inzwischen deuten Ermittlungsergebnisse darauf hin, dass keine Sekunde nach dem Taser-Einsatz schon der erste Schuss aus der Maschinenpistole gefallen sein könnte.
Dieses Jahr 250 Taser-Einsätze im Wachdienst bei der Polizei in NRW
Fall zwei ereignete sich Mitte Oktober, ebenfalls in Dortmund. Polizisten schossen mit dem Taser auf einen randalierenden Wohnungslosen. Der laut Obduktionsbericht schwer herzkranke Angreifer brach nach dem Stromstoß zusammen und verstarb trotz Reanimationsversuchen kurz darauf im Krankenhaus. Laut NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) deuteten erste Erkenntnisse nicht darauf hin, dass der Taser die Todesursache war.
Taser-Gegner wie Sascha H. Wagner, Landessprecher der Linken, protestierten. „Dass Taser sichere Mittel zur Deeskalation schwieriger Situationen im Polizeialltag darstellen, ist ein Märchen“, so Wagner. Spätestens der Einsatz in Dortmund zeige, dass es sich um potenziell tödliche Waffen handele.
In diesem Jahr habe es gut 250 Taser-Einsätze im Wachdienst bei der Polizei NRW gegeben, so Minister Reul Mitte Oktober. In etwa 50 Fällen sei es zur Schussabgabe gekommen. Inzwischen wird der Taser in 18 von 47 Polizeibehörden im Wachdienst genutzt. Die NRW-Landesregierung will offene Fragen zum Taser wissenschaftlich klären. In der Koalition treffen zwei Partner aufeinander, von denen der eine (Grüne) dem Taser skeptisch, der andere (CDU) aufgeschlossen gegenübersteht. Um diese Gegensätze zu überbrücken, einigte sich Schwarz-Grün im Koalitionsvertrag darauf, „die Einführung des Distanzelektroimpulsgerätes bis 2024 unabhängig, wissenschaftlich und ergebnisoffen zu evaluieren und den weiteren Fortgang hiervon abhängig zu machen.“ Um die „deeskalierende Wirkung“ des Tasers zu erhöhen, solle er „im polizeilichen Alltag“ mit den Körperkameras der Beamtinnen und Beamten gekoppelt werden.
Grünen-Landtagsfraktionschefin Verena Schäffer meint, die Gesundheitsrisiken des Tasers seien „noch nicht ausreichend erforscht und müssen Teil der Evaluation sein“. Innenminister Reul sagte 2021 nach Beginn des Pilotversuchs mit dem Taser: „Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass der Taser auch eine starke präventive und deeskalierende Wirkung hat.“ Die bloße Androhung führe in 80 Prozent der Fälle zur Deeskalation.
„Die Chance, Distanz zu halten“
„Der Taser schließt eine Lücke zwischen Pfefferspray, Einsatzmehrzweckstock und Schusswaffe. Man würde der Polizei ein wichtiges Instrument nehmen, wenn die Landespolitik wieder davon abrücken würde“, sagt der NRW-Vorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP, Michael Mertens. „Ein großer Vorteil des Tasers ist die Chance für uns Polizisten, Distanz zu halten“, erklärt Corinna Petritsch von der GdP.
Aber wie groß sind die Risiken zum Beispiel für Vorerkrankte, Drogenabhängige, Betrunkene? Ist ein Herzkranker in tödlicher Gefahr, wenn die Elektroden auf ihn zufliegen? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Und kann man zweifelsfrei nachweisen, dass es in erster Linie der Taser war, der zum Tode führte, und nicht der Stress in Kombination mit Drogen/Alkohol? Und kann man umgekehrt beweisen, dass der Taser nicht (mit-)ursächlich für einen Todesfall war? Eine medizinische Gratwanderung.
Fehlentscheidungen unter Zeitdruck
Die Nachrichtenagentur Reuters ließ Autopsieberichte auswerten und kam im Jahr 2017 zu dem Schluss, dass seit der verstärkten Nutzung dieser Waffe durch Polizisten in den USA ab dem Jahr 2000 mehr als 1000 Todesfälle mit Taser-Bezug gezählt wurden. Die Statistik gibt aber keine Auskunft darüber, in wie vielen Fällen der Stromfluss zum Tod geführt haben könnte oder aber ein darauf folgender Sturz.
Mathias John, Rüstungsexperte bei Amnesty International (AI) in Deutschland, spricht von „gefährlichen Risiken“. Dabei seien „Menschen mit einem besonders hohen Risiko des Herz- oder Atemstillstands, beispielsweise aufgrund von Alter, Drogenintoxikation oder psychischer beziehungsweiser körperlicher Gesundheit, besonders gefährdet – gerade auch weil ihnen nicht immer anzusehen ist, dass sie Risikopersonen sind.“ So könne es in zugespitzten Situationen unter Zeitdruck zu tragischen Fehlentscheidungen kommen. Laut John sollten Taser nicht im allgemeinen Streifendienst der Polizei verwendet werden.
Mediziner beschreiben ein gewisses Risiko durch den Taser, insbesondere durch Stürze. Polizisten in NRW begrüßen die Einführung sehr. Die Politik ist sich uneinig und schiebt die Entscheidung über die flächendeckende Einführung vor sich her.
Wie gefährlich sind Taser tatsächlich?
Privatdozent Dr. Björn Hossfeld ist Leitender Oberarzt im notfallmedizinischen Zentrum des Bundeswehrkrankenhauses Ulm. Er hat zusammen mit fünf weiteren Medizinern einen Fachartikel zum Taser veröffentlicht und gehört zum Expertenkreis der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Mit ihm sprach Matthias Korfmann.
Herr Dr. Hossfeld, ist der Taser gefährlich?
Personen, die der Wirkung eines Tasers ausgesetzt waren, haben, abhängig von ihren Vorerkrankungen und von Drogenkonsum, ein gewisses Risiko von Komplikationen. Es hat tatsächlich vereinzelt Todesfälle gegeben, aber die gehen nicht auf die Stromwirkung zurück, sondern auf den Kontrollverlust des „Getaserten“. Er stürzt ohne Schutzreflex und kann sich dabei verletzen. Stellen Sie sich vor, dieser Mensch steht auf einer Mauer oder einer Treppe und kann sich beim Fallen nicht abstützen.
Ist der Taser in bestimmten Situationen sinnvoll?
Ja. Er wird angewendet, wenn die Polizei eine Distanzwaffe einsetzen muss. Bisher ist das die Pistole, die übrigens von der Polizei in Deutschland zum Glück sehr selten eingesetzt wird, denn ein Treffer damit führt immer zu schweren Verletzungen. Aber es gibt diese Situationen. Ich habe einen solchen Einsatz erlebt: Ein Junger Mann, voll mit Metamphetaminen, prügelt seine Eltern aus dem Haus und verschanzt sich dort. Dort mit der Pistole hineinzugehen und zu schießen, wäre nicht akzeptabel. Der Taser ist ideal. Man macht den jungen Mann damit aus der Distanz kampfunfähig.
Wie groß ist die Gefahr, dass das Herz Schaden nimmt?
Das Risiko eines Herzstillstandes durch den Strom ist praktisch null. Kammerflimmern kann unmittelbar danach zwar nicht ausgeschlossen werden, aber es ist kein Fall beschrieben, in denen ein Todesfall auf den Strom zurückzuführen ist, sondern auf andere Dinge wie Drogenkonsum. Ein Mensch voller Metamphetamine hat eine Herzfrequenz von bis zu 200. Das kann allerdings Herzprobleme auslösen. In den USA wurden sogar schon in Studien Probanden mit Herzschrittmacher getasert, was natürlich nur mit Freiwilligen möglich ist. Ergebnis: Keine relevanten Rhythmusstörungen. Das baden-württembergische Spezialeinsatzkommando der Polizei nutzt den Taser und führt auch immer einen Defibrillator mit. Der Defibrillator wurde aber noch nie benötigt.
Die NRW-Landesregierung hat sich auf eine neutrale wissenschaftliche Evaluation bis 2024 geeinigt. Wie ist die Datenlage?
Eine wissenschaftliche Evaluation ist aus meiner Sicht eigentlich nicht mehr erforderlich, da bereits umfangreiche Daten aus dem Ausland vorliegen. Die Faktenlage ist hervorragend. In den letzten 20 Jahren wurden weltweit mehr als fünf Millionen Taser-Anwendungen dokumentiert.
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen. Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.