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Ein Brandsachverständiger sieht erhebliche Sicherheitsmängel im Brandschutz des Weltkulturerbes. Die Anlage, die bei einem Feuer die Besucher der Kohlenwäsche schützen soll, sei extrem gefährlich.

Der Brandschutz im zentralen Gebäude des Weltkulturerbes Zollverein sorgt weiter für Unruhe. Im Gespräch mit der WAZ wirft nun ein Gutachter der Dekra der Stiftung Zollverein vor, gefährliche Sicherheitsmängel in der Kohlenwäsche nicht beseitigt zu haben. Die Anlage, die bei einem Feuer die Besucher der Kohlenwäsche schützen soll, sei extrem gefährlich. In der Kohlenwäsche ist auch das Ruhrmuseum untergebracht.

„Wo man nicht dem Schein erliegt, weil man nur auf Sein was gibt“, singt Herbert Grönemeyer in seinem Lied „Komm zur Ruhr“. Zum ersten Mal präsentierte Grönemeyer die Hymne bei der Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres auf Zeche Zollverein am 10. Januar 2010. Aus dieser Zeit stammen auch schwere Vorwürfe gegen die Stiftung Zollverein. Nach weiteren Recherchen scheint es, als seien die Probleme bis heute nicht aufgearbeitet.

Forum vor der Kohlenwäsche. Foto: Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Forum vor der Kohlenwäsche. Foto: Ulrich von Born/ WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Die Kohlenwäsche auf Zollverein ist Publikumsmagnet, besonders bei großen Veranstaltungen wie der Eröffnung der Ruhr 2010 vor gut einem Jahr. Damit sich die Besucher im Falle eines Brandes schnell und sicher retten können, braucht die Kohlenwäsche ein Brandschutzkonzept. Als Fluchtwege sind in diesem Konzept die Treppenhäuser vorgesehen. Dort ist unter anderem eine Überdrucklüftung installiert. Durch den erhöhten Luftdruck soll vermieden werden, dass Rauch ins Treppenhaus gelangt und die Fluchtwege verstopfen.

Drei Prüfberichte, die der WAZ-Mediengruppe aus dem Umfeld des Essener Bauamtes zugespielt wurden (siehe Dokumente im Download), lassen jetzt jedoch erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob es in der Kohlenwäsche derzeit einen funktionierenden Brandschutz gibt.

Gutachter stellte 2006 bereits Mängel fest

Die Geschichte beginnt vor fast fünf Jahren. Im August 2006 stellt ein Gutachter des TÜV Rheinland erhebliche Mängel in der Brandsicherung der Kohlewäsche fest. Vor allem die Überdruckanlagen seien nicht geeignet, den Rauch sicher aus den Treppenhäusern fernzuhalten, über die im Falle eines Brandes die Menschen aus der Kohlewäsche flüchten sollen. Er fordert die Stiftung Zollverein auf, die Mängel zu beseitigen.

Offenbar geschieht das nicht vollständig. Am 11. Dezember 2009 stellt der Dekra-Gutachter Robert Schwarz fest, dass der Luftdruck im Flucht-Treppenhaus zum Teil vier Mal so stark war wie der zulässige Grenzwert: Kinder, Senioren oder schwächere Personen können die Türen im Brandfall nicht aufdrücken. Sie sitzen in der Falle. Robert Schwarz schrieb, die Lüftungsanlage der Kohlenwäsche sei „nicht betriebssicher und wirksam“. Der Weiterbetrieb der Anlage sei daher „nicht statthaft“.

Die Mängel waren so gravierend, dass Schwarz noch am Tag seiner Prüfung dem Bauamt ein Fax mit den größten Problemen schrieb (siehe Dokumente im Download, Blatt 1) – und sich telefonisch beim zuständigen Sachbearbeiter den Eingang des Schreibens bestätigen ließ.

Dekra: „Das war ein dicker Hund“

Normalerweise hätte Zollverein die Mängel unverzüglich beheben und sich dann in einer erneuten Prüfung bestätigen lassen müssen, dass die Anlagen wieder funktionieren. Das Fluchttreppenhaus ist zentraler Bestandteil des Brandschutzkonzeptes. Ohne funktionierenden Brandschutz hätte das Bauamt die Kohlenwäsche zumindest vorübergehend stilllegen müssen. „So etwas drastisches passiert mir vielleicht ein oder zwei Mal im Jahr“, sagt Dekra-Gutachter Robert Schwarz auf Nachfrage. „Das war ein dicker Hund.“

Zumal der hohe Druck nicht das einzige Problem war: Im Fluchttreppenhaus herrschte laut Prüfbericht ein Lärm von 110 Dezibel, vergleichbar mit einer Kettensäge in einem Meter Entfernung. Schwarz schreibt in seinem Bericht von einem Lärm „nahe der Schmerzschwelle“. Besucher, die vor dem Lärm flüchten, „laufen dann entgegen der Fluchtrichtung“, schreibt Schwarz. Also: Zurück ins Feuer. „In den Lärm rennt keiner freiwillig“, sagt Schwarz. „Das ist ein wesentlicher Punkt unserer Mängelanzeige.“

Wenige Tage später, Anfang Januar 2010, steht die Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres kurz bevor. Die Stiftung Zollverein bestellt in Rücksprache mit dem Bauamt einen neuen Prüfer, diesmal vom Institut für angewandte Sicherheit, genannt IfaS, in Mülheim.

Das IfaS wird jedoch nicht damit beauftragt, zu prüfen, ob die von der Dekra festgestellten Mängel beseitigt wurden. Stattdessen befasst sich der neue Gutachter nur zum Teil mit den als akut sicherheitsgefährdend eingestuften Mängeln. „Das zweite Gutachten hat den Knackpunkt des ersten Gutachtens nicht geprüft“, bestätigt Brandschutzexperte Dr. Ulrich Max vom Institut für Bauphysik der Uni Stuttgart der WAZ nach Vorlage der Gutachten. „Der IfaS-Gutachter hatte einen ganz anderen Prüfumfang. Dabei hätte er eigentlich auf die Punkte eingehen müssen.“

Der starke Lärm im Fluchttreppenhaus wird im IfaS-Gutachten nicht erwähnt. Und der gefährlich hohe Luftdruck wird im neuen Gutachten eher stiefmütterlich behandelt. Zwei Ventilatoren sorgen im Treppenraum der Kohlenwäsche für den nötigen Überdruck. Der neue Gutachter misst bei seinem Einsatz Anfang 2010 jedoch den Überdruck bei nur einem laufenden Ventilator. Da nun die Messwerte in Ordnung seien, solle Zollverein dafür sorgen, dass der zweite Ventilator „durch Verriegelung der Reparaturschalter“ nicht mehr eingeschaltet werden kann.

Forum vor der Kohlenwäsche. Foto: Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Forum vor der Kohlenwäsche. Foto: Ulrich von Born/ WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Dies widerspricht dem ersten Gutachten von Dekra-Prüfer Robert Schwarz. Der schrieb wenige Wochen zuvor an Bauamt und Zollverein: „Die Anlagen sind so zu konzipieren, dass auch bei Ausfall einzelner Anlagenteile niemals unzulässig hohe Druckdifferenzen zum Fluchtweg entstehen.“

Statt der Anlage die Abnahme zu verweigern, empfahl der IfaS-Gutachter ein Provisorium. DEKRA-Prüfer Robert Schwarz bezeichnet das als „nicht sauber“. Dem zweiten Gutachter seien eventuell Informationen vorenthalten worden. Ganz sicher aber habe er „schlampig gearbeitet“, sagt Schwarz.

„Die Bauaufsicht hätte das Gutachten nicht akzeptieren dürfen, da es keine Nachprüfung der beanstandeten Mängel beinhaltet“, sagt Robert Schwarz weiter. Zudem hätte das Bauamt den Vorschlag des Gutachters, einen Ventilator zu verriegeln, somit nicht einfach akzeptieren dürfen.

Damit nicht genug: als der IfaS-Gutachter neun Monate später eine Wiederkehrende Prüfung durchführt, ist die provisorische Lösung des verriegelten Ventilators noch immer nicht beseitigt. Dennoch gibt der Prüfer seinen Segen. Er fordert lediglich, dass bis Juni 2011 eine automatische Steuerung installiert wird, die bei Ausfall eines Ventilators den zweiten Ventilator automatisch einschaltet. Eine Nachprüfung sei nicht erforderlich.

Anfang März gab es eine erneute Überprüfung der Anlage. Dabei überprüften unter anderem Brandsachverständige der Essener Feuerwehr die Kohlenwäsche anhand einer Mängelliste aus dem November 2009. In der Liste wurden 31 Fehler festgehalten. Nach anderthalb Jahren waren davon knapp ein halbes dutzend Mängel abgearbeitet. Etliche der Mängel sind eher nebensächlich. Aber es gab auch erhebliche Mängel, die nicht beseitigt wurden. So seien zum Beispiel Mängel in den Sprinkleranlagen nicht beseitigt worden.

Zechenfest auf Zollverein

21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Rummel auf dem Ehrenhof. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Band Ruhrschnellweg. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Kohlenwäsche war zeitweilig überfüllt und der Zugang stoppte. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Das Zelt auf dem Forum. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Band Ruhrschnellweg. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Band Ruhrschnellweg. Kinderkarussel vor Halle 6. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Band Ruhrschnellweg. Kinderbühne vor Halle 6: Clown Pippy. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Band Ruhrschnellweg. Designausstellung in Halle 5. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Band Ruhrschnellweg. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Band Ruhrschnellweg. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
21. Großes Zechenfest unter dem Motto
21. Großes Zechenfest unter dem Motto "Wir im Herzen der Kulturhauptstadt" auf Zollverein. Die Band Ruhrschnellweg. Freiluftkaffee vor Halle 12. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ FotoPool
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Ein Beamter der Essener Bauaufsicht forderte die Stiftung Zollverein schriftlich auf, die Mängel in der Kohlenwäsche kurzfristig abzustellen. Ansonsten „lassen sich ordnungsbehördliche Maßnahmen bis hin zur Untersagung der Nutzung des Gebäudes nicht mehr vermeiden.“

Dekra-Gutachter Robert Schwarz informierte vor einigen Tagen das Bauamt, dass der Brandschutz der Kohlenwäsche nach dem IfaS-Gutachten nicht mehr der ursprünglich genehmigten Anlage entspricht.

Die IfaS wollte sich nicht zu ihren Gutachten erklären und verwies auf die Stiftung Zollverein. Diese erklärte, bei einer „turnusmäßige Begehung der Kohlenwäsche durch das Bauordnungsamt gemeinsam mit der Feuerwehr“ seien Mängel festgestellt worden, „die zur Zeit konsequent beseitigt werden“. Diese Mängel seien jedoch „nicht in der Weise sicherheitsrelevant, dass das Bauordnungsamt eine Nutzungseinschränkung geschweige denn eine Schließung der Kohlenwäsche erwogen hat“. Es bestehe keine Gefahr für die Gäste Zollvereins.

Zuvor hatte der Leiter des Essener Bauaufsicht, Detlef Robrecht, in einer öffentlichen Erklärung gesagt, bei der Ankündigung von „ordnungsbehördlichen Maßnahmen bis hin zur Untersagung der Nutzung des Gebäudes“ handele es sich um eine übliche Formulierung, die nicht bedeute, dass Zollverein wegen Mängeln beim Brandschutz vor der Schließung stünde. Die Stiftung Zollverein erklärte, man werde die Auflagen der Stadt termingerecht erfüllen. „Eine Schließung der Kohlenwäsche durch das Bauamt ist daher nicht zu befürchten.“