Essen. . Bizarrer Wirtschaftskrimi um Fleischproduzenten und Schalke-Boss Klemens Tönnies. Die Verteidigung setzte vor Gericht auf Angriff. Die Staatsanwaltschaft habe anonyme Informationen nicht geprüft und den Prozess ohne rechtliche Grundlage verlegt.

Vordergründig geht es um Fleischmischungen und falsche Etiketten, im Hintergrund spielt sich ein bizarrer Wirtschaftskrimi ab rund um den größten deutschen Fleischproduzenten, Schalke-Boss Klemens Tönnies. Gleich am ersten Verhandlungstag vor dem Essener Landgericht forderte Tönnies-Anwalt Sven Thomas darum die Einstellung des Verfahrens: Er sieht ein Verfahrenshindernis in der Tatsache, dass der Prozess seinerzeit von Bielefeld nach Bochum verlegt wurde - aufgrund einer anonymen Information. Ein nicht namentlich bekannter Informant war an die Staatsanwaltschaft Oldenburg herangetreten und hatte behauptet, Tönnies habe Verbindungen zur Staatsanwaltschaft Bielefeld, diese sei nicht neutral.

Dies ist nun der Hebelpunkt für den Düsseldorfer Verteidiger Thomas: "Zuständig war Bielefeld, und es ohne Nachprüfung dieser Behauptung nach Bochum zu geben, ist willkürlich und entbehrt jeder rechtlichen Rationalität. Die Staatsanwaltschaft verließ völlig den Boden des Rechts." Ohne zum eigentlichen Verhandlungsgegenstand, dem Fleisch, Stellung zu beziehen, schießt die Verteidigung scharf und behauptet, die Staatsanwaltschaft Oldenburg habe sogar bei der Verfassung der anonymen Anzeige geholfen. Der anonyme Informant sei von der Konkurrenz im Fleischgeschäft gekauft.

Bizarrer Krimi

Tatsächlich liefert das Ermittlungsverfahren Stoff für einen Krimi. Anonym hatte ein leitender Mitarbeiter von Tönnies im Jahr 2006 Anzeige gegen ihn erstattet. Über einen Rechtsanwalt und SPD-Bundestagsabgeordneten wurde der Bericht des Anonymus über den Generalstaatsanwalt von Brandenburg an den Generalstaatsanwalt von Hamm weitergeleitet. Der gab ihn an die Bochumer Staatsanwälte weiter, bei denen der Informant sich selbst enttarnte und detailliert aussagte.

Und dann gab es noch einen Eichbeamten, der laut Überwachungsvideo die Nachtschicht von Tönnies besuchte und offenbar an einer Maschine manipulierte. Der inzwischen verstorbene Informant war nach seiner Tönnies-Zeit zum niederländischen Konkurrenten Vion gewechselt und selbst wegen Untreue verurteilt worden. Verschwörung oder doch nur Zufälle in einem sauberen Ermittlungsverfahren?

Da gerät der Verhandlungsgegenstand etwas in den Hintergrund: Dabei ist es für den Kunden eigentlich ganz einfach. Wenn er beim Metzger oder im Kühlregal seines Discounters „Gehacktes halb und halb“ wünscht, erwartet er eine Hälfte Rinder- und eine Hälfte Schweinefleisch. Die Staatsanwaltschaft Bochum wirft dem 54-Jährigen allerdings vor, den Rindfleischanteil seines „Gehacktes halb und halb“ zum Teil auf 25 Prozent reduziert zu haben. Dies ist der vorläufige Abschluss eines groß angelegten Ermittlungsverfahrens.

Kein Betrug

Um Betrug geht es nach Ansicht des Landgerichts Essen allerdings nicht, weil es keinen finanziell Geschädigten gibt, weder die Discounter, die von Tönnies beliefert worden sind - Aldi Süd, Aldi Nord und Lidl, wie im Prozess bekannt wurde -, noch den Endverbraucher. Denn der Preis für Hackfleisch halb und halb und reines Schweinehackfleisch sei gleich. Eröffnet haben die Essener Richter das Verfahren deshalb nur wegen Falschetikettierung, was im Juristendeutsch „Vorsätzliches Inverkehrbringen von Lebensmitteln unter irreführender Bezeichnung“ heißt.

Ob’s eine Verurteilung oder einen Freispruch geben wird? „Halb und halb“, schätzen Juristen die Chancen für Klemens Tönnies ein. Selbst bei einer Verurteilung wird es nicht mehr als eine Geldstrafe geben. Aber für Deutschlands größten Schweinefleischverarbeiter steht viel mehr auf dem Spiel. Um seine Glaubwürdigkeit als Geschäftsmann geht es. Seine Unternehmensgruppe zählt auf dem Lebensmittelmarkt zu den größten Europas. Seine Fleischprodukte liegen in den Kühlregalen der großen Supermarktketten. Die Discounter achten auf einwandfreie Ware, und wenn da der Hauch eines Verdachts übrig bleiben sollte, dass Tönnies und seine Mitarbeiter es mit der Ehrlichkeit nicht genau nehmen, könnte das erhebliche Folgen für das Unternehmen im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück haben.

Antworten soll die XXI. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Essen in voraussichtlich 40 Sitzungstagen finden. Neben Schalke-Aufsichtsratschef Klemens Tönnies sind zwölf leitende Mitarbeiter seiner „B. & C. Tönnies Fleischwerk GmbH & Co. KG“ angeklagt. Auch ihre Anwälte schlossen sich dem Antrag an, das Verfahren einzustellen.

„Wir haben uns stets an die Gesetze gehalten“, wurde Tönnies zitiert, nachdem das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt 2007 seine Firmengebäude durchsucht hatte. An eine Verschwörung von Konkurrenten, die sein Geschäft übernehmen und vorher sturmreif schießen wollen, glaubt auch er.