Berlin. .
Eine Komission fordert einschneidende Veränderungen bei Bundeswehr und Verteidigungsministerium. Doch die jetzt vorgestellte Analyse ist nicht neu - schon im Jahr 2000 hatten Experten eine Reform dringend angemahnt.
Die Analyse war klar und unmissverständlich: „In ihrer heutigen Struktur hat die Bundeswehr keine Zukunft“, hieß es in dem im Mai 2000 präsentierten Abschlussbericht der von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker geleiteten Kommission zur Reform der Bundeswehr. Sie ist zu groß, falsch zusammengesetzt und zunehmend unmodern.“ Auf 179 Seiten brachten die Experten seinerzeit ihre Ideen für die Truppe der Zukunft zu Papier. Umgesetzt wurde davon so gut wie nichts.
Zehn Jahre später wagt Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg einen neuen Anlauf, um Bundeswehr und Verteidigungsministerium neu zu ordnen. Was die sechsköpfige Kommission unter Leitung von Reserve-Oberst Frank-Jürgen Weise, im zivilen Leben Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), nach sechs Monaten Arbeit auf „nur“ 114 Seiten vorgelegt hat, könnte der Startschuss für den tiefgreifendsten Wandel der Streitkräfte seit ihrer Gründung vor 55 Jahren sein. Die Kernaussagen der Gutachter – neben Weise der frühere Nato-General Karl-Heinz Lather, die ehemalige Präsidentin des Bundesrechnungshofes, Hedda von Wedel, der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose, DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann und der frühere Deutschlandchef der Unternehmensberatung McKinsey, Jürgen Kluge – stellen Guttenbergs Vorgängern indirekt ein verheerendes Zeugnis aus.
Die Gutachter sprechen von einem „systematisch überstrapazierten“ und kaum mehr steuerbaren Apparat, in dem sich viel zu viele Abteilungen und Stäbe (17!) in Heer, Marine, Luftwaffe und Sanitätswesen gegenseitig lähmen. Und trotz eines gewaltigen jährlichen Budgets von 33 Milliarden Euro sei die Bundeswehr technisch nicht auf der Höhe der Zeit.
Wehrpflicht aussetzen
Um die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit anschaulich zu machen, schieben die Experten ein Detail gesondert ins Rampenlicht: Trotz einer Personalstärke von rund 250.000 Mann könne die Bundeswehr zurzeit nur maximal 7000 Kräfte gleichzeitig in Auslandseinsätze schicken. Die Kommission hat penibel nachgerechnet, dass hinter jedem Soldaten im Auslandseinsatz etwa in Afghanistan zu Hause exakt 35 Soldaten und 15 zivile Angestellte stehen. Ein krasses Missverhältnis, findet nicht nur Frank-Jürgen Weise.
Er empfiehlt Guttenberg, die Streitkräfte von 250 000 auf 180 000 abzubauen und die Wehrpflicht auszusetzen. Das Zivilpersonal soll auf etwa 50 000 Beschäftigte halbiert werden. Im Verteidigungsministerium selbst soll der Mitarbeiterstamm ebenfalls auf rund 1500 halbiert werden; bei gleichzeitiger Straffung sämtlicher Führungs- und Verwaltungsstrukturen. Das Beschaffungswesen soll auf komplett neue Beine gestellt werden.
Künftig soll es außerdem einen bis zu 23-monatigen Freiwilligendienst geben, der allen Erwachsenen für den Dienst an der Allgemeinheit offensteht – etwa in Schulen, Krankenhäusern oder bei der Feuerwehr. Geplant ist aber auch ein „freiwilliger militärischer Dienst“ mit bis zu 15 000 Stellen. Dazu müssten sich Interessenten mindestens 15 Monate verpflichten. In der Hierarchie schlagen die Gutachter vor, den Generalinspekteur – derzeit Volker Wieker – zu einem Oberkommandierenden der Streitkräfte aufzuwerten, der dem Minister vollumfänglich verantwortlich ist, ihn aber nicht vertreten darf.
Reform dauert bis 2018
Bis auf die Linkspartei, die ein friedenspolitisches Konzept vermisst, fielen die ersten Reaktionen von Union, FDP, SPD und Grünen gestern grundsätzlich positiv aus. Guttenberg selbst („Die Richtung stimmt“) will, vorausgesetzt, die bevorstehenden Parteitage von CSU und CDU ergeben kein anderes Bild, das Weise-Papier als Blaupause für den von ihm seit Monaten forcierten Umbau der Streitkräfte nehmen.
Bereits Anfang 2011 soll der zuständige Staatssekretär Otremba konkrete Vorschläge für eine schrittweise Umsetzung vorlegen. Die ganze Reform-Prozedur könne bis 2018 dauern, heißt es im Umfeld Guttenbergs. Allerdings gibt es da noch einen Stolperstein – den Dienstsitz des Ministeriums....
Um eine effizientere Führung zu gewährleisten, schlagen die Reformer vor, das Verteidigungsministerium – offizieller Hauptsitz zurzeit Bonn – komplett nach Berlin zu verlagern. Auf der Hardthöhe soll nur noch eine nachgeordnete Behörde arbeiten.
Das wäre ein radikaler Wechsel. Denn von den 3090 Mitarbeitern des Ministeriums sind 2570 in Bonn beschäftigt, nur 520 in Berlin. Warum? Das Bonn-Berlin-Gesetz von 1994 schreibt vor, dass einige Bundesministerien weiter ihren Hauptsitz in Bonn haben müssen. Das sind im Moment die Ministerien für Verteidigung, Gesundheit, Umwelt, wirtschaftliche Zusammenarbeit, für Landwirtschaft sowie Bildung/Forschung. Ein Ärgernis aus Sicht mancher, denn dies ist kostspielig. Nach einem Bericht der Bundesregierung arbeiten derzeit rund 10 400 Bundesbeamte und Angestellte an der Spree, 9000 am Rhein. Die Doppelstrukturen kosten in diesem Jahr den Steuerzahler zehn Millionen Euro extra.
Die Regierung will vorläufig nicht an dem Gesetz rütteln. Vor allem wegen der zahlenmäßigen Stärke der Abgeordneten aus NRW im Bundestag gilt eine Aufweichung als wenig aussichtsreich. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) – Wahlkreis in Bonn – hält auch nichts von der Aufgabe des Dienstsitzes am Rhein. Verteidigungspolitiker von Union und FDP warben aber mit Nachdruck für eine ergebnisoffene Prüfung: 20 Jahre nach der Einheit müsse alles auf den Prüfstand; auch dieses Gesetz.