Witten. .
„Ich warte immer darauf, dass was passiert.“ Entsetzen, aber keine allzu überraschten Reaktionen hat die Bluttat im Neusser Jobcenter bei den rund 100 Kollegen in Witten ausgelöst. Ihr einhelliger Kommentar: „Die Leute werden immer aggressiver.“
Eine 32-jährige Frau war am Mittwoch im Jobcenter in Neuss von einem Kunden (52) erstochen worden. Dass Klienten schon mal ausflippen, haben auch die Wittener Sachbearbeiter erlebt, zum Glück noch nie in diesem Ausmaß. „Einmal wurde ein Telefon runtergerissen“, erinnern sich zwei, die gerade vor der Tür rauchen. Einmal gab es sogar eine Bombendrohung. Das Gebäude wurde geräumt, ein Sprengsatz aber nicht gefunden. Auch Brillen gingen schon zu Bruch, jemand trat mal in die Rigipswand oder es flogen Stühle.
Das Frustpotenzial bei den Kunden ist hoch, zumal die Wittener Dienststelle mit vielen Altfällen (letzter Stand: 15 000) im Rückstand ist. Dass da mal einem Besucher der Kragen platzt, können die Beschäftigten durchaus verstehen. Oftmals würden allerdings nur die aggressiv werden, denen zum Beispiel wegen fehlender Unterlagen oder nicht eingehaltener Termine die Leistung gekürzt wurde.
Und es werden Prioritäten gesetzt. Sprich: Während der eine vielleicht auch schon mal ganz schnell Hilfe bekommt, muss der andere erst mal in die Warteschleife. Nach dem Brand neulich in einem Haus in der Schlachthofstraße habe man den Betroffenen innerhalb kürzerer Zeit eine neue Erstausstattung besorgt, erzählt ein Mitarbeiter der Leistungsabteilung. Ein anderes Beispiel: Wird jemand gekündigt, hat aber noch etwas Geld, könne es sein, dass dieser eben länger warten müsse als derjenige, der gar nichts mehr hat.
Nach Neuss wurde das Thema „Sicherheit“ gestern in der Leitungsrunde der EN-Jobcenter angesprochen . Tenor: Man kann natürlich nicht alles verhindern. Aber vor Ort soll jetzt geprüft werden, ob sich die Sicherheit erhöhen lässt. „Gegebenenfalls wird auch der Sicherheitsbeauftragte des Kreises eingeschaltet“, sagt Bettina Salcuni (43), Vize-Leiterin der Regionalstelle in Witten. Notfallknöpfe gibt es jetzt schon und zwischen den Büros große Glasscheiben, so dass sich die Kollegen gegenseitig im Auge behalten können.
Sicherheitsschleusen wären eine weitere Möglichkeit, das Personal besser zu schützen - ähnlich wie in den Gerichten. Hartz-IV-Empfänger Martin Heine (52), der selbst einiges auf dem Kerbholz hat, denkt nach der Bluttat von Neuss selbst an solche Metalldetektoren, hat aber auch Zweifel: „Schließlich ist hier nicht jeder ein Verbrecher.“