Essen. Nach nur zwei Wochen haben die Kinder- und Jugendärzte ihre Meinung radikal geändert: Sie raten nun, alle Kinder gegen die Schweinegrippe zu impfen. Der Verband warnt vor einem schwerem Krankheitsverlauf. Die Zahl der Schweinegrippe-Toten in Deutschland ist auf neun Fälle gestiegen.

Die Kinder- und Jugendärzte haben ihre Meinung über die Impfung gegen die Schweinegrippe geändert. Anders als vor zwei Wochen empfehlen sie nun, alle Kinder zu impfen, und zwar ab dem sechsten Lebensmonat. „Inzwischen liegen Untersuchungsergebnisse über die gute Verträglichkeit der Impfung vor", sagte Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, der WAZ-Mediengruppe.

Die Praxen seien voll mit grippekranken Kindern. Hartmann berichtete von schweren Krankheitsverläufen – wie etwa Lungenentzündungen. In den Kliniken lägen bereits Patienten, die beatmet werden müssten. „Hinzu kommt, dass Grippemittel wie Tamiflu bei Kindern nicht anschlagen."

Zwei neue Todesfälle in Baden-Württemberg

Die Zahl der Toten im Zusammenhang mit der Schweinegrippe in Deutschland steigt immer weiter. Am Mittwoch wurden zwei Todesfälle in Baden-Württemberg bekannt, so dass sich die Zahl der Todesopfer bundesweit auf neun erhöhte. Denn auch in Berlin wurde bei einem an Herz-Kreislauf-Versagen gestorbenen 40-Jährigen der Erreger der neuen Influenza nachgewiesen. Eine Obduktion solle jetzt klären, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Tod des Patienten und der Infektion mit Schweinegrippe gibt, teilte der Gesundheitssenat mit.

Eine 52-jährige Schweinegrippe-Patientin starb am Mittwoch in Stuttgart. Die Frau habe an einer chronischen Vorerkrankung gelitten, teilte das baden-württembergische Sozialministerium mit. «Aussagen zum ursächlichen Zusammenhang des Erregers mit dem Eintritt des Todes können derzeit noch nicht gemacht werden», hieß es weiter.

Bei dem zweiten Todesopfer handelt es sich um einen 29 Jahre alten Mann. Er litt seit Jahren unter schwersten Erkrankungen der Niere und Leber und war auf der Warteliste für eine Organtransplantation, wie das Universitätsklinikum Heidelberg am Mittwoch mitteilte. Der Mann sei bereits am Sonntag gestorben.

Patientin in Frankfurt ringt mit dem Tod

In Frankfurt verschlechterte sich der Zustand der Schweinegrippe-Patientin im Universitätsklinikum. Die Frau leide nach wie vor unter schwerem Lungenversagen und werde deshalb weiterhin mit einem speziellen Beatmungsverfahren behandelt, teilte die Klinik mit. Die Patientin werde ausnahmslos von geimpftem Personal betreut und sei in einer Isolationsschleuse untergebracht.

Wegen der steigenden Zahl der Schweinegrippe-Erkrankungen sollten sich nach Einschätzung von Fachärzten auch Kinder unter drei Jahren gegen das H1N1-Virus impfen lassen. Zuverlässige Studiendaten aus anderen europäischen Ländern und zum Teil auch aus Deutschland zeigten, dass bereits sehr junge Kinder die Impfung ohne schwerwiegende Probleme vertragen könnten, erklärte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann.

Sorge um Erfolg der Impfkampagne

Weil voraussichtlich schwere Erkrankungen fälschlich als Nebenwirkungen der Impfung angesehen werden, sorgen sich Experten um den Erfolg der Impfkampagne. Die Präsidentin des Schweizerischen Impfkomitees, Claire-Anne Siegrist, sagte der «Zeit», sie sei nicht im mindesten besorgt wegen der tatsächlichen Nebenwirkungen der Impfstoffe. Jedoch sei sie geradezu «in Panik wegen allem, was den neuen wirkverstärkten Impfstoffen angehängt werden wird».

Nach Berechnungen eines internationalen Expertenteams ist bei einer Impfung von 30 Millionen Bundesbürgern damit zu rechnen, dass drei Menschen innerhalb einer Woche danach plötzlich sterben, zehn weitere an der aufsteigenden Nervenlähmung Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und 20 Menschen an einer Entzündung des Sehnervs erkranken werden. Bei 100.000 Schwangeren sind zudem 280 spontane Aborte innerhalb einer Woche nach der Impfung zu erwarten.

Diese Fälle spiegelten lediglich die normale Erkrankungsrate in der Bevölkerung wider und würden daher auch unabhängig von der Impfaktion eintreten, betonen die Autoren der Studie, die am vergangenen Wochenende im britischen Fachblatt «The Lancet» veröffentlicht wurde. (mit Material von ap)