Neuss. . Das Drama in einem Job-Center in Neuss entfacht eine Debatte um die Sicherheit der Mitarbeiter. In den letzten Jahren gab es viele gefährliche Situationen in Jobcentern. Die in Neuss Getötete hatte gerade erst an einem Deeskalationstraining teilgenommen.

Tödliches Drama in einem Jobcenter in Neuss: Ein 52-jähriger Kunde, der Mittwochmorgen überraschend auf dem Amt erschienen war, stach so heftig auf eine 32-jäh­rige Mitarbeiterin ein, dass diese ­wenig später starb. Die Frau, die ihn als Sachbearbeiterin betreute, ist Mutter eines Kindes. Der Mann ­wurde festgenommen. 15 Mitar­beiter des Jobcenters erlitten einen Schock und mussten von Notärzten und Seelsorgern versorgt werden.

Es ist der zweite tödliche Zwischenfall in einem Jobcenter der letzten Jahre. Im Mai 2011 hatte eine Polizistin in Frankfurt/Main eine 39-Jährige erschossen, die zuvor mit einem Messer auf einen Polizisten losgegangen war. Ursache des Streits waren damals zehn Euro, die die Frau in bar von der Sachbearbeiterin verlangt hatte. In Essen attackierte 2010 ein 29-Jähriger zwei Ange­stellte mit einem Teppichmesser, in Herne brach 2009 ein 26-Jähriger, der Hausverbot hatte, einem Sicherheitsmann zwei Finger.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) äußerte Entsetzen über die Tat von Neuss. „Nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt eine solche Handlungsweise. Mein tiefes Mitgefühl ist jetzt bei der Familie, aber auch bei den Kollegen, die die Tat hautnah miterleben mussten“, erklärte der BA-Vorsitzende Heinrich Alt.

71 Prozent der Jobcenter-Mitarbeiter fühlen sich an ihrem Arbeitsplatz unsicher

Wie gefährlich die Mitarbeiter von Jobcentern selbst ihre Arbeit einschätzen, belegt eine Studie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung aus dem Jahr 2010. 71 Prozent der Mitarbeiter gaben damals an, sie fühlten sich an ihrem Arbeitsplatz gelegentlich oder oft bedroht oder unsicher. Sie seien Beleidigungen, Randale, verbalen Aggressionen ausgesetzt und hätten täglich auch mit alkoholisierten und unter Drogen stehenden Kunden zu tun.

„Unsere Mitarbeiter brauchen tatsächlich ein dickes Fell. Wir schulen sie allerdings auch darin, mit aggressiven Kunden umzugehen, deeskalierend zu wirken“, sagt Antje Huth, Sprecherin der BA. Sämtliche Jobcenter seien für solche Notfälle mit technischen Sicherheitseinrichtungen ausgestattet. Auch in Neuss gibt es Notknöpfe, die die Getötete aber nicht mehr betätigen konnte. Erst am Vortag hatte sie an einem Deeskalationstraining teilgenommen.

NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) erklärte vor Ort: „Wir brauchen mehr Sicherheit in den Arbeitsagenturen.“ Ausschließen könne man solche Ereignisse aber nie.

Tresen sollen Abstand zum Kunden vergrößern 

Hohe emotionale Belastung und wenig Handlungsspielraum bei der Arbeit kennzeichnen den Alltag der Mitarbeiter von Job­centern. Hinzu kommt bei vielen die ständige Angst vor Übergriffen durch ihre Kunden, vor Ausrastern und Gewalt.„Job-Center sind das letzte Netz im Staat, bei uns geht es um die Existenzsicherung. Viele Arbeitslose kommen mit einem hohen Frustpotenzial ins Amt“, sagt Antje Huth von der Bundesagentur für Arbeit (BA).

In einer Studie der Deutschen Gesetz­lichen Unfallversicherungen unter 2200 Beschäftigten der Bundesagentur hatten nur 30 Prozent angegeben, sich nie bedroht oder unsicher zu fühlen. Die meisten berichteten von massiven Über­griffen, verbaler Aggression und Verweigerungshandlungen.

Über Sicherheitspersonal entscheidet der Geschäftsführer

Extreme Formen der Gewalt wie Geiselnahmen, Angriffe mit Waffen und sexuelle Übergriffe seien aber nach wie vor äußerst selten. Als Konsequenz aus dieser Studie wurden Seminare zur Stressbewältigung wie Kommunikations-Trainings eingeführt, aber auch räum­liche Veränderungen in den Jobcentern vorgenommen. Tresen vergrößerten den Abstand zwischen Sachbearbeitern und Kunden, Verbindungstüren in den Büros versprechen schnelle Hilfe durch Kollegen. All dies hat jedoch im Fall der getöteten 32-jährigen Mitarbeiterin in Neuss nichts genutzt.

„Man kann einfach nicht ab­sehen, wann ein Mensch austickt“, sagt BA-Sprecherin Huth. Ob ­Sicherheitspersonal eingesetzt werde, entscheide letztendlich der Geschäftsführer eines jeden Jobcenters eigenverantwortlich. Dabei sind gewaltbedingte Arbeitsunfälle seit 2009 um 2500 Vorfälle zurückgegangen. 5865 angezeigte Arbeitsunfälle durch ­„Gewalt, Angriff oder Bedrohung durch betriebsfremde Personen“ registrierte die Deutsche Gesetz­liche Unfallversicherung in 2011 in Deutschland. Betroffen waren Verkäufer, Bus- oder Taxifahrer, Krankenpfleger, aber auch Wachleute.