Gelsenkirchen. . Ein Gabelstaplerfahrer spionierte unter dem Namen Günter Hecht einst für die Stasi. Er kam sich vor wie ein Geheimagent. Heute ist er ein einsamer Mann.

Günter Hecht stinkt nach Schnaps und ist ein Vaterlandsverräter. Heute sagt er das mit einem schiefen Grinsen, aber damals, als die Sache mit der Stasi aufflog, haben ihn selbst alte Freunde beschimpft. „Dabei war ich doch nur ein kleiner Fisch“, sagt Hecht. Die Formulierung verharmlost, was er tat. Günter Hecht verpfiff unter anderem flüchtige DDR-Bürger an die Stasi. Dafür bespitzelte er sogar seine Freunde.

Hecht – so wollte er damals heißen, weil das in der heißen Zeit des Kalten Krieges schnell, schneidig und gefährlich klang. Nicht nach dem Gabelstaplerfahrer aus Gelsenkirchen, seiner bürgerlichen Existenz. Wie dutzende andere auch, rackerte Günter Hecht jahrzehntelang im Untergrund für die Stasi. Die einen wollten den sozialistischen Umsturz und brachen ins Wattenscheider Rathaus ein, um Pässe zu klauen.

Andere wie Hecht waren eher drauf aus, die schnelle Mark und ein Abenteuer zu machen. Heute ist der Deckname alles, was ihm geblieben ist, aus der dunklen Hälfte seines Doppellebens als Spion für die DDR. Günter Hecht lebt heute vorwiegend im Keller seines Hauses, zwischen Gerümpel und einem Sofa. Nebenher repariert er für ein paar Euro Motorräder.

Industriespionage und Beschattung

Mit 15 Monaten auf Bewährung kam er Mitte der 90er davon. Dabei las sich die Anklage gegen Günter Hecht vor dem Landgericht Düsseldorf wie ein Agentenroman: Geheimdiensttätigkeit für eine fremde Macht, Beschattung von Personen, Industriespionage im Ruhrgebiet. „Habe ich alles gemacht“, sagt Hecht, und eine Spur von Stolz schwingt in seiner Stimme mit während er in seinem Keller den nächsten Kümmerling köpft.

Ob die Veba-Werke und der Hauptbahnhof in Essen, eine Aral-Tankstelle in Gelsenkirchen oder die Henrichshütte in Hattingen – Hecht sammelte Informationen, schoss Fotos und gab sie an seine Auftraggeber im Osten weiter: „Ich hab’ mir nie Gedanken gemacht, was die drüben damit machen.“

Mit „denen da drüben“ kam Hecht Anfang der Siebziger Jahre in Kontakt. Ein Zechkumpan aus dem Betriebsrat seiner Firma überredete ihn zu einer Reise nach Ostdeutschland – auf Einladung einer Jugendorganisation des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Was Hecht zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Der Zechkumpan arbeitete bereits als Inoffizieller Mitarbeiter „Michael“ für die Stasi.

Seit 1970 in der DKP

Politisch sei Hecht dem Arbeiter- und Bauernstaat verbunden, glaubten die Genossen: Er sei seit 1970 in der DKP gewesen, steht in den Stasi-Akten über ihn. Die Beamten schreiben: „Durch eine fortschrittliche Erziehung im Elternhaus besitzt der IM einen für die Verhältnisse in der BRD positiven politischen Standpunkt. Er kann als klassenverbundener Arbeiter eingeschätzt werden.“

Neben der „politisch-ideologischen Überzeugung“ machte die Stasi aber auch „materielle Interessiertheit“ als Grund für Hechts Zusammenarbeit mit der Stasi aus. Schließlich übernahmen seine Auftraggeber sämtliche Geschäftskosten, wie zum Beispiel 1973 das Startkapital für einen Gebrauchtwagen-Handel in Höhe von 10 000 DM. Pro Quartal erhält Günter Hecht vom Ministerium für Staatssicherheit im Schnitt 2000 Mark für Garagenmiete, Kfz-Steuern und „Beobachtungen“. Dazu belohnt es besondere Einsätze mit jeweils mehreren hundert D-Mark.

Zum Beispiel Verrat. Durch Zufall bekam Hecht aus Gelsenkirchen mit, dass ein Bekannter einer befreundeten Familie aus Chemnitz (damals „Karl-Marx-Stadt“) bei der Flucht aus der DDR helfen wollte. 1981 war das. Hecht gab alle Informationen, die er bekommen konnte, an seine Auftraggeber im Osten weiter. Die Stasi legte einen „operativen Vorgang“ über die Familie an. Später heißt, ein Familienmitglied – vermutlich der Vater, ein Elektroinstallateur – sei „hops gegangen“. Dann verliert sich die Spur der Chemnitzer Familie in Hechts Akte. Bis auf die Prämie in Höhe von mehreren hundert D-Mark.

Staatsanwalt bespitzeln

Hecht sollte aber auch „faschistische Blutrichter“ aufspüren, Adressen und Wohnorte sammeln – so steht es in den Akten. Bespitzelt werden sollten ein leitender Staatsanwalt aus Essen, ein Düsseldorfer Oberstaatsanwalt und ein Vorsteher des Finanzamtes Köln-Land.

Damals war eine aufregende Zeit für Günter Hecht. Er fühlte sich als mächtiger Strippenzieher. Als James Bond, unterwegs in geheimer Mission in Gelsenkirchen. Dieses Bild aufrecht zu halten waren beide Seiten bemüht – bei Gesprächen mit der Stasi musste stets eine streng geheime Parole benutzt werden. Auf die Frage „Können Sie mir ein Gehäuse für die Unterwasserfotografie anfertigen?“ folgte die Antwort: „Ja, wenn es sich um eine Robot-Kamera handelt.“

Die Stasi war mit Günter Hecht zufrieden. In einer internen Beurteilung steht, er sei einsatzbereit, zuverlässig und ehrlich. Ein negativer Aspekt sei lediglich, „dass er noch nicht immer in der Lage ist, eine Situation im Hinblick auf ihren operativen Gehalt einzuschätzen. Sein Intelligenzgrad kann als durchschnittlich eingeschätzt werden.“

1972 hielt sich Hecht in Bereitschaft, um flüchtige DDR-Athleten von den Olympischen Spielen in München einzufangen: „Da habe ich jeden Morgen in einer Kirche in Gelsenkirchen gehockt und darauf gewartet, dass ein Kontaktmann kam und sagte: Jetzt ist einer abgehauen.“ Angeblich kam aber nie jemand zu Hecht, um ihn auf die Jagd zu schicken.

Heute ist er einsam

So, wie heute niemand mehr kommt. Hecht ist verheiratet, aber einsam, auch wenn er das selbst nie sagen würde. Er hat sich ein paar Hobbys gesucht. Seine ganze Familie hat er in bunten Farben auf Leinwände gemalt. Zumindest sagt er das. Ähnlichkeiten sind kaum zu erkennen. In seinem moderigen Keller stehen dazu noch ein paar Schiffsmodelle. Auf einem See fahren gelassen hat Hecht sie schon lange nicht mehr. Er kommt nur noch selten vor die Tür, ist lieber für sich – und säuft.

Schuldig fühlte er sich heute nicht, nur zerknirscht, dass er irgendwann erwischt wurde. Wegen eines einzigen Zettels, auf dem er mit seinem bürgerlichen Namen bestätigt, von nun an als Günter Hecht für die DDR tätig zu sein. Das fehlende Stück für die westdeutschen Ermittler, für die Hecht so von einem Namen zu einer konkreten Figur im Spiel der Stasi wurde. Hecht fragt sich noch heute: „Hätten die da drüben das nicht verbrennen können? Nie hätte es eine Verbindung zu mir gegeben. Keine Spur hätte zu mir geführt und die hätten mich nie erwischt.“ So wie dutzende andere Spione heute noch unbehelligt im Ruhrgebiet leben.

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