Bochum. . Am 12. Juni 1988 ging der Starlight Express in Bochum als erster Stern am Himmel über dem „Broadway Ruhr“ an den Start. Unter dem lauten Protest einiger Bürger. „Höchstens ein Jahr“ gaben die Kritiker dem Stück. Inzwischen haben es 14 Millionen Menschen gesehen. Zehn Fakten zum Rollschuh-Musical.
Am 12. Juni 1988 ging der Starlight Express in Bochum an den Start. Und war nicht mehr zu stoppen. Heute, 25 Jahre später, strahlt der erste Stern am Himmel über dem „Broadway Ruhr“ noch immer. Zum Jubiläum: Zehn Dinge, die Sie über Andrew Lloyd Webbers Musical auf Rollschuhen wissen sollten.
1. Wie alles anfing
Mit einem Fehlstart! Denn die für Mai geplante Premiere musste verschoben werden. Weil die „Main Bridge“, technisches Herzstück der Inszenierung, dem Tempo der Akteure nicht gewachsen war; weil sich die Darsteller in einem zu niedrig geplanten Tunnel die Köpfe stießen; weil das Copyright-geschützte Make-up der Künstler, das aufzutragen über eine Stunde kostete, in Sekunden zerfloss, wenn sie es wagten, zu schwitzen. Nein, wenige Tage vor dem 12. Juni 1988 sah es im Haus am Stadionring, in das Stadt und Land 24 Millionen Mark gesteckt hatten, mitnichten so aus, als ob hier jemals irgendetwas rollen würde. Schon gar nicht rund.
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Dazu kam: Viele Bochumer wollten das Musical gar nicht – zu teuer, zu seicht, zu sehr Spektakel, sagten sie. Es gab ein Säure-Attentat, Demos und Drohbriefe. Patrick Steckel, Intendant des Bochumer Schauspielhauses, wetterte über die „kommerzielle Verblödungsmaschine“. Und Ministerpräsident Johannes Rau kam zur Premiere wohl nur, weil er musste; dem WDR sagte er vor der Show: „Hoffentlich ist es nicht zu laut!“ Danach allerdings war er – begeistert. Wie alle 1700 Premierengäste.
Der Starlight Express hatte Fahrt aufgenommen.
2. Die Rekorde, die Krise
In rascher Folge purzelten dann die Rekorde, seit 2010 darf sich der Starlight Express (StEx) sogar offiziell „weltweit bestbesuchtes Musical an einem festen Standort“ nennen – länger läuft nur „Das Phantom der Oper“ in New York. Die vielgestellte Frage, was dieses so unerwartet erfolgreiche Musical habe, was andere nicht hätten, beantwortete Andrew Lloyd Webber 2008 übrigens so erschöpft wie erschöpfend mit einem einzigen Wort: „Wheels“ – Räder.
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„Stella“, das Hamburger Unternehmen, das Rusty, Pearl & Co. in Bochum auf die Bühne brachte, legte glänzende Bilanzen vor. Bis 1997. 2002 war es nicht mehr zu retten. Bei und um StEx zitterte man wochenlang. Die Mitarbeiter verzichteten auf Lohn, die Stadt auf Miete für Theaterhaus; 100 Stellen wurden gestrichen. Es übernahmen die Düsseldorfer Produzenten Krauth und Friedrichs. Deren späterer Geschäftsführer, Maik Klokow, ist inzwischen mit seiner „Mehr!EntertainmentGmbH“ alleiniger Produzent. Seine Karriere startete der heute 44-Jährige aus Wismar 1990 – als Bühnenmeister bei Starlight.
26 Tänzer und Sänger stehen bei Starlight Express auf der Bühne
3. Die Handlung
Ein Kind träumt von einer Weltmeisterschaft der Loks. Fünf moderne Züge gehen mit ihren Waggons ins Rennen, die junge Dampflok Rusty scheint gegen die Herausforderer keine Chance zu haben . . . – eine rührende Geschichte um Kampf und Kohle, Stahl und Stärke. Eine Geschichte also, die, wie Bochums OB Ottilie Scholz wiederholt versicherte, zur Stadt passe. Nicht nur des Eisenbahnmuseums wegen.
4. Die Show
Sieben Mal pro Woche rasen sie (mit bis zu 60 Stundenkilometern!) seit 25 Jahren durchs Halbrund. Aber kein Abend sei wie der andere, versichern die Akteure. Auch die Produktion selbst wurde ständig geändert; (nur die vier Märklin-Loks, die über den Köpfen der Zuschauer ihre Runden drehen, sind noch immer dieselben wie 1988). 2004 wurde das Ensemble um zwei Stunt-Skater ergänzt, die Technik 2006 um Pyroeffekte und Nebelraketen, der Zuschauerraum 2008 um 360-Grad-Drehsessel. Zum 25. erneuerte man Soundanlage, Licht- und Lasershow.
5. Das Team
26 Tänzer und Sänger stehen auf der Bühne; 500 bewerben sich jährlich für einen Job. Selbst Spice-Girl Melanie Brown tanzte 1995 vergeblich vor . . . Hinter der Bühne sind 350 Menschen im Einsatz, vom Musiker bis zum Mechaniker, vom Skate-Trainer bis zur Schneiderin.
Ungewöhnlich für eine Branche, in der Ein-Jahres-Verträge die Regel sind: Auch dutzende Mitarbeiter sind fast ein Vierteljahrhundert dabei. Frauen und Männer wie Rollschuhtechniker Franz Spieckermann (49) etwa, der im August 1988 bei StEx nur um eines flotten Aushilfsjob wegen vorsprach – und bis heute blieb.
6. Der älteste Hase
David Moore schnaubte schon beim 10. Starlight-Geburtstag als Dampflok „Papa“ über die Bochumer Bühne; heute Abend wird er es wieder tun. Über 1000 Shows habe er mit Unterbrechungen absolviert, „und danach aufgehört zu zählen“, berichtet der Amerikaner.
Das Gewicht seines Kostüms verrät er gern („achtzehn Kilo, ohne Rollschuhe!“), sein wahres Alter nicht („etwa fünfzig plus“). „Papa“ ist er im Übrigen nicht nur auf der Bühne: So manchen Streit „unter den Kindern“ schlichtete er schon. Und „den ein oder anderen, der einen zu viel hatte“ habe er von der Party auch mal nach Hause geschickt. Warum er weitermachen will, „mindestens bis zum 30. Geburtstag von Starlight“? Der Kinder wegen, sagt Moore: „Sie sitzen da im Zuschauerraum mit offenem Mund, begreifen vielleicht nicht, was sie da sehen, aber sie lieben es. Und man weiß genau, sie werden zwei Wochen lang von nichts anderem reden.“
Junge Darsteller und alte Fans bei Starlight Express
7. Das Nesthäkchen
Vor zwei Wochen feierte sie ihre Show-Premiere als Sprengstoffwagen „Joule“: Kelly Downing, die Jüngste an Bord des Starlight Express. Seit Februar hatte die 23 Jahre alte Britin für diesen Tag trainiert. Unter Schmerzen, wie sie sich lachend erinnert: „Mein armer Hintern! Anfangs stolperte ich von einem Sturz in den nächsten . . .“. Derzeit studiert Downing unter den gestrengen Augen von Skate-Trainer Michael Fraley als Zweitbesetzung auch die Rollen von „Buffy“ und „Ashley“ ein.
Starlight feiert 20. Geburtstag
Und macht ihre Sache „schon ganz ordentlich“, findet Steven Rosso, der künstlerische Leiter des Hauses, als er während einer Probe kurz an die Bande rollt – und gleich wieder kopfschüttelnd davonrauscht, leise murmelnd: „Aber das Timing, nein, so geht das doch nicht . . .“
8. Der treueste Fan
Neunhundertundreizehnmal (in Zahlen: 913-mal!) hat Andrea Rau die Show schon gesehen. Zum ersten Mal: im Juni 1988; zum letzten Mal: Ende Mai 2013. Zur Gala kommt die Bochumerin natürlich auch. Da ist sie eingeladen, sonst zahlt sie selbst. Meist geht sie sonntags, immer sitzt sie an derselben Stelle: im Parkett, Reihe 3. „Andere entspannen bei Yoga, ich bei Starlight“, erklärt die 43-Jährige, die als Talsperrenmeisterin beim Wupperverband arbeitet. Sie hat ihre Lieblingslok: „Electra“; und ihren Lieblingsdarsteller: David Moore (obwohl der sich beim Besuch der WAZ explizit darüber beschwerte, dass Andrea ihm keine Weihnachtskekse mehr schicke . . .).
9. Der Verschleiß
Ist enorm: 135.000 Rollschuhachsen wurden seit Juni 1988 verbogen, 300.600 Paar Schnürsenkel zerrissen und 22 Kilometer Pflaster verklebt. Doch wen wundert’s: Allein die Diesellok Greaseball legte seither 20.274 Kilometer zurück!
Wer an dieser Stelle übrigens ein Kapitel „Pleiten, Pech und Pannen“ vermisst: Das würde die Seite sprengen. Schon zum 20. Geburtstag fragte die WAZ nach den kleinen Katastrophen des Alltags. Ob er sich an einen besonders dramatischen Abend erinnere, wollten wir von Skate-Trainer Michael Fraley wissen. Seine fassungslose Antwort: „Einen????“
10. Wann soll das enden?
„Niemals!“, sagt David „Papa“ Moore und legt dabei die Hand aufs Herz: „Die Magie dieses Musicals ist unsterblich.“ Tatsächlich ist die Jubiläums-Show am heutigen Abend die 9777. – und das Musical selbst „längst eines der größten und sympathischsten Aushängeschilder der Stadt Bochum“, so deren Sprecher Thomas Sprenger. Über 14 Millionen Menschen haben das rasante Rennen der Lokomotiven in Bochum gesehen, 90 Prozent aller Deutschen schon davon gehört.
Da geht doch noch was!