Detmold. . Weil auch Straftäter immer älter werden, hat das Detmolder Gefängnis ihnen eine eigene Abteilung eingerichtet. Auch zum Schutz vor den Hierarchien der Jungen. Denn der „Normalvollzug“, sagt selbst die Anstaltsleiterin, „ist laut, aggressiv, hierarchisch“ - nichts für ältere Herrschaften.

Erhard hat eigentlich Koch gelernt, in seinem Leben aber ganz andere Dinge angerichtet. Von 1978 bis 2000 war er hinter Gittern, seit 2003 sitzt er schon wieder. Er ist darüber 67 Jahre alt geworden, aber etwas ist neu: „Ein ganz anderes Erleben von Gefängnis“, meldet Erhard, der eingesperrt ist nur mit anderen Rentnern – in der ersten „Abteilung für Lebensältere“ einer Justizvollzugsanstalt im Land. Und damit wohl dem einzigen Knast mit Warteliste.

Denn mit der Gesellschaft werden auch ihre Straftäter immer älter. Fast 500 Häftlinge hatten im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen die 60 überschritten, vor 30 Jahren waren es kaum mehr als 100. Menschen sind das, Männer zumeist, die im Alter erstmals straffällig werden (oder zum ersten Mal auffallen), aber auch solche wie Jürgen aus Dortmund, den Raub und Einbrüche schon 25 Jahre Freiheit kosteten. Für ihn, der die JVA Werl von innen kennt („Ein ganzer Kerl geht nach Werl“) ist Detmold „wie ‘ne neue Welt“.

Alt-Herren-Fitness und Rückenschule

Es gibt hier einen Flur, auf dem die „Alten“ unter sich sind und sich auch außerhalb der Zellen bewegen dürfen, eine Küche, eine Gemeinschaftsdusche mit Handgriffen. Einen Billardtisch, einen zum Kickern, Blumen, ein Aquarium, das, weiß Jürgen, „im Normalvollzug lächerlich“ wäre. Und freundlichen Kontakt mit den „Grünen“, den Beamten, die inzwischen längst Blau tragen, aber nun: wie die Zeit eben vergeht. Auf dem Tagesplan steht statt Fußball „Alt-Herren-Fitness-Gruppe“, „Rückenschule“, Skat oder Schach.

Mehr ältere Gefängnis-Insassen

Der demographische Wandel ist auch bei den Straftätern zu erkennen: Von 2002 bis 2012 stieg die Zahl der zu Freiheitsstrafen Verurteilten jenseits der 60 in NRW von 318 auf 492, ein Anstieg um 54,7 Prozent.

Der Blick noch weiter zurück belegt die Tendenz: 1980 saßen in den NRW-Gefängnissen nur 110 Straftäter ein, die 60 Jahre und älter waren. 2013 sind die Zahlen allerdings erstmals ungefähr gleich geblieben.

Die „Lebensälteren“, wie sie im Bürokratendeutsch heißen, „haben andere Bedürfnisse“, hat Anstaltsleiterin Kerstin Höltkemeyer-Schwick vor Jahren erkannt, „sie brauchen Rückzugsmöglichkeiten“, medizinische Versorgung, mehr Bewegung als eine Stunde Freigang. Zugleich ist die Abteilung für ihre, ja, „Alteingesessenen“ ein Schutzraum vor der gewöhnlich harten Gefängnis-Welt: Ältere Männer, körperlich schwächer, würden in der Hackordnung durchfallen. Die Detmolder nehmen da kein Blatt vor den Mund: „Der Normalvollzug“, sagt Höltkemeyer-Schwick, „ist hierarchisch, laut und aggressiv.“

Die Älteren wollen ihre Medikamente - und keinen Zoff

Davon will sie die Senioren unter ihren Insassen fernhalten, weg von Cliquen und Imponiergehabe. „Als älterer Mann“, sagt selbst Kapitalverbrecher Erhard, „hat man Probleme mit der Gewalt, auch mit den Kulturkonflikten.“ Und mit den eigenen Gebrechen: „Die Leute möchten“, sagt Dieter Strobel, stellvertretender Leiter in Detmold, „in die Drogenbeschaffung nicht hineingezogen werden. Die wollen eine Tablette gegen Rückenschmerzen.“ Und, wie Jürgen, „raus aus der Rangfolge – und etwas Ruhe für die restlichen paar Jahre“.

Auch das gehört ja zur Realität der Häftlinge jenseits der 60: Wer in diesem Alter „Lebenslang“ bekommt, wird wohl hinter Gittern sterben. Eine „biographische Katastrophe“, sagt Sozialarbeiter Bodo Exner. Aber selbst wenn ein alter Mann noch freikommt, hat Exner Mühe, einen Platz in der Gesellschaft für ihn zu finden. „Die will keiner mehr haben.“ Erst kürzlich haben sie einen 70-Jährigen entlassen, nach 43 Jahren hinter Gittern; er bekam nur mit Mühe einen Platz im Seniorenheim.

Arbeiten können die Männer „draußen“ nicht mehr, sie sind ja längst im Ruhestand. Drinnen sind sie noch gefragt. „Die meisten“, sagt Exner, gerade die Ersttäter, „sind sozialisiert, denen braucht man nicht zu sagen, wie sie sich benehmen sollen.“ Sie wissen, mit der Weisheit des Alters, auch genau, welche Fehler sie gemacht haben. Michael etwa („Warum ich hier bin, ist klar“) nimmt sich auch mit 67 jedes Wochenende Arbeit mit auf seine Zelle: „Ich hab’s draußen ja auch nicht anders gekannt.“

Als Arbeiter sind die „Alteingesessenen“ noch gefragt

Kritik am angeblichen „Kuschelvollzug“ weisen die Detmolder zurück. Auch ihre Altenabteilung bleibt ein Gefängnis, mit Gittern vor den Fenstern und schweren Schlössern in den Stahltüren, die allerdings selbst hier zu schmal sind für Rollstühle und Rollatoren. „So schön das ist“, sagt Michael, „wie im Hotel fühle ich mich nicht.“ Die Strafe, sagt einer in der blauen Anstaltskleidung, der sich „Meier“ nennt, „hat man schon im Nacken“. Und „egal“, sagt auch Sozialarbeiter Exner, „wie golden so ein Käfig ist, wir nehmen ihnen die Freiheit“. Schließlich gilt auch und vielleicht gerade für die Alten: „Raus will jeder.“