Rheda-Wiedenbrück. . Ortstermin im Tönnies-Prozess. Das Essener Landgericht prozessiert zwischen Schweinehälften und Rindervierteln. Der angeklagte Schalke-Boss hatte eingeladen, seinen Betrieb zu besichtigen.

Wahrheitsfindung ist ein schwieriges Geschäft, aber sie lohnt jeden Aufwand. Selbst einen Prozesstag zwischen Schweinehälften und Rindervierteln, wo das Landgericht Essen am Mittwoch tagte: Ortstermin im B. & C. Tönnies Fleischwerk in Rheda-Wiedenbrück.

Mittlerweile geht es in dem seit Februar laufenden Verfahren stärker um den konkreten Vorwurf, Schalke-Chef Clemens Tönnies und zwölf leitende Mitarbeiter seiner ostwestfälischen Fleischfirma hätten dem an Discounter gelieferten gemischten Hackfleisch mehr Schweinefleisch beigemischt, als auf dem Etikett stand. Produktionstechnisch sei das auch gar nicht anders möglich, hatte Josef Tillmann, Angeklagter und Tönnies-Produktionsleiter, behauptet. Immer wieder hatte die Verteidigung das Gericht gebeten, sich die Produktion in Rheda mal anzusehen.

Ein Rollentausch sollte es werden. Fast 15 Prozesstage lang saßen Tönnies und seine Mitarbeiter auf der Anklagebank. Wichtige Zeit, in der sie sonst für den Betrieb Entscheidungen zu treffen hätten, ging verloren. Passiv beugten sie sich der Strafprozessordnung – trotz Unschuldsvermutung wirkten sie zeitweise wie arme Sünder. Am Mittwoch sind sie die selbstbewussten westfälischen Gastgeber. „Kommt her, wir haben nichts zu verbergen“, ist gemeint. Den Takt bestimmen die Angeklagten.

Bevor Richter Wolfgang Schmidt die Sitzung der XXI. Strafkammer eröffnet, muss er die „Hygienerichtlinie für Besucher und Monteure“ unterzeichnen: „Litten Sie an Durchfall und Erbrechen, hatten Sie Anfälle von Schüttelfrost?“ Jeder Teilnehmer der Verhandlung muss antworten und unterschreiben. Den bereit liegenden Kugelschreiber mit Tönnies-Werbung „dürfen Sie auch behalten“, sagt der aus München angereiste Tönnies-Pressesprecher Markus Ei­cher. Er kümmert sich um die Journalisten. Darunter ist auch ein Redakteur der Lebensmittelzeitung. Offenbar soll das Positive des Termins in die Branche abstrahlen.

Frau Tönnies lässt grüßen

Produktionschef Josef Tillmanns persönlich gibt an jeden Teilnehmer Schutzkleidung aus, Clemens Tönnies verteilt die hygienerechtlich vorgeschriebenen Kopfbedeckungen. Zwischenzeitlich begrüßt auch Margit Tönnies, die Frau des Chefs, die Richter und Staatsanwälte. Dann geht es in den Betrieb. Am Fließband werden Schweine und Rinder zerlegt, kommen in ein Hochregallager, werden palettenweise zur eigentlichen Zubereitung gebracht, bevor sie in verschweißter Verpackung zum Supermarktregal gehen.

Blitzsauber ist es, die Ar­beitsabläufe sind weitreichend automatisiert. Tillmann erklärt anschaulich über Funkkopfhörer, so dass ihn auch jeder versteht. Er lobt die strengen Standards und Kontrollen. Ob das aber Rückschlüsse zulässt auf die Zeit von 2004 bis 2007, als die Firma rund 175 Millionen Packungen falsch deklariert haben soll?

Das werden die Richter zu entscheiden haben, und damit endet dann wieder die Augenhöhe. So ganz vertraut wird man mit so Richtern nicht. Clemens Tönnies weiß das wohl. Zur Verabschiedung nach drei Stunden sagt er: „Für die Verteidiger haben wir noch ein Süppchen.“ Und dann kommt doch wieder der Gastgeber durch: „Wenn Sie Hunger haben ...“, sagt er zum Gericht. Das lehnt dankend ab.