Düsseldorf. .

Nach dem Angriff eines entlassenen Sexualstraftäters auf ein zehnjähriges Mädchen streitet der NRW- Landtag darüber, wer die Verantwortung trägt. CDU-Innenpolitiker attackiert SPD-Innenminister Jäger.

Wenn ein mehrfach verurteilter Sexualstraftäter zehn Tage nach der Gefängnis-Entlassung ein kleines Mädchen anfällt, muss irgendwo zwischen Politik, Polizei und Justiz eine fatale Fehlentscheidung getroffen worden sein. Auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner kann sich am Freitag sogar der Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags verständigen.

Nach der jüngsten Attacke des einschlägig vorbestraften 47-jährigen Ricardo K. auf eine Zehnjährige in Duisburg war das Gremium eilig zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Doch wer in dieser Kette des Versagens das wichtigste Glied stellt, bleibt zwischen der rot-grünen Landesregierung und der Opposition heftig umkämpft.

Ausgangspunkt für den erschütternden Fall ist eine sogenannte Fallkonferenz am 2. August 2010 im Polizeipräsidium Duisburg. Eine Expertenrunde stimmt sich darauf ein, dass im Herbst der als weiterhin unberechenbar geltende Ricardo K. entlassen werden muss. Weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Dezember 2009 die nachträglich verhängte unbefristete Sicherungsverwahrung für Schwerkriminelle verboten hat, gibt es kaum noch Aussichten, Täter wie Ricardo K. länger hinter Schloss und Riegel zu halten. Eine Observation wird verabredet, Ricardo K. muss sich regelmäßig bei der Polizei melden, darf keinen Alkohol trinken und sich keinen Kindern oder Jugendeinrichtungen nähern.

Überwachung nach sechs Tagen beendet

Als der Sexualstraftäter am 18. November schließlich auf Geheiß des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) entlassen wird, haben sich die Vorzeichen offenkundig verändert. Im Oktober war ein Gutachter zu der überraschenden Erkenntnis gelangt, von Ricardo K. gehe keine unverhältnismäßige Gefahr mehr aus. Die Duisburger Polizei bleibt dennoch bei ihren ursprünglichen Beobachtungsplänen, weshalb sie nach Ansicht von Innenminister Ralf Jäger (SPD) „mehr getan hat, als sie eigentlich hätte tun dürfen“. Nach sechs Tagen wird die Observation eingestellt, weil Ricardo K. sich laut Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann „unauffällig und kooperativ“ verhalten habe.

Hier sieht CDU-Innenpolitiker Peter Biesenbach das zentrale Versagen von Polizeiführung und Innenminister: „Man kann nicht einem Täter, der zehn Jahre in Sicherungsverwahrung saß, nach sechs Tagen Observation Ungefährlichkeit bescheinigen.“ Unabhängig vom OLG und dessen Gutachten bleibe die Polizei für ihre eigene Lageanalyse verantwortlich, so Biesenbach. Jäger drücke sich vor der politischen Verantwortung. Schon dass sich Ricardo K. ausgerechnet bei seinem Bruder in unmittelbarer Nähe einer Grundschule in Duisburg-Homberg einquartiert habe, ist aus Sicht des FDP-Politikers und ehemaligen Kriminalhauptkommissars Horst Engel „ein krasser Verstoß gegen die Auflagen“.

Jäger wirft Schwarz-Gelb Untätigkeit vor

Innenminister Jäger wiederum verweist auf die rechtliche Grauzone. Der Fall von Duisburg sei „die Folge der fast einjährigen Untätigkeit des Bundesgesetzgebers“, sagt Jäger. Schwarz-Gelb in Berlin habe erst in dieser Woche eine Alternativlösung auf den Weg gebracht. Von Januar 2011 an sollen wenigstens einige notorische Schwerkriminelle in neuen Therapieeinrichtungen untergebracht werden können. Zurzeit prüft die Landesregierung, an welche Forensik in NRW sich ein solches Quartier angliedern ließe. Der Handlungsdruck ist enorm: In diesem Jahr kamen bereits 15 Sicherungsverwahrte in NRW auf freien Fuß, in den kommenden Wochen soll es noch ein weiteres Dutzend sein.