Essen. Häftlings-Friseure verkaufen Drogen und Kabel liegen nahe an Heizstrahlern. Die Missstände in der Ruhrgebiets-JVA lassen raschen Handlungsbedarf erkennen. Ein Untersuchungsbericht deckt eklatante Mängel auf: Die Justizvollzugsanstalt Bochum ist nicht nur baufällig. Ausbrüche, auch von mehreren Gefangenen gleichzeitig, sind jederzeit möglich.
Mangelhaft. Unzureichend. Oberflächlich. Das sind die Zensuren, die die sechsköpfige Kommission unter dem Wuppertaler Oberregierungsrat Ulf Borrmann der Sicherheits-Situation in der Justizvollzugsanstalt Bochum erteilt. Die erste Inspektion der Gruppe fand am 6. Februar 2012 statt - nachdem es drei Ausbrüche und Ausbruchsversuche gegeben hatte. Die Gutachter schockiert: Schon in den ersten Stunden der örtlichen Erhebungen habe man den Eindruck gehabt, „dass die Sicherheitsrichtlinien in der JVA Bochum nicht ausreichend beachtet werden“.
Zwar hat NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) inzwischen den Anstaltschef Friedhelm Ritter von Meißner wegen der Ausbrüche von seinem Posten abgelöst - und wohl auch wegen der weiteren Missstände. Vieles in dem 79-seitigen Report erscheint aber, als sei langlebiger Schlendrian eingekehrt, der alle Landesregierungen der letzten 20 Jahre blamiert.
Gutachter waren entsetzt
Der Bericht ist nur schwer als Wahlkampfstoff zu verwenden. Das weiß Peter Biesenbach von der CDU, der der WAZ Mediengruppe sagte, er habe durchaus Fragen an Kutschatys christdemokratische Vorgängerin Müller-Piepenkötter zu stellen. Dennoch müsse die Landesregierung erklären, wieso mehrere hunderttausend Euro, die zur Verbesserung der Lage bereitstanden, nicht genutzt worden seien.
Die Gutachter waren über die Lage im Haus 3 der JVA Bochum entsetzt, das gewisse Freiheiten bietet. Gefangene mit Drogenproblematik, Sexualstraftäter, Insassen mit einer Gewaltproblematik und zu lebenslanger Freiheitsstrafe Inhaftierte befänden sich hier. In diesem Trakt seien - mit Hilfe sportlicher Geschicklichkeit - „im schlimmsten Fall auch Entweichungen mehrerer Gefangener“ möglich. „Es ist eine Frage der Zeit beziehungsweise von Spontanität und Zufälligkeit, wann weitere Ausbrüche und Ausbruchsversuche erfolgen.“
Friseure organisieren Drogen
Offenbar ist der Ton im Bochum lockerer als anderswo. „High Five“ grüßen sich Häftlinge und Lkw-Fahrer, wenn Material angeliefert wird. Eine Vollzähligkeitskontrolle der Entladekommandos nach dem Abschluss der Arbeiten gibt es nicht. Große Bewegungsfreiheit genießen Friseure, die aus den Reihen der Insassen rekrutiert werden - und doch im Verdacht stehen, die „Subkultur“ zu organisieren: den Verkauf von Handys und Drogen.
Einen Gefahrenpunkt wollen die sechs Experten sofort neutralisiert sehen: die Überwachungskuppeln. In den Auf- und Abgängen liegen die offenen Kabelschächte direkt an den Heizstrahlern. Brandgefahr! Gebraucht werden die Kuppeln nicht. Der Blick von dort in den Innenhof ist eher eingeschränkt. Mehrere Empfehlungen der Experten seien bereits umgesetzt, sagt das Landesjustizministerium.