Recklinghausen. . Der Recklinghäuser Herbert Greszuk war an Bord der Costa Concordia, als der Kreuzfahrtriese vor Giglio einen Felsen rammte. Noch heute kann er Stürme, Krach und Dunkelheit nicht ertragen. Er wartet auf den Prozess gegen die Reederei und den Kapitän des Unglücksschiffs.

Wenn der Wind in diesen Tagen um die Ecken heult, wird Herbert Greszuk ganz still. Kreidebleich starrt der 63-Jährige gen Himmel. Stürme, Krach und Dunkelheit kann der Recklinghäuser seit genau einem Jahr nicht mehr ertragen. Seit jenem tragischen Tag, an dem die Costa Concordia vor der italienischen Insel Giglio auf einen Felsen krachte, an Bord das Licht ausfiel und Greszuk mit seinem Partner zunächst um sein Leben rannte und später im tosenden Wind im Rettungsboot Richtung Meer abgeseilt wurde.

Ein Jahr ist es am Sonntag her, dass das Kreuzfahrtschiff auf Grund lief. 32 der 4200 Passagiere starben, darunter zwölf Deutsche. Die Traumreise, die für Greszuk einen Tag später in Livorno enden sollte, wurde für ihn zum Horrortrip. Ende offen.

Abfindung abgelehnt

Greszuk kann sich dem Albtraum nicht entziehen. Zu gegenwärtig drängen sich die Erinnerungen in sein Gehirn. Schlafen? Nur möglich, mit „zwei Beruhigungspillen am Abend und zwei Aufputschmitteln am Morgen“. Selbst beim Essen wird er an die Katastrophe erinnert.

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Bei dem Unfall war seine Zahnprothese beschädigt worden. Seither lebt er mit dem demolierten Gebiss. „Ich habe kein Geld, um siebentausendfünfhundert Euro für die Reparatur zu zahlen“. Seine Krankenkasse gehe schon in Vorleistung für den Psychologen. „Ich habe Angst, dass mir die Arztkosten über den Kopf wachsen“, sagt Greszuk.

Dabei hatte er ein Angebot für ein Gebiss. Ein Schweizer Dentallabor hatte ihm einen kostenlosen Ersatz angeboten: Wenn er zustimme, dass die Medien über die selbstlose Hilfe der Firma berichten dürften. Wollte er aber nicht.

Erinnerungen aus dem Leben ruhen in dem Wrack

Ob und, wenn ja, wann die Costa für seinen erlittenen Schaden zahlen wird, weiß keines der Opfer. 11 000 Euro hatte die Reederei den Überlebenden 14 Tage nach der Havarie angeboten. „Etwa ein Drittel der Passagiere haben das Geld genommen“, sagt Hans Reinhardt. Der Marler Anwalt vertritt 19 deutsche Opfer, darunter auch Greszuk. „Wer das Geld kassiert hat, musste sich verpflichten, keine weiteren Ansprüche an die Costa zu richten“, so Reinhardt.

Für einige Opfer sei das unmöglich gewesen. „Ich habe eine Klientin, die hat sich das Becken gebrochen und sitzt im Rollstuhl.“ Die Dame hätte nach 14 Tagen nicht absehen können, wie sich ihr Leiden entwickelt.

Auch Greszuk wollte und konnte die Abfindung nicht kassieren. Er fordert 50 000 Euro. Arztkosten, ein neues Gebiss, Schmerzensgeld und Sachschäden summieren sich schnell.

Viele Erinnerungen aus seinem Leben vor der Katastrophe ruhen noch in dem Wrack. „Die Safes in den Kabinen können erst geöffnet werden, wenn das Schiff geborgen ist“, sagt Reinhardt. „Alles wartet.“ Auch darauf, dass italienische Gerichte im Frühjahr endlich Anklage gegen Francesco Schettino erheben. Dass Richter dann im Sommer über Schuld oder Unschuld des Kapitäns entscheiden, der als einer der ersten von dem Schiff floh, während tausende Menschen noch um ihr Leben kämpften. Erst dann können die Opfer, die keine Abfindung akzeptiert haben, als Nebenkläger vor Gericht ziehen.

Havarierte "Costa Concordia"

Das Kreuzfahrtschiff
Das Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia" war Freitagnacht vor der toskanischen Küste auf einen Felsen gelaufen und gekentert. An Bord waren rund 4200 Menschen, darunter 566 Deutsche. Gegen den Kapitän der "Costa Concordia", Schettino, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung, Verursachung eines Schiffbruchs und wegen des Verlassens des Schiffs vor anderen. Das Foto zeigt das Schiff, wie es in Reise-Prospekten zu sehen war. Denn seit Freitag... © AP
...liegt das havarierte Schiff vor der Insel Giglio an der West-Küste Italiens. Das Unglück geschah am Freitag,...
...liegt das havarierte Schiff vor der Insel Giglio an der West-Küste Italiens. Das Unglück geschah am Freitag,... © AP
...dem 13. Januar während...
...dem 13. Januar während... © AP
...des Abendessens an Bord.
...des Abendessens an Bord. © REUTERS
Ein 70 Meter langer Riss ist zu sehen. Das Schiff war offenbar zu nah an die Küste gesteuert worden. Ein Felsen hatte den Rumpf aufgeschlitzt. Binnen Minuten geriet der Luxuslinier in Schlagseite. Ein Stück des Felsens...
Ein 70 Meter langer Riss ist zu sehen. Das Schiff war offenbar zu nah an die Küste gesteuert worden. Ein Felsen hatte den Rumpf aufgeschlitzt. Binnen Minuten geriet der Luxuslinier in Schlagseite. Ein Stück des Felsens... © AFP
...den das Schiff gerammt hatte, steckt fest. Unwirklich sieht die Bucht..
...den das Schiff gerammt hatte, steckt fest. Unwirklich sieht die Bucht.. © REUTERS
...von oben aus. Das Schiff liegt...
...von oben aus. Das Schiff liegt... © AFP
...seitlich im Wasser. Der Kapitän des Schiffes,...
...seitlich im Wasser. Der Kapitän des Schiffes,... © AFP
...Francesco Schettino wurde am Samstag festgenommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Schettino wegen fahrlässiger Tötung, Verursachung eines Schiffbruchs und wegen des Verlassens des Schiffs vor anderen. Die Reederei Costa hatte...
...Francesco Schettino wurde am Samstag festgenommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Schettino wegen fahrlässiger Tötung, Verursachung eines Schiffbruchs und wegen des Verlassens des Schiffs vor anderen. Die Reederei Costa hatte... © REUTERS
...Kapitän Schettino am Sonntagabend
...Kapitän Schettino am Sonntagabend "Fehlentscheidungen" vorgeworfen und erklärt,... © REUTERS
...die Route des Schiffs habe offenbar zu nah an der Küste vorbei geführt.
...die Route des Schiffs habe offenbar zu nah an der Küste vorbei geführt. © REUTERS
Per Helikopter wurden Passagiere, aber auch Rettungskräfte in Sicherheit gebracht.
Per Helikopter wurden Passagiere, aber auch Rettungskräfte in Sicherheit gebracht. © AFP
Wegen heftigen Wellengangs wurde die Suche...
Wegen heftigen Wellengangs wurde die Suche... © AP
...zunächst abgebrochen.
...zunächst abgebrochen. © REUTERS
Am Montagmorgen...
Am Montagmorgen... © AFP
...haben die Bergungsmannschaften die Suche nach den noch...
...haben die Bergungsmannschaften die Suche nach den noch... © AFP
...vermissten 21 Passagieren und Besatzungsmitgliedern...
...vermissten 21 Passagieren und Besatzungsmitgliedern... © AFP
...des Kreuzfahrtschiffs
...des Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" fortgesetzt. © AFP
Taucher machten sich auf die Suche nach den noch immer Vermissten.
Taucher machten sich auf die Suche nach den noch immer Vermissten. © AFP
In der Nacht zu Sonntag konnte ein Hochzeitspaar aus seiner Kabine befreit werden. Die Süd-Koreaner...
In der Nacht zu Sonntag konnte ein Hochzeitspaar aus seiner Kabine befreit werden. Die Süd-Koreaner... © AP
...wurden über 24 Stunden nach dem Unglück gerettet.
...wurden über 24 Stunden nach dem Unglück gerettet. © REUTERS
Auch am Sonntag läuft die Suche nach Vermissten auf Hochtouren.
Auch am Sonntag läuft die Suche nach Vermissten auf Hochtouren. © AFP
In der Kirche des Küsten-Dorfes wurde ein Gottesdient abgehalten. Die meisten Überlebenden des Unglücks..
In der Kirche des Küsten-Dorfes wurde ein Gottesdient abgehalten. Die meisten Überlebenden des Unglücks.. © AFP
...sind bereits in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Doch die Lage...
...sind bereits in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Doch die Lage... © AFP
...in Italien ist immer noch kritisch. Der Tank des Schiffes droht auszulaufen.
...in Italien ist immer noch kritisch. Der Tank des Schiffes droht auszulaufen. © AP
Mittlerweile haben die italienischen...
Mittlerweile haben die italienischen... © AFP
...Behörden eine Liste...
...Behörden eine Liste... © Getty Images
...mit den namen, der och immer vermissten Passagiere und Crew-Mitglieder...
...mit den namen, der och immer vermissten Passagiere und Crew-Mitglieder... © REUTERS
...veröffentlicht. Taucher suchen, soweit es die Witterung zulässt, noch immer...
...veröffentlicht. Taucher suchen, soweit es die Witterung zulässt, noch immer... © AFP
...nach den Vermissten.
...nach den Vermissten. © REUTERS
Employees of a wreck removal and salvage operations company take a coffee on January 19, 2012 before working on the cruise liner Costa Concordia aground in front of the harbour of the Isola del Giglio (Giglio island) after hitting underwater rocks on January 13. Italian rescuers resumed their search on board a crashed cruise ship the same day, as salvage workers prepared to pump out fuel from its tanks to avoid an environmental disaster.  AFP PHOTO / VINCENZO PINTO
Employees of a wreck removal and salvage operations company take a coffee on January 19, 2012 before working on the cruise liner Costa Concordia aground in front of the harbour of the Isola del Giglio (Giglio island) after hitting underwater rocks on January 13. Italian rescuers resumed their search on board a crashed cruise ship the same day, as salvage workers prepared to pump out fuel from its tanks to avoid an environmental disaster. AFP PHOTO / VINCENZO PINTO © AFP
Members of the Carabinieri in a boat travel past the Costa Concordia cruise ship which ran aground off the west coast of Italy at Giglio island January 19, 2012. No deadline has been set for ending the search for missing people on the wreck of the Italian cruise liner that capsized off the Tuscan island, the chief spokesman of the firefighters said on Thursday.  REUTERS/Paul Hanna  (ITALY - Tags: DISASTER TRANSPORT)
Members of the Carabinieri in a boat travel past the Costa Concordia cruise ship which ran aground off the west coast of Italy at Giglio island January 19, 2012. No deadline has been set for ending the search for missing people on the wreck of the Italian cruise liner that capsized off the Tuscan island, the chief spokesman of the firefighters said on Thursday. REUTERS/Paul Hanna (ITALY - Tags: DISASTER TRANSPORT) © REUTERS
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Costa-Concordia-Bordkarte im Portemonnaie

„Unsicherheit und Ungewissheit nagen an den Nerven“, weiß Greszuk. Die Ohnmacht lässt ihn fast verzweifeln. Der Mann sitzt in seinem kleinen Café mit integriertem Blumenladen und blickt traurig auf die blühenden Rosen. „Ich habe meine Kreativität verloren“, sagt er. Einige Kunden hätten sich im letzten Jahr von ihm abgewandt. Manche hätten gemoppert: „Von Ihnen bin ich andere Arbeit gewohnt.“

Gedankenverloren kramt er sein Portemonnaie aus der Hosentasche, zieht mit leicht zittrigen Fingern eine kleine blaue Karte heraus. „Die Bordkarte von der Costa Concordia“ trage er immer bei sich. Warum? Kann er gar nicht so genau sagen. Klar ist ihm aber: „Ich schmeiß sie weg, wenn alles geklärt ist.“