Neuss. . Die Frau, die im Neusser Jobcenter getötet wurde, war wohl ein Zufallsopfer. Der 52-jährige Angreifer, der die Tat gestanden hat, wollte an sich einen anderen Mitarbeiter konfrontieren. Als Motiv nannte der Täter Angst vor Datenhandel. Eine Tötungsabsicht streitet er ab - aber das glaubt die Staatsanwaltschaft nicht.
Irene N. war eine schmale blonde Frau mit hoher Stirn, das ist gut zu erkennen auf dem Foto, das sie aufgehängt haben vor der verschlossenen Tür des Jobcenters in Neuss. 32 Jahre alt, Mutter eines Grundschulkindes. Doch nun ist sie tot, gestorben Mittwoch durch die Messerstiche eines 52-jährigen Marokkaners – dabei sollte sie gar nicht sterben. Nicht sie. Irene N. ist nicht nur Opfer, sie ist ein Zufallsopfer. „Ein mehr als tragisches Geschehen“, sagt sogar die Polizei.
Gibt es das, „mehr als tragisch“?
Geschehen ist jedenfalls nach Stand der Ermittlungen dies: „Kochend vor Wut“, hat er selbst berichtet, kam der Kunde zu seiner Arge-Sachbearbeiterin im vierten Stock eines Bürogebäudes. Seit März hatten die beiden miteinander zu tun, sie hatte ihn innerhalb des Projektes „Visionen 50plus“ in eine Maßnahme vermittelt. Zuständig: ein Kollege im selben Haus. Dort wollte er hin, der geschiedene Vater von fünf Kindern, den Sachbearbeiter „zur Rede stellen“. Denn mit ihm hat er wenige Tage zuvor ein Datenblatt ausgefüllt – und dann abends im Fernsehen gesehen, dass in Deutschland gern mal Daten verkauft werden. „Er hatte Angst“, sagt Staatsanwältin Britta Zur, „dass mit seinem Foto jemand Millionen verdient.“
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Das soll ein Mordmotiv sein? „Unbegreiflich“ findet das auch Guido Adler, Chef der Mordkommission. Aber wegen Mordes wird nun ermittelt, denn die Waffen hatte der Täter dabei: zwei Messer, akkurat eingewickelt in eine Zeitung. Eine „Tötungsabsicht“ streitet er dennoch ab, die Staatsanwältin aber verspricht: „Wir werden ihn überführen können. Das werden wir ihm nicht glauben.“
Vermutlich galt diese Tötungsabsicht aber dem Kollegen der Toten, nur war dessen Tür zu. Zweimal versuchte der 52-Jährige es dort, zweimal wies ihn auch Irene N. bedauernd ab: Sie könne ihm nicht helfen, habe zudem einen anderen Termin. Da stach der Mann zu. Das erste Messer brach ab, die Frau schrie um Hilfe, das zweite drang in ihren Körper ein, 20 Zentimeter bis zum Schaft. Zwei Stiche trafen die Brust, einer das Bein, „massiv“, sagt Britta Zur, „mit Wucht ausgeführt“. Irene N. sank unter ihrem Schreibtisch zusammen.
Blutiges Messer in der Hand
Kollegen, Kunden eilten herbei, hielten den Rasenden fest, bis sie merkten: Er hatte die Waffe noch in der Hand. Der 52-Jährige ging, rannte nicht einmal, auf der Straße ließ er sich festnehmen, das Küchenmesser aber erst nach mehrmaliger Aufforderung fallen. Seine Aussage macht er mit Hilfe eines Dolmetschers, trotz der elf Jahre, die er in Neuss lebt. Ob er Reue zeige? Er sei, sagt Kriminalhauptkommissar Adler, „offenbar der Meinung, dass seine Tat richtig war“.
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Draußen diskutiert das Land über den explosiven Frust von Arbeitslosen, drinnen wirkt die Polizei ein wenig hilflos: „Man denkt ja“, sagt Guido Adler, „es ging um irgendeine Leistungskürzung. Doch es ging gar nicht um irgendeine existenzielle Frage.“ Es ging nur um Daten. Und das ist auch für die Ermittler „in keiner Weise nachvollziehbar“.