Essen. . Innenstädte veröden, das Opel-Werk und die Nirosta-Stahlfabrik schließen, große Konzerne bauen Tausende Stellen ab: Mit Blick auf die Entwicklung des Reviers zeigt sich Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck tief besorgt. Er fordert ein Umdenken, wenn die Region „nicht dauerhaft abgehängt“ werden soll.
Kohle und Stahl haben auch das Ruhrbistum geprägt. Wie selbstverständlich war der Bischof von Essen auch Arbeiterbischof. Franz-Josef Overbeck (49) fordert nun ein Umdenken. Nicht nur in der Kirche, sondern auch in den Städten, die zum Bistum gehören – Bochum, Bottrop, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Gladbeck, Mülheim und Oberhausen.
Mit Blick auf die Entwicklung des Ruhrgebiets hat sich Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck im Interview mit DerWesten tief besorgt gezeigt. Zugleich forderte er ein Umdenken, wenn die Region „nicht dauerhaft abgehängt“ werden soll. „Wir können nicht so tun, als müssten wir uns nicht verändern“, sagte Overbeck. „Bildlich gesprochen: Sie können nicht wie im Theater einen alten Menschen immer weiter schminken, damit er nicht als alt erkannt wird. Irgendwann erkennt jeder das Alter.“ Dies gelte für die Kirche ebenso wie für das Ruhrgebiet.
Das Ruhrbistum hat seit Bischof Hengsbach den Ruf, sich besonders stark für die Belange der Arbeitnehmer im Strukturwandel einzusetzen. In letzter Zeit ist es eher ruhig geworden, braucht es die vermittelnde Stimme der Kirche nicht mehr?
Bischof Franz-Josef Overbeck: Die Aufgabe ist eine andere geworden. Als Franz Hengsbach im Jahr 1958 seine Arbeit als erster Ruhrbischof aufnahm, prägten Kohle und Stahl die Region. Diese Zeit ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kirchlich zu Ende.
Die Tradition des Ruhrbischofs als Arbeiterbischof ist beendet?
Bischof Overbeck: Sich in der Berufsbezeichnung auf Stände zu beziehen, ist nicht mehr zeitgemäß. Wie viele Bürger im Ruhrgebiet finden Sie denn, die sich noch freiwillig als Arbeiter bezeichnen würden? Wir sollten als Kirche nicht auf eine nach hinten geträumte Zukunft setzen. Wir müssen uns vom klassischen Ruhrbischof als Mythos verabschieden.
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Was meinen Sie damit?
Bischof Overbeck: Die Kirche hat eine andere Rolle bekommen. Die Verbindung des klassischen Katholizismus mit aus Schlesien kommenden Kohlearbeitern, volkskirchlichen Gemeinden und den Verantwortlichen aus der Kohle- und Stahlindustrie ist Geschichte. Es ist gefährlich zu glauben, wir könnten diese untergegangenen Welten am Leben erhalten. Was der Ruhrbischof sein sollte, ist nicht die Erfüllung dessen, was er einmal war. Der Volkskatholizismus ist bis auf wenige Reste faktisch tot, und ich bin nicht mehr der Bischof der Bergarbeiter, die gibt es doch kaum noch. Ich weiß, dass die Bergbautradition noch sehr viel Kitt gibt, aber machen wir uns nichts vor: Der Kitt von Schalke ist größer…
…Und der von Borussia Dortmund…
Bischof Overbeck: … natürlich, auch wenn Dortmund nicht zum Ruhrbistum gehört.
Wie sieht Ihr Zukunftsbild aus?
Bischof Overbeck: Die Aufgabe ist differenzierter geworden. Wir haben eine mahnende und warnende Funktion, aber vor allem eine positiv-stimulierende Funktion. Es stellen sich neue strukturpolitische Fragen: Wie entstehen verlässliche Arbeitsplätze? Wie können wir dafür sorgen, dass sich gerade auch junge und gut ausgebildete Menschen im Ruhrgebiet ansiedeln?
In der Tat häufen sich die schlechten Nachrichten vom Arbeitsmarkt. Das Bochumer Opel-Werk schließt, das Nirosta-Stahlwerk auch. Thyssen-Krupp steckt in der Krise. Eon, RWE, Evonik, Karstadt und Hochtief streichen Stellen. Was kann die Kirche tun?
Bischof Overbeck: Ein Bischof hat keinen direkten Einfluss auf die Entscheidungen eines Managements. Er kann aber daran erinnern, dass ethische Perspektiven zu einer guten Unternehmensführung gehören, dass ein anständiger Umgang mit den Beschäftigten letztlich auch der Firma zugute kommt. Doch wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Wir können mahnen und Aufmerksamkeit erregen, aber keine Arbeitsplätze retten.
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Ist es hinnehmbar, dass der Konzern Outokumpu im Fall Nirosta einen Tarifvertrag nicht einhalten will?
Bischof Overbeck: Ich nehme wahr, dass es nur noch eine sehr kurze Halbwertszeit von Versprechen gibt. Das mag mit der Globalisierung und der verschärften Konkurrenz auf dem Weltmarkt zu tun haben, die zu immer schnelleren Entscheidungen führen.
Ihre Sorgen ums Ruhrgebiet sind groß?
Bischof Overbeck: Ja, ich bin sehr besorgt. Wenn die Region nicht dauerhaft abgehängt werden soll, ist allerdings auch ein Umdenken erforderlich. Bildlich gesprochen: Sie können nicht wie im Theater einen alten Menschen immer weiter schminken, damit er nicht als alt erkannt wird. Irgendwann erkennt jeder das Alter. Das Bild gilt übrigens für die Kirche ebenso wie für das Ruhrgebiet. Wir können nicht so tun, als müssten wir uns nicht verändern.
Genauer bitte.
Bischof Overbeck: Man hätte sich im Ruhrgebiet viel früher auf die modernen Technologien einlassen müssen. Was in der Vergangenheit versäumt worden ist, kann heute nicht ohne weiteres gut gemacht werden. Man hat eher auf die klassischen Industriezweige gesetzt, die jetzt an ihr Ende kommen…
Sie spielen auf die jahrzehntelangen Kohlesubventionen an.
Bischof Overbeck: Ich habe großen Respekt davor, dass die Menschen in der Not von der Politik nicht im Regen stehengelassen worden sind. Gleichzeitig wurde allerdings versäumt, stärker in die Zukunft zu investieren. Schauen Sie sich die Transformation Bayerns an – eine Region, die noch in den 70er-Jahren ein Agrarland gewesen ist. Bayern hat auf die richtigen Felder gesetzt, auf moderne Technologien. Wir erleben im Ruhrgebiet nun eine Art Kassensturz für eine Politik, die nicht genügend zukunfts- und zielorientiert gewesen ist.
Aber auch nach Bayern sind in großem Stil Subventionen geflossen. Und zum Selbstverständnis Bayerns gehören heute noch Laptop und Lederhose, also Tradition und Moderne.
Bischof Overbeck: Stimmt. Aber die Frage ist: War die Lederhose vor 50 Jahren noch ein Teil von Wirklichkeit und ist sie heute nicht vor allem Verkleidung?
Gerechtigkeit ist immer auch eine Verteilungsfrage. Was sagen Sie als Ruhrbischof zum laufenden Solidarpakt, der auch völlige überschuldete Ruhrgebietskommunen noch bis 2019 zu Zahlungen zugunsten Ostdeutschlands verpflichtet? Oberhausen hat 270 Millionen Euro aus Schulden bezahlt.
Bischof Overbeck: Sie brauchen nur durch Oberhausen zu fahren, um zu sehen, was das konkret heißt. Die Innenstadt verarmt – wie anderswo im Ruhrgebiet auch. Die sozialen Herausforderungen nehmen zu, finanzielle Lasten der Kommunen steigen. Auch das Ruhrgebiet braucht einen Solidaritätspakt, wie wir ihn für Ostdeutschland kennen.
Also doch neue Subventionen?
Bischof Overbeck: Es geht nicht um Subventionen in alte Strukturen. Subventionen mögen kurzzeitig eine befriedende Wirkung haben, dauerhaft sind sie kontraproduktiv. Zugespitzt formuliert: Sie verderben den Charakter, denn sie hemmen die Bereitschaft zur Veränderung. Neue Leistungskraft erreichen wir im Ruhrgebiet nur durch neue Wirtschaftlichkeit. Geld sollte nur in Branchen fließen, die auch wirklich eine Zukunft haben. Und: Die Kommunen im Ruhrgebiet sollten sich entschließen, endlich gemeinsam Politik zu machen. Hier geschieht viel zu wenig.
Was heißt für Sie im Jahr 2013 Solidarität?
Bischof Overbeck: Als Kirche können wir die Menschen zu Solidarität zusammenbringen und uns in unseren Gemeinden in bescheidenem Maße auch um die Verlierer der Gesellschaft kümmern. Aber wir können nicht nur solidarisch mit jenen sein, die unter die Räuber fallen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Not gar nicht erst entsteht. Wir haben in unserer Gesellschaft noch nicht wirklich die Herausforderung der Globalisierung angenommen. Ich glaube, dass das Modell der sozialen Marktwirtschaft so viele Vorteile hat, dass wir es bewahren und weiterentwickeln müssen.
Wer berät eigentlich den Bischof in Wirtschaftsfragen?
Bischof Overbeck: Ich führe im Laufe eines Jahres viele Gespräche mit Unternehmern, Mittelständlern und Arbeitnehmern sowie Gewerkschaftern, die den Kontakt zu mir suchen oder deren Kontakt ich suche. Im Kleinen bilden wir die veränderte Wirtschaftswelt auch im Bistum ab, wenn wir unseren Beraterkreis verändern. Aus den drei Gremien Ingenieur-, Arbeitnehmer- sowie Unternehmer- und Wirtschaftsbeirat unseres Bistums wird der Beraterkreis „Wirtschaft und Soziales“. Das soll auch zeigen, dass es uns um das Gemeinwohl geht.
Abschied vom Arbeiterbischof, Weg mit der Subventionsmentalität – kommen diese Botschaften auch im Essener Norden gut an oder nur im Süden?
Bischof Overbeck: Natürlich kann es verstören, wenn ich nicht nur in das soziale Horn altbekannten Musters blase. Aber wir befinden uns auch als Kirche im Ruhrgebiet auf dem Weg der Identitätsfindung. Wir müssen vieles neu machen. Ich sehe meine Aufgabe nicht als den populistischen Versuch, wie der Rattenfänger von Hameln die Leute hinter mir her zu ziehen. Ich möchte kein Frühstücksdirektor der Öffentlichkeit sein, den man nur für Sonntagsreden einlädt. In erster Linie bin ich Seelsorger und damit Ansprechpartner für die konkreten Nöte der Menschen vor Ort. Ich möchte ehrlich und plausibel argumentieren und so werben für unsere Region.
Auch polarisierend?
Bischof Overbeck: Mit klaren Worten, ja. Aber nicht als Neiddebatte. Das ist nämlich oft der Versuch derer, die glauben, wir könnten mit den alten Modellen weiterarbeiten. Wir brauchen Veränderungen. Nehmen Sie das Beispiel Berthold Beitz. Er verkörperte den Mythos von Krupp. Beitz hat aber selbst gesagt, nach ihm könne es keinen Beitz mehr geben – und das stimmt. Der Mythos Beitz lässt sich nicht einfach auf eine neue Person oder die Zukunft übertragen.
Die Krise von Thyssen-Krupp trifft das Ruhrgebiet besonders stark.
Bischof Overbeck: Die Konzernkrise ist schmerzhafter Ausdruck globaler Fehlentscheidungen, die Folgen in der Region haben, vermutlich auch für die Krupp-Stiftung. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Stiftung auf Dauer aufstellt und in welchem Maße sie sozial aktiv sein kann. Insofern lassen sich die Veränderungen bei Krupp durchaus mit den Veränderungen in der Kirche vergleichen.
Sollte die Politik eine Zerschlagung von Thyssen-Krupp verhindern?
Bischof Overbeck: Ja, aber sie sollte sich an die Gesetze der sozialen Marktwirtschaft halten. Ansonsten würde sie denselben Fehler noch einmal machen, den sie auf andere Weise bereits gemacht hat.
Den Kirchen wird immer wieder vorgeworfen, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Die Kirche als Arbeitgeber zahlt den 400-Euro-Beschäftigten bei der Caritas einen deutlich niedrigern Lohn als Festangestellten, Urlaubsgeld gibt es auch nicht.
Bischof Overbeck: Die katholische Kirche ist im Ruhrgebiet in einer Dichte Träger von sozialen Einrichtungen wie nirgendwo sonst in Deutschland. Ich denke an Kindertagesstätten, Krankenhäuser und Altenheime. Das zieht eine enorme Verantwortung nach sich. Wir können diese Einrichtungen nicht einfach alle aufgeben. Es besteht aber ein enormer betriebswirtschaftlicher Druck, der uns auch zu der Frage führt, welche dieser Betriebe in Zukunft noch katholisch sein können. Denn die Einrichtungen müssen tarifliche Standards halten, wenn sie zur katholischen Kirche gehören sollen. Dies ist unverzichtbar.
Papst Franziskus wirbt für eine „arme Kirche für die Armen“ und lebt Bescheidenheit vor. Ist das stilbildend auch für die Bischöfe in Deutschland? Muss ein Bischof selbst in Armut leben?
Bischof Overbeck: Es geht um Verantwortung, Transparenz und Bescheidenheit. Das gilt im Übrigen nicht nur für jeden Bischof, sondern für jeden Christen. Armut ist aber beispielsweise in Lateinamerika oder in der Ukraine etwas anderes als in der Bundesrepublik. Ich lebe im Verhältnis zu anderen nicht arm, aber ganz normal.
Wie sehr schaden die Vorgänge in Limburg der Glaubwürdigkeit?
Bischof Overbeck: Sehr.
Auch nachhaltig?
Bischof Overbeck: Ja.
Welche Schlüsse ziehen Sie?
Bischof Overbeck: Ich hoffe, dass die Wirkung des skandalösen Geschehens in Limburg ist, dass wir uns alle, nicht nur wir katholischen Bischöfe, fragen: Wie leben wir eigentlich? Das muss sehr unterschiedlich beantwortet werden, aber es geht um eine Kulturfrage, die uns alle betrifft. Für mich persönlich sind wesentliche Maßstäbe: Bescheidenheit, Transparenz, Angemessenheit und Verantwortung für das, was ich tue.