Holzwickede/Dinslaken. . Die Emscher wird sauber. Eine Wiederauferstehung, die das Ruhrgebiet verändern wird. Doch an dem Wunder wird noch gearbeitet. Eine Entdeckungsreise von der Mündung bis zur Quelle des Flusses.

Idyllisch hier, dachten Claudia und Gerd Drzisga, als sie an die Emscher zogen: Zwei Fachwerkhäuser in Holzwickede und daneben der Teich, den sie anno 1824 als Quelle deklariert haben, als die Dortmunder gerade nicht aufpassten. Denn die Emscher hat mehrere Quellen, und wer es drauf anlegt, kann drei Rinnsale ein paar Hundert Meter weit bis auf Dortmunder Gebiet verfolgen. Doch es passt zu diesem Fluss, dass er offiziell im Heizungskeller der Drzisgas entspringt. Ja, das Wasser drängt dort einfach aus der Wand und fließt in einer schnöden Rinne am Heizkessel vorbei bis in besagten Teich.

Man muss nun sagen, dass die Drzisgas für die Emschergenossenschaft kamen, um den alten Lünschermannshof zu einem Infocenter herzurichten. Mit Erfolg. Noch bevor die Aussichtsplattform fertig war, trampelten die Touristen über die losen Balken. So idyllisch ist der Emscherquellhof nun geraten, dass die Verwalter sich ständig Teleobjektiven und Erzählen-Sie-doch-mals ausgesetzt sahen. Sie zogen also nach Unna und beraten nur noch tagsüber all die Wanderer und Radler und Schüler und Suchenden. Die Menschen, scheint es, haben die Emscher lange vermisst.

Ein Generationenprojekt

Ein verloren geglaubter Fluss taucht wieder auf – ist das nicht ein Wunder? Nüchterne Geister wenden nun ein, das Wunder bestehe aus 4,5 Milliarden Euro, drei Jahrzehnten harter Arbeit und 400 Kilometern neuen Kanalrohren, in denen das Abwasser bis 2017 verschwinden soll. Das dreckige wird also vom klaren Wasser getrennt. Und drei Jahre später, 2020, sollen auch überirdisch die 350 Kilometer Flusslandschaft umgemodelt sein.

Aber ist das nicht mehr als eine Struktur, die sich hier wandelt? Ein Generationenprojekt, natürlich. Eine Selbstverständlichkeit nachholender Entwicklung (wo, bitte, gibt’s in Westeuropa noch offene Kloaken?) – vielleicht auch das. Aber vor allem ist der Emscherumbau doch eine Utopie! So wie der blaue Himmel über der Ruhr. Erinnern wir uns kurz, wie die Emscher mal GESTUNKEN hat, bevor die Klärwerke erneuert wurden. „Fensterscheiben hoch“, warnte Papa immer vor diesem Fremdschämfluss.

Ganz greifbar wird diese Utopie an der Dortmunder Nathmerichstraße zwischen Pizza Apresto und Pizza & Schnitzel Express: Eine Baustelle, das neue Bett ist schon gegraben. Die Sölder werden demnächst an einem hübschen Bach wohnen. Was sagen sie dazu? Rentner Bernd R.: „Naja, die Schulkinder werden sich bedanken, die Brücke ist ja jetzt deutlich weiter weg.“

Der Mensch sehnt sich nach Wasser 

Ein weiteres Stück flussabwärts, der Phoenix See: Der Mensch sehnt sich nach Wasser. Egal wie pfützig. Den meisten ist es vermutlich nicht klar, aber die begehrtesten Grundstücke Dortmunds liegen direkt an der Emscher. Denn die säumt den Phoenix-See, nimmt ihn in die Zange: im Norden als Bach, im Süden unterirdisch als Abwasserkanal. Hier hat die Emschergenossenschaft gar einen Weinberg bestellt. Und auch die Groppe soll wieder heimisch werden. Ein echter Emscherfisch (!), der in den letzten 120 Jahren weit oben in der Boye, einem Bottroper Nebenfluss, überdauerte.

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An der Phoenixemscher darf es wuchern, blümchenbunt und schilfig-schräg. Ein klares Rinnsaal mäandert im etwas zu geometrischen Bett, so wird es fast überall ausschauen später, weil schlicht der Raum fehlt für ausufernde Schlenker. Aber die Betonplatten kommen weg, die Böschung darf zuwachsen, und weil der Fluss, befreit vom Abwasser, ohnehin schrumpft, kann er sich im vorgeformten Bett ein wenig hin- und herwerfen. Und doch: So idyllisch ist hier, dass Spaziergänger Detlef Kurth (60) die ehemalige Köttelbecke schützen will: „Hier kacken die Hunde ja alles zu, das müsste verboten werden.“

Das Loch ist gigantisch. 40 Meter tief, das Halden-Tetraeder würde ungefähr hineinpassen. Hier, in der Welheimer Mark zu Bottrop entsteht bis 2015 ein neues Pumpwerk. Denn das Schmutzwasser der Emscher muss auf seinem Weg nach Dinslaken mindestens dreimal angehoben werden, sonst käme es in 80 Metern Tiefe an. Der Fluss, der in der Mitte des Ruhrgebiets neu entsteht, er ist nur mit seiner unterirdischen Entsprechung zu denken. Je naturähnlicher, desto mehr wird er auch zum technischen Kunstwerk.

Die große Flussbereinigung betrifft ja auch die Nebenbäche 

Die Emscher, diesen Strich in der Landschaft, muss man sich als Netz denken. Die große Flussbereinigung betrifft ja auch die Nebenbäche. Etwa die Berne, die unter der Emschergenossenschaft in Essens Mitte entspringt und zwei Drittel aller Essener Abwässer mit sich nach Bottrop trägt, wo sie hinter den zwei futuristisch illuminierten Ex-Klärbecken des Berneparks in die Emscher mündet. Die Zukunft müffelt hier noch wie annodazumal.

„Ob die das noch mal sauber kriegen“, fragt sich Heinrich Tremel (65). Er geht seit Jahren an der Emscher spazieren. Trotz des Geruchs oder deswegen? „Ich bin hier aufgewachsen.“ Wird er ihn vermissen? „Mit Sicherheit nicht. Aber mit den Forellen, das wird wohl nicht mehr klappen.“ Warum eigentlich nicht? Das Wunder der Berne.

An ihrer Mündung in Dinslaken hüpft die Emscher aus ihrem schmuddeligen Bett in den Rhein, als bräuchte sie dringend eine frische Dusche. Fünf Meter springt sie hier durch ein „Absturzbauwerk“ herab, was nicht nur Forellen abschrecken würde. Bis 2018 sollen darum Dämme versetzt werden, soll hier eine Auenlandschaft entstehen, einer von drei „ökologischen Schwerpunkten“ des neuen Flusses. Das „Absturzbauwerk“ aber wird wohl als Denkmal bleiben: ein „Betonmonster“, das uns mit trockenem Wasserfallmund von einer Zeit erzählt, in der die Vorstellung der Emscher als Naturidyll noch erschien wie Science Fiction. Obwohl wir sie direkt vor der Nase hatten.