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Der Respekt vor Polizisten nimmt ab. Immer häufiger greifen aggressive Gruppen an, verletzten und beleidigen die Beamten.

Der Unfall, er war kaum der Rede wert. Eine junge Autofahrerin stößt mit ihrem Nissan im Kreisverkehr gegen einen Motorroller. Der Fahrer stürzt und verletzt sich leicht. Doch als die beiden Polizistinnen die Geschichte protokollieren, eskalieren die Geschehnisse. Ein Freund des Opfers randaliert und schlägt eine Beamtin, als sie ihn festhalten will, um seine Personalien aufzuschreiben. Die An­dere will ihn mit Handschellen an den Rettungswagen binden. Nun geht der Vater des Gefesselten auf die Polizistin los, sein Sohn befreit sich derweil, prügelt die Frau nieder und flüchtet. Ihrer Kollegin gelingt es zwar noch, den Vater mit Pfefferspray zu besprühen, aber auch er entkommt. Bei seiner Flucht überfährt er die Polizistinnen beinahe.

Eine typische „Gefangenenbefreiung”, aufgezeichnet im Juli in Warendorf. Ein Phänomen, das die Polizei von Demons­trationen und Fußballeinsätzen kennt. Und das ihr ganz offenbar immer schwerer zu schaffen macht.

Jede Festnahme wird zur Gefahr

In der Düsseldorfer Altstadt hat die Polizei längst ihre Lehren daraus gezogen, ist vor allem an den Sommerwochenenden mit Hundertschaften im Einsatz. Oft genug hatten sich Beamte zuvor in den frühen Morgenstunden einer ge­fährlichen Übermacht ge­genübergesehen: Gruppen von 20, 30 jungen Männern, angetrunken und gewaltbereit. Ein erfahrener Dienstgruppenleiter hatte einen Brandbrief ans Präsidium geschickt. „Die Leute tauchen plötzlich auf, sind hoch aggressiv und wollen sich mit der Polizei reiben”, berichtete Behördensprecher Wolfgang Rodax. Da birgt jede Festnahme die Gefahr, kriminelles Rudelverhalten auszulösen.

Respektlosigkeit und Gewaltbereitschaft gegen die Polizei, „das ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung. Und wir stehen im Wortsinn im Brennpunkt“, sagt Essens Polizeisprecher Ulrich Faßbender.

Für Sabrina Stein ist es inzwischen Alltag, als Feind betrachtet zu werden. Die junge Kommissarin tut Dienst bei der Einsatzhundertschaft und ist bei Demonstrationen und Fußballeinsätzen regelmäßig Ablehnung und Gewalt ausgesetzt. „Ich mache mich vor dem Einsatz schon auf das Schlimmste gefasst. Aber manchmal kommt es sogar noch schlimmer.“

Zum Beispiel letztes Jahr, als die Einsatzhundertschaft ei­nen Einsatz in einem autonomen Zentrum in Wuppertal hatte. „Die Feuerwehr hatte kaum die Tür aufgebrochen, da wurden wir schon mit allem beworfen, was man sich nur vorstellen kann: Barhocker, Mikrofonständer, Aschenbecher - wir waren fassungslos.“ Sie und eine weitere Beamtin erlitten durch Wurfgeschosse Armbrüche.

Solche Einsätze sind Ausnahmen. Alltag ist eine grundsätzliche Feindseligkeit, mit der Polizisten auch im Streifendienst konfrontiert werden, sagt Detlef Klocke von der Inspektion Nord. „Es geht schon damit los, dass man geduzt wird. Das Sie gibt es uns gegenüber nicht mehr.“

Klocke berichtet von einem Solidarisierungseffekt, der be­sonders bei Gruppen von Ausländern zu beobachten sei: Wenn die Polizei in Streitigkeiten eingreift, wenden sich beide Parteien einmütig gegen die Beamten. „Beim geringsten Anlass kommt sofort der Spruch: Das machst du nur, weil ich Ausländer bin. Dann gibt es eine Rudelbildung - und schon eskaliert die Situation. Man weiß nicht, was hinterm Rücken passiert.“

Regeln werden
nicht akzeptiert

Klocke, selbst zum Respekt vor der Polizei erzogen, be­richtet von einem Schlüsselerlebnis: „Rosenmontagszug in Gronau. Da steht ein Bengel vor mir, sieht aus wie sechzehn, und fragt mich: Willst du Einzelkampf? Ich war sprachlos. Vor allem, als ich später erfuhr: Der war erst vierzehn.“

Die sinkende Bereitschaft, Regeln zu akzeptieren, beobachten die Beamten schon in Alltagssituationen. Polizeisprecher Faßbender berichtet von einer öffentlichen Party. Als der Verkehrskollaps drohte, sperrte die Polizei eine Straße. Faßbender: „Polizeiwagen, Blaulicht und ein Beamter in Uniform, der klare Anweisungen gibt. Das muss doch eigentlich reichen. Trotzdem wollten die Autofahrer mit uns diskutieren, ob sie nicht doch weiterfahren könnten.“

Solche Formen zivilen Ungehorsams kennt Sabrina Stein auch aus dem Streifendienst. „Wenn ich eine Absperrung mache, dann hat das einen Sinn. Aber viele können das nicht akzeptieren.“