Schwalmtal. Der 71-jährige Hans P. wollte diejenigen "bestrafen", die das Verfahren um das Haus seiner Tochter in die Länge gezogen hätten. Drei Menschen, zwei Anwälte und ein Gutachter, mussten am Dienstag deswegen sterben. Die heile Welt in Schwalmtal, sie ist aus den Fugen geraten.

Er habe ein sehr klares Weltbild, wie Ordnung aussehe, was richtig sei, und was nicht. Vorsichtig deutet Kriminaldirektor Jürgen Schneider an, wie er den 71-jährigen Täter von Schwalmtal in der ersten Vernehmung in der Nacht erlebte. Am Dienstagabend hatte dieser Mann jedenfalls ein Zeichen gesetzt. Er erschoss kurzerhand drei Menschen, die nicht in seine Ordnung der Dinge passten. Zwei Rechtsanwälte und einen Gutachter, die nicht so funktionierten wie er es für richtig hielt.

Der Tag nach den Todesschüssen von Schwalmtal. So langsam werden die Abgründe dieser Tat deutlich. Sie ist der traurige Endpunkt einer Geschichte, die damit begann, dass sich der heute 44-jährige Ex-Schwiegersohn vor acht Jahren von der Tochter des Täters trennte. Was folgte war ein Scheidungskrieg der übelsten Art. Mit lautstarken Zerwürfnissen und Prozessen vor Zivilgerichten. Lange schon kommunizierte man nur noch über die Anwälte. Es ging auch um dieses Haus am Margeritenweg. Tochter und Schwiegersohn hatten es finanziert, der Vater, ein früherer Zimmermann, hatte es jedoch umgebaut. Über einen Verkauf konnte man sich nicht einigen, nun drohte die Zwangsversteigerung.

Ohne Vorwarnung geschossen

Der Termin an diesem Dienstag, bei ihm sollte der Wert des Grundstückes, möglicherweise auch des Hauses geschätzt werden. Der 71-Jährige war dafür eigens am Vortag angereist. Nun, es ist kurz nach 16 Uhr, steht seine Tochter im Haus, bespricht sich zuerst mit ihrem Anwalt. Dann klingeln der Anwalt des Schwiegersohns und die beiden Gutachter des Kreises Viersen. Man redet, der Rentner hört kurz zu, geht dann in den Nebenraum, holt seine Pistole und beginnt ohne jede Vorwarnung auf die vier Besucher zu schießen. Zehn Schüsse. Drei der Opfer sind vermutlich sofort tot. Der vierte Mann, ein 40-jähriger Gutachter, wird von zwei Schüssen getroffen, kann dennoch fliehen, schleppt sich blutend zu Nachbarn: „Holen Sie einen Krankenwagen!”, ruft er.

Die Freundinnen Sonja Hyzak (22) und Nadine Berger (23) sind es, die den Krankenwagen rufen. „Um 16.27 Uhr”, sagt Sonja Hyzak. „Die Uhrzeit werde ich nie vergessen.” Am offenen Fenster, schräg gegenüber vom Tathaus, stehen die beiden, als es passiert. Erst Ruhe, so wie es immer ist im Ortsteil Amern. Dann ein Knall. „Ganz leise”, sagt Sonja Hyzak. Wie ein kleiner Böllerkracher. „Unfassbar.” Ganz anders als im Film. Wobei sich das, was danach kam, für die Freundinnen wie in einem Film abspielte. Der Verletzte: „Er hat Blut gespuckt”, beschreibt Nadine Berger die Szene. Der Krankenwagen. Die Polizei. „Es durfte keiner auf die Straße”, sagt die 23-Jährige. Auch die Blutspuren im Eingang durften sie erst einmal nicht entfernen.

2006 hatte der Täter schon einmal mit einem Baseballschläger zugelangt

Der Mann, der dies alles anrichtete, ist geständig. Er habe diejenigen bestrafen wollen, die das Verfahren um das Haus in die Länge gezogen hätten. Bestrafen! Dass er selbst den Rechtsanwalt seiner Tochter tötete, erklärt er damit, dieser habe sich wie alle anderen von dem Rechtsanwalt des Schwiegersohn „dominieren lassen”. Schon einmal, 2006, hatte der 71-jährige bestraft, hatte mit einem Baseballschläger zwei Menschen, entfernte Verwandte, verprügelt. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, weil als verhandlungsunfähig beurteilt wurde.

Drei Stunden hatte er sich nach den Schüssen in dem Haus verschanzt. Lange wusste die Polizei die Situation nicht einzuschätzen. War er noch dort oder längst geflüchtet? Hatte er Geiseln genommen? Gegen 19.30 Uhr stellt der Rentner sich. Mit ihm verlassen seine 69-jährige Ehefrau und die 44-jährige Tochter das Haus. Beide machen später von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Was wussten sie von den Plänen des Ehemannes, des Vaters? „Wir haben sie im Status von Beschuldigten vernommen”, erklärt Oberstaatsanwalt Peter Aldenhoff.

Die Waffe und 100 Schuss Munition will der 71-jährige in den 90er Jahren von seinem Vater geschenkt bekommen haben. Dass der seinen Ex-Schwiegersohn nicht tötete, ist vermutlich der pure Zufall. Der Termin vom Dienstag war verschoben worden, hätte eigentlich am Montag stattfinden sollen. Da wäre auch er dabei gewesen, ganz arglos, wie Oberstaatsanwalt Aldenhoff zu berichten weiß.

Am Wochenende ist Schützenfest

Die Welt im beschaulichen Schwalmtal, sie ist von einem Moment auf den nächsten aus den Fugen geraten. Sie sei so „durcheinander”, dass sie „nicht zum alltäglichen Leben übergehen” könne, sagt eine Nachbarin am Tag danach. Ihren Namen möchte die ältere Frau lieber nicht verraten. Schon im Dunstkreis dieser Bluttat auch nur erwähnt zu werden, scheint vielen unangenehm zu sein. Kochen müsste sie jetzt eigentlich, sagt sie. Mittagszeit. Essenszeit. Stattdessen sitzt sie mit anderen Nachbarn im Schatten vor einem der modernen Backsteinhäuser, die sich im Margeritenweg so gleichen. Nur einen Steinwurf vom Tatort entfernt. Die Aufmerksamkeit, die Polizei, die Journalisten - das alles wollen sie in Schwalmtal gar nicht. Sondern zurück in die heile Welt. Der Zirkus ist im Örtchen. Und am Wochenende ist Schützenfest.