Bochum. . Achteinhalb Monate arbeitete die 19-Jährige in einem Bochumer Supermarkt ohne Lohn, weil sie auf einen Ausbildungsplatz hoffte. Als ihr nach all der Zeit nicht einmal Urlaub gewährt wurde, ging sie zum Anwalt. Nun sprach ihr ein Arbeitsgericht 17.000 Euro nachträglich zu.

Sie war einfach platt, ausgelaugt. Achteinhalb Monate hatte Jennifer Bork* in dem Bochumer Rewe-Markt malocht, hatte an der Kasse gesessen, Regale eingeräumt, im Lager gestapelt. Und das alles ohne Lohn! Eine Praktikantin eben, eine, die auf einen Ausbildungsplatz hoffte. Als der 19-Jährigen nach all der Zeit nicht einmal Urlaub gewährt wird, geht sie zum Anwalt. Mit Erfolg: Das Arbeitsgericht Bochum spricht ihr nun 17.000 Euro Lohn zu. Doch dies ist kein Einzelfall.

„Zu mir kommen viele Leute, die sich über ähnliche Situationen beschweren. Aber sie wollen ,um Himmels Willen’ nicht, dass wir aktiv werden. Sie haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren“, sagt Gewerkschaftssekretär Helmut Süllwold von Verdi. Er kenne ähnliche Fälle von kleinen Edeka- und Rewe-Märkten in Bochum, er wisse von Auszubildenden an Tankstellen, die nur kurz eingewiesen würden und dann Nachtschichten übernehmen müssten.

80 Prozent der Praktika sind normale, schlecht bezahlte Arbeitsplätze

Wieviele junge Leute in Deutschland sich in einer solchen Situation befinden, weiß man nicht genau. Doch nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes gibt es sie zu Hauf. Jugendliche, die mit Praktika Zeit überbrücken und auf einen Ausbildungsplatz hoffen. Junge Leute, die während ihrer Ausbildung weniger lernen als einen vollen Arbeitsplatz auszufüllen. „Bei 80 Prozent der Praktika handelt es sich um normale, schlecht bezahlte Arbeitsplätze“, so DGB-Referent Michael Wagner.

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Schon 2005 und 2011 waren der DGB und die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung mit ihren Studien der „Generation Praktikum“ auf der Spur. Zuletzt stellten sie fest, dass trotz des Facharbeitermangels Praktikanten immer noch als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Die Hoffnung darauf, über ein Praktikum den Einstieg ins Berufsleben zu schaffen, erfülle sich jedoch meist nicht. Lediglich jeder Fünfte erhalte am Ende ein Übernahmeangebot.

Nicht viel anders war das auch bei Jennifer Bork, der jungen Frau, die in dem Bochumer Rewe-Markt arbeitete. Mehrfach ködert man sie mit dem Versprechen auf eine Lehrstelle, immer wieder lässt sie sich darauf ein. Im März vergangenen Jahres schließlich unterschreibt sie ihren Vertrag, unter der Bedingung allerdings, bis zur Ausbildung ab September weiter ohne Lohn zu arbeiten.

Zehn Euro pro Stunde muss der Händler der Praktikantin nachzahlen

„Sie kam mit ihrem Vater in meine Kanzlei. Sie war ziemlich erschöpft, auch vom täglichen Pendeln zwischen Schwelm und Bochum“, erklärt ihr Anwalt Martin Ackermann. Er habe sie darüber aufgeklärt, dass sie alles auf Spiel setze, aber sie nahm das in Kauf. Ihr Glück: Vor dem Arbeitsgericht Bochum konnte die junge Frau genauestens nachweisen, wann sie wie lange gearbeitet hatte. Sie hatte darüber Buch geführt. Insgesamt waren es 1728 Stunden.

Zehn Euro pro Stunde muss der Bochumer Supermarkt-Unternehmer Jennifer Bork nun nachträglich zahlen. Plus Zinsen. Einen Vergleich über 13.000 Euro hatte er zuvor abgelehnt. Rewe Dortmund, unter deren genossenschaftlichen Dach der Bochumer Markt firmiert, distanzierte sich am Donnerstag „mit aller Entschiedenheit von den Praktiken des in Rede stehenden Kaufmannes“ und kündigte an, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

Dem Bochumer Rewe-Händler, der als eigenständiger Kaufmann tätig ist, wirft Rechtsanwalt Martin Ackermann sogar vor, weitere Praktikanten ausgebeutet zu haben. Jennifer Bork indes hat nun zwar 17.000 Euro mehr auf ihrem Konto, aber der erhoffte und schwer erarbeitete Ausbildungsplatz ist weg.

Sie jobbe im Moment in Teilzeit, sagt ihr Anwalt.

*Name geändert