Bonn. Nach den jüngsten Todesfällen befürchten Experten, dass die Zahl der Erkrankungen sprunghaft steigt - und dass diese zunehmend heftiger wirken. Daher werde auch die Skepsis gegenüber der Schutzimpfung abnehmen. Unterdessen meldet die Ukraine den Ausbruch der Grippe mit bisher 48 Toten.
Der Virologe Alexander Kekulé aus Halle rechnet mit einem Anstieg schwerer Schweinegrippeerkrankungen in den nächsten Wochen. Jede Grippe habe im Winter ihre Hochsaison. Man werde im Winter auch zunehmend schwere Fälle sehen, sagte der Wissenschaftler der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am Samstag im Nachrichtenradio MDR info.
Ärgerliche Nebenwirkungen
Kekulé riet zur Impfung. Die Nebenwirkungen seien ärgerlich, müssten aber in Kauf genommen werden. "Der Impfstoff ist leider nicht optimal», räumte er ein. «Wir haben aber nur diesen Einen im Moment.» Die Schweinegrippe selbst sei auf jeden Fall schlimmer als die Nebenwirkungen der Impfung.
Mit Blick auf den jüngsten Todesfall, bei dem am Freitag erstmals eine Frau ohne Vorerkrankungen an der Schweinegrippe gestorben war, sagte der Virologe, in sehr seltenen Fällen rufe die Schweinegrippe eine direkte Lungenentzündung hervor. «Das Virus kann ganz unmittelbar die tiefen Atemwege befallen und wirkt dann tödlich.»
Wachsendes Interesse an Schutzimpfung erwartet
Nach den neuen Todesfällen bei Schweinegrippe-Patienten rechnet der Gesundheitsexperte Rene Gottschalk mit einer wachsenden Bereitschaft zu Schutzimpfungen. Der Leiter des Zentrums für hochinfektiöse Erkrankungen Hessen und Rheinland-Pfalz verwies auf die besondere Gefahr des Schweinegrippevirus' für jüngere Menschen. Auf der Nordhalbkugel, insbesondere in den USA, seien vor allem Kinder und Schwangere betroffen. «Normalerweise sucht sich die Grippe die Opfer bei den ganz Alten und den sehr Jungen, aber dieses Virus ist gefährlich, weil es bei uns im jungen Bereich der Bevölkerung die Schäden macht», sagte der Experte. «Die ganzen Fälle bislang waren nur Geplänkel, jetzt geht es los.»
Auch der Tod einer 48-Jährigen ohne Vorerkrankungen in Bonn zeige, wie gefährlich das Virus sei, sagte Gottschalk. Jeder solle sich überlegen, ob er nicht doch zur Schutzimpfung gehe. Gottschalk kritisierte die Informationspolitik der Bundesregierung über die Schutzimpfungen, die Berichte über verschiedene Impfstoffe hätten die Menschen verunsichert.
Drei Todesfälle binnen weniger Stunden
Am Freitag waren mindestens zwei weitere Schweinegrippe-Patienten gestorben, darunter erstmals auch eine Frau ohne bekannte Vorerkrankungen, zudem ein fünfjähriges Kind. Die «Augsburger Allgemeine» berichtete außerdem, im Augsburger Zentralklinikum sei ein 16-jähriger schwerbehinderter Schweinegrippe-Patient gestorben. Dieser Fall wurde zunächst aber offiziell nicht bestätigt. Nach Informationen der Zeitung werden in der Klinik zwei weitere mit der Schweinegrippe infizierte Kinder künstlich beatmet.
Bei der 48-jährigen Patientin, die am Freitag in der Bonner Uni-Klinik starb, wurden bisher keine Vorerkrankungen festgestellt, die den schweren Krankheitsverlauf erklären würden. In der Klinik hieß es, der Fall zeige, dass eine Schweinegrippe-Infektion auch ohne Vorerkrankungen ernst verlaufen könne. Auch wenn bisher die Mehrzahl der Fälle in Deutschland mild verlaufen sei, müsse man dennoch darauf hinweisen, dass möglicherweise jetzt eine zweite Welle der Epidemie beginne. Vor allem vor dem Hintergrund der kalten Jahreszeit sei auch mit schwereren Verläufen zu rechnen.
48 Tote in der Ukraine
In der Ukraine sind unterdessen 48 Menschen an der Grippe gestorben, Zehntausende haben sich angesteckt. Dies erklärte der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko am Samstag auf seiner Website. Juschtschenko sprach von elf Ukrainern, die an den Folgen der Schweinegrippe starben. Gesundheitsminister Wasili Knjasewitsch erklärte dagegen der Agentur RIA Nowosti zufolge, eine Person sei an der Schweinegrippe gestorben, 13 weitere hätten sich infiziert.
Seit Freitag sind die Schulen in der früheren Sowjetrepublik geschlossen, Kino-Vorführungen und Konzerte wurden abgesagt. So soll die weitere Ausbreitung der Grippe gestoppt werden, an der laut Juschtschenko schon 150.000 Menschen in der Ukraine erkrankt sind. Die Arten der Grippe unterschied der Präsident nicht. Der Ausbruch startete in der westlichen Region Ternopol. Laut Medienberichten gibt es inzwischen in der Ukraine eine erhebliche Knappheit an Anti-Grippe-Mitteln und Atemschutzmasken.
Mindestens fünf Schweinegrippe-Tote in Deutschland
Mit den neuen Todesfällen vom Freitag sind bisher mindestens fünf, möglicherweise auch sechs Schweinegrippe-Patienten in Deutschland gestorben. Die ersten drei Toten hatten alle Vorerkrankungen. Am Montag war in Deutschland die Massenimpfung gegen die Schweinegrippe gestartet. Umfragen zufolge ist ein Großteil der Bevölkerung bisher skeptisch und will sich nicht impfen lassen.
Die Stimmung kann aber nach Einschätzung des Leiters des Fachgebietes Virusimpfstoffe beim Paul-Ehrlich-Institut, Michael Pfleiderer, über Nacht umschlagen, «sobald wie jetzt in den USA die Zahl der Schwerkranken steigt und die Krankenhausbetten knapp werden». Es habe ihn überrascht, dass die Stimmung «im impfkritischen Deutschland selbst bei den Ärzten derartig» gekippt sei, sagte er der «Wirtschaftswoche».
Sachlich gebe es überhaupt keinen Grund für Vorbehalte - die kritisierten Wirkungsverstärker seien längst erprobt und in herkömmlichen Grippe-Impfstoffen schon millionenfach gespritzt worden. Es werde «unglaublicher Blödsinn als Wahrheit» verkauft, kritisierte Pfleiderer.
Minister rät, nicht die normale Grippeimpfung zu vergessen
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler sieht in der normalen Herbstgrippe derzeit noch ein höheres Gesundheitsrisiko als in der Schweinegrippe. Der FDP-Politiker sagte laut «Bild am Sonntag», er lasse sich zuallererst gegen die momentan noch gefährlichere normale Grippe impfen, danach gegen die Schweinegrippe. Jeder Bürger solle mit seinem Arzt besprechen, ob er sich gegen die Schweinegrippe impfen lassen wolle. Die normale Grippeimpfung solle man dabei keinesfalls vergessen, da diese Grippe für bestimmte Personengruppen mit chronischen Krankheiten auch gefährlich sein könne. (ap/ddp)