Dortmund. .
Obwohl die Wehrpflicht nächstes Jahr ausgesetzt werden soll, werden immer noch junge Männer ins Kreiswehrersatzamt bestellt. Noch gilt das Gesetz. Von heute auf morgen die Musterungen stoppen, das geht deshalb nicht.
Keiner spricht. Obwohl es ja eigentlich viel zu bereden gäbe. Gerade jetzt, nachdem Verteidigungsminister Guttenberg bekannt gegeben hat, dass die Wehrpflicht wahrscheinlich am 1. Juli des kommenden Jahres ausgesetzt wird. Gerade hier, im Wartezimmer des Kreiswehrersatzamtes Dortmund, wo an diesem Tag rund 80 Männer zur Musterung einbestellt worden sind. Doch jeder schweigt.
Blaues PVC, Licht aus Neonröhren, Gummibaum in der Ecke, Uli Stein-Bilder an den Wänden und ringsherum Holzstühle. Draußen ist es noch dunkel, da sitzen sie schon hier und warten. Warten, dass die Tür aufgeht und jemand ihren Namen ruft. Dann werden die Personalien aufgenommen und abgeglichen. Oder es geht zum „Ärztlichen Dienst”, zum Wiegen, Messen oder zur Urinprobe. „Na ja”, sagt Nico Rauch. „Wenn man die Ladung zur Musterung bekommt, dann geht man eben hin.” Auch wenn man eigentlich nicht mehr so genau weiß warum. „Jetzt, wo die Wehrpflicht abgeschafft ist.”
„Ich stehe nicht so auf Krieg“
„Ausgesetzt”, korrigiert der Helmut Fleischer. Was für die meisten hier das gleiche ist. Der Leiter Allgemeine Wehrersatzangelegenheiten weiß das, aber was soll er machen? Noch gilt das Gesetz. Von heute auf morgen die Musterungen stoppen, das geht deshalb nicht. Im Gegenteil: „Bis wir keine neuen Anweisungen kriegen, müssen wir auch weiterhin laden.” Und wer in diesen Tagen zur Musterung antrete könne theoretisch am 1. Januar eingezogen werden. „In der Praxis wird das aber wohl kaum vorkommen.”
Vielleicht aber am 1. März oder am 1. April. Vielleicht sogar noch am 1. Juli. „Das wäre dann richtig dumm gelaufen”, sagt Christian Winkler. Der 18-Jährige aus Essen möchte nämlich auf keinen Fall zu den letzten Wehrpflichtigen der Bundesrepublik gehören. „Ich stehe nicht so auf Krieg.” Deshalb will er verweigern. Wenn er nicht ohnehin ausgemustert wird.
Über 40 Prozent untauglich
Kann schnell passieren. „Im Schnitt sind über 40 Prozent untauglich”, weiß Fleischer. Manchmal zu klein, manchmal zu groß, oft zu dick, immer öfter auch zu dünn. Rücken zu krumm, Füße zu platt, Augen zu schwach, Ohren zu schlecht. Im schlimmsten Fall von einer bisher nicht erkannten ernsten Erkrankung heimgesucht. Oder durch psychologische Probleme belastet. „Darauf wird heute aber auch mehr geachtet als früher”, sagt Dr. Dorothea Bona, Leiterin es ärztlichen Dienstes am Kreiswehrersatzamt.
T4 oder T5 steht dann auf dem Musterungsbescheid und man kann gehen. Alle anderen müssen zum Eignungstest. Um heraus zu finden, ob sie eher Funker oder vielleicht doch lieber Feldjäger werden sollen. Marcel Jetzkun wäre es egal. Aber selbst wenn seine Lebensmittelallergie ihn nicht untauglich macht, wird er wohl niemals dienen. „Ich bin mitten in der Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann”, sagt der 20-Jährige Hattinger. Was den Wehrdienst aufschiebt. Und aufgeschoben ist in diesem Fall aufgehoben.
Schicksal unklar
„Wird mir nicht passieren”, ist Patrick Dumke aus Hagen überzeugt. Fit und gesund sei er. „Wahrscheinlich T1.” Und im Juni 2011 mit dem Abitur fertig. Was ihn zum potenziellen Kandidaten für eine Einberufung zum letztmöglichen Zeitpunkt macht. Sechs Monate würde das den 18-Jährigen Studenten in Spe kosten. „Und das wäre sehr ärgerlich.”
Spät ist der Morgen und das Wartezimmer ist noch immer voll. Neue Gesichter, ähnliche Geschichten und die immer wieder kehrende Frage: „Muss das sein, dass wir hier noch sitzen?”
Helmut Fleischer zuckt die Schultern. Das würde er auch gern wissen. Genau wie die anderen 87 Mitarbeiter des Dortmunder Kreiswehrersatzamtes. Weil man ohne Wehrdienst ja auch keine Musterung braucht. Jedenfalls nicht so, wie bisher. „Es wird”, sagt Fleischer, „Zeit, dass wir erfahren, wie es weitergeht.”