Düsseldorf. Die Angst vor der Schweinegrippe treibt nun doch die Menschen zur Impfung. So bildeten sich am Dienstag lange Schlangen vor den Gesundheitsämtern. Allerdings verweisen Experten weiterhin auf die Risiken. In Düsseldorf schwebte ein Mann nach der Impfung sogar kurzzeitig in Lebensgefahr.

Die Meldungen über die inzwischen sechs Todesfälle und die rasche Ausbreitung der Schweinegrippe - auch Tennis-Star Tommy Haas ist daran erkrankt - lassen offenbar bei vielen die Bedenken gegen die Impfung verschwinden. So bildeten sich am Dienstag zum Beispiel bei der Zentralen Impfstelle des Düsseldorfer Gesundheitsamts lange Schlangen. „In der letzten Woche sind etwa 2.000 gekommen, am Montag schon 1.000 und für Dienstag rechnen wir mit noch mehr“, sagte der Sprecher der Stadt, Michael Bergmann.

Die Zahl der Impfplätze in der Zentralen Impfstelle habe man deshalb zu Wochenbeginn von vier auf elf erhöht; sollte der Andrang größer werden, könnte man die Kapazitäten noch weiter ausbauen: „Da müssen wir einfach abwarten, wie sich die Sache entwickelt“, so Bergmann, „momentan sehen wir uns gewappnet.“

95-Jähriger fährt für Impfung 130 Kilometer

Nicht nur die Impfbereitschaft der Düsseldorfer macht Bedarfsschätzungen schwierig. „Wir stellen fest, dass viele Menschen von außerhalb kommen, um sich in Düsseldorf impfen zu lassen – meistens, weil in ihren Heimatorten die Impfung noch nicht angeboten wird“, sagt Bergmann. Montag sei beispielsweise ein 95-Jähriger mit dem Auto von Neuwied (Rheinland-Pfalz) nach Düsseldorf gefahren, um die Impfung zu erhalten - das sind rund 130 Kilometer. „Wenn das Überhand nimmt, kriegen wir Probleme“, sagt Bergmann.

Auch in Witten rückt die Schweinegrippe stärker in den Fokus. Sowohl die Zahl der Impfungen als auch derjenigen, die sich informieren wollen, sei gestiegen, so Dr. Hans-Joachim Boschek, Leiter des Kreisgesundheitsamtes. „Wenn es so weiter geht, müssen wir rationieren”, sagt er, „dann laufen wir auf Wartezeiten für die Impfungen zu.”

In Oberhausen brach am Montag die Hotline des Gesundheitsamtes aufgrund der zahlreichen Anfragen zusammen. Vor der Impfstelle bildeten sich lange Schlangen. Während sich in der vergangenen Woche 130 Menschen hatten impfen lassen, waren es allein am Montag bereits rund 100. Amtsarzt Dr. Hans-Henning Karbach hat zwei Erklärungen für den plötzlichen „Impf-Boom”: „Zum einen ist es sicherlich die Nachricht, dass drei Menschen an der Neuen Influenza gestorben sind. Aber andererseits wollten viele auch erst einmal abwarten, wie die bereits Geimpften den Stoff vertragen, bevor sie selbst gehen”, sagt Karbach.

Mehr Anrufe, mehr Bestellungen

Auch andere Städte in NRW berichten von einem deutlichen Anstieg der Impfungen. Manche Kommunen haben die Versorgung jedoch dezentral organisiert, das heißt sie lassen Arztpraxen die Impfung in Eigenregie vornehmen – weshalb sich die tatsächliche Zahl Geimpfter nur anhand einiger Indikatoren schätzen lässt.

So verzeichnete etwa die Service-Stelle des Gesundheitsamtes Köln am Montag mehr als 600 Anrufe, während es in der Vorwoche nur rund 50 am Tag waren. Das Gesundheitsamt der Stadt Bielefeld vermeldet einen „rasanten Anstieg der Bestellungen für den Impfstoff“, teilte eine Sprecherin mit.

Impfung ist "sozialmedizinisch richtig"

Der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, rät aus "bevölkerungsmedizinischen Gründen" zur Impfung. "Unsere Chance, eine Viruserkrankung auszurotten, liegt darin, das Virus gar nicht zur Ausbreitung kommen zu lassen. Deshalb ist es sozialmedizinisch richtig, möglichst viele Menschen zu impfen", sagte er der Tageszeitung "Thüringer Allgemeine". Er selbst habe sich am Montag impfen lassen. Aufgerufen seien vor allem Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz viele andere anstecken könnten.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann befürchtet, "dass sich die Schweinegrippe noch weiter ausbreiten wird. Aus diesem Grund hoffe ich, dass viele Menschen ihre bisher skeptische Haltung jetzt noch einmal überdenken und sich impfen lassen."

Der Präsident des Berufsverbands Deutscher Internisten, Wolfgang Wesiack, kritisierte seine Kollegen als schlechte Vorbilder: "Wenn sich die Ärzte nicht impfen lassen, kann man nicht erwarten, dass die Bevölkerung sich mehrheitlich impfen lässt", erklärte Wesiack in einer Pressemitteilung.

"Sehr hysterisch"

Gegen eine Massenimpfung ist weiterhin der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig. Ihm dränge sich der Verdacht auf, dass "sehr, sehr hysterisch" mit dieser Bedrohung umgegangen werde, sagte Ludwig am Dienstag im Deutschlandradio Kultur. Die Zahlen aus der südlichen Hemisphäre, wo die Grippe-Saison bereits abgelaufen sei, legten dies nahe. Dort habe es nur eine geringe Anzahl an schwerwiegenden Erkrankungen und Todesfällen gegeben. Bei den in Deutschland aufgetretenen Todesfällen sei der ursächliche Zusammenhang zwischen der Infektion und dem Tod nicht bewiesen, sagte Ludwig.

Nach seiner Ansicht sollten sich nur Beschäftigte im Gesundheitsdienst oder Personen mit schweren chronischen Erkrankungen gegen Schweinegrippe impfen lassen. „Tatsache ist, dass insbesondere der Impfstoff, der jetzt verimpft wird in Deutschland, nur an ganz wenigen Personen vor der Zulassung getestet wurde und dass die wesentlichen Erkenntnisse zu den Impfstoffen jetzt natürlich aus einem Versuch nach der Zulassung resultieren müssen - nämlich aus der Impfung von vielen Hunderttausenden in Deutschland und anderen europäischen Ländern.“

Lebensbedrohlicher Schock

Tatsächlich zeigte sich bereits am Dienstag, dass die Impfung alles andere als risikolos ist. In Düsseldorf erlitt ein etwa 30-jähriger Mann nach der Impfung einen lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock, wie der Düsseldorfer Arzt Christian Wittig der Nachrichtenagentur AP bestätigte.

Glücklicherweise befand sich der Mann zu diesem Zeitpunkt noch in der Arztpraxis und konnte sofort notfallmäßig betreut werden. „Bei einem anaphylaktischen Schock hat man ein Zeitfenster von 90 Sekunden, um zu reagieren“, betonte Wittig. Der Patient habe einen Kreislaufkollaps erlitten, sei aber noch ansprechbar gewesen. Nach einer Notfallbehandlung wurde er in ein Krankenhaus gebracht, konnte die Klinik aber zwei Stunden später bereits wieder verlassen. (hbm/ap)