Ruhrgebiet. . Das Ruhrgebiet ist nicht nur reich an Bergbaudenkmälern, sondern auch an phantasievollen, mitunter kuriosen Straßennamen. Doch Busenbergstraße und Spannerweg sind nur halb so anzüglich wie sie vermuten lassen.

Gelsenkirchen ist nur ein Dativ. So steht es, zwischen den Zeilen, aber eigentlich unwidersprochen, in einem vergessenen Gutachten von 1947: „Die überwiegende Zahl der Ortsnamen auf ,en’ ist aus dem Wem-Fall der Mehrzahl gebildet. Die Ansiedlung gehörte zu den Kirchen, daher der Ortsname. Das Endungs-en ist das Dativzeichen.“ So begründete das Rathaus von Wanne-Eickel damals, warum der Name „Gelsenkircher Straße“ (ohne „en“) völlig korrekt sei. Unverblümt gesagt: Weil die Nachbarstadt eigentlich nur Gelsenkirch heißen dürfe.

Wenn es mit rechten Dingen zuginge. Doch da es nie mit rechten Dingen zugeht, gibt es die „Gelsenkircher Straße“ bis heute, die Stadt Wanne-Eickel aber nicht mehr. Wem würde da nicht sofort einfallen: Schalk 04.

Nicht mal die allerkleinste Bademode in der Tangabucht

Das Ruhrgebiet und seine Straßennamen. 35 000 sind es, grob geschätzt. Manchmal gibt es Streit („von Seeckt“, „Hindenburg“), meistens aber nicht. Denn nahezu alle Straßenbenennungssatzungen empfehlen: Die Namen sollten „eindeutig, klar verständlich und einprägsam sein“ und nicht „Anlass geben zu Missdeutungen“. Und doch, und doch hat man das manchmal nicht bedacht: wie bei der „Tangabucht“ in Essen.

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Die ist eine einzige, sozusagen namenlose Enttäuschung: keine Sonne, kein Sand – und nicht einmal die allerkleinste Bademode unterwegs. In der kurzen Straße, benannt nach einer Inselgruppe, erinnert nur eine größere Jesus-Statue an die Copacabana. Doch wer an sprechende Namen glaubt, wird noch fündig: Im Schaukasten der Kirche in der Tangabucht werden dringende Anliegen verwiesen an ein anderes Gemeindebüro. Unter der Adresse: Himmelpforten 13.

Der Spannerweg erinnert an Schmetterlinge

Um die Anzüglichkeiten schnell hinter uns zu lassen: Im Dortmunder Süden gibt es die lokal legendäre Einmündung Busenbergstraße/Spannerweg. „Das glaubt kein Mensch, wenn wir das erzählen“, sagt Petra Rathke, die auf der Ecke wohnt: „Der Fahrlehrer meiner Tochter hat das sofort fotografiert.“ Die Erklärung ist natürlich harmlos: Busenberg ist eine alte Flurbezeichnung, und Spanner meint einfach den Schmetterling; die nächste Einmündung heißt dementsprechend Busenbergstraße/Schwärmerweg (so wie die Straße „Wasserschnepfe“ in Essen in aller Unschuld einen Vogel meint, aber irgendwie denkt man jetzt sofort wieder an die Tangabucht).

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Zwei Eigenheiten gibt es unter den Straßennamen des Ruhrgebiets: Der Bergbau schlägt sich nieder wie nirgendwo sonst, in den vielen Hauer-, Zechen-, Knappen-straßen und manchen erklärungsbedürftigen: „Carolinenglück“, „Am Hangenden“, „Zum Füllort“. Und das 19. Jahrhundert ist prominent vertreten, aus der Wachstumsphase der Städte: Körner und Storm, Alsen und Düppel, Bismarck und Moltke. Womit wir ungewöhnlich geschmeidig zu 117 Hausnummern im Bochumer Norden kommen können, die an der Straße „Deutsches Reich“ liegen.

Die Gesamtschule im Deutschen Reich

Benannt nach der Reichsgründung von 1871, aber auch heute noch wird viel gebaut im „Deutschen Reich“. Schon länger da ist die Nebenstelle der Willy-Brandt-Gesamtschule. „Ich habe erst geglaubt, man wollte mich auf den Arm nehmen“, sagt Schulleiterin Claudia Högemann: „Unglaublich, oder? Meine Oberstufe sitzt im Deutschen Reich!“

Auch der Autor Wolfgang Berke hat für seinen ungewöhnlichen Reiseführer „Smartbook – Ruhrgebiet für Fortgeschrittene“ einige ausgefallene Namen gefunden: „Old Wattsche“ in Bochum zum Beispiel, „Schwarzer Drecksweg“ in Hünxe oder „An der Schlanken Mathilde“ in Dortmund. Und dann gibt es natürlich, angeblich nach einer Insel: die Mafiastraße. In Duisburg, ausgerechnet.

Anwohner der kleinen Straße sind genervt, wenn man sie fragt nach dem Namen. „Hier spricht kein Mensch drüber“, sagt eine Frau. Wie verdächtig ist das denn? Die Mafiastraße ist ruhig, fast schon zu ruhig. Und was hat es mit dem italienischen Plakat „Le nozze di Figaro“ an der Litfasssäule gegenüber auf sich? Wahrscheinlich ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Viel zu rätseln also. Weiter zu den ahnungslosen Dativen. Oberhaus und Ess müsste es heißen, Hatting, Witt . . .