Essen. Aus Rücksicht auf die Eltern will Verdi die Streikstrategie an Kindertagesstätten ändern. Ab Montag solle Nordrhein-Westfalen in drei Streikregionen aufgeteilt werden. "Dann wird es nicht mehr so heftig wie bisher", sagt ein Verdi-Vertreter. Der Unmut der Eltern wächst von Tag zu Tag.
Tausende Erzieherinnen der städtischen Kindertagesstätten werden ihren Streik für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen in der kommenden Woche fortsetzen, und Tausende Eltern wieder großes Organisationstalent beweisen müssen. Ab Montag sollen sie dabei Unterstützung von Verdi erhalten. Die Gewerkschaft kündigte am Mittwoch an, ihre Streikstrategie zu ändern, „um auf die Eltern zuzugehen”.
In einer bundesweiten Streikkonferenz, die am Freitag in Fulda stattfindet, sollen die Erziehrinnen und Sozialarbeiter über die Korrektur abstimmen. Am Mittwoch trafen sich bereits die Vorstände der NRW-Landesbezirke, um zu beraten, wie man Väter und Mütter entlasten könne. Ohne nähere Einzelheiten zu nennen, verriet Verdi-Gewerkschaftssekretär Martin Steinmetz: „Ab Montag wird Nordrhein-Westfalen in drei Streikregionen aufgeteilt. Dann wird es nicht mehr so heftig wie bisher.”
Was „heftig” bedeutet, kriegen seit Tagen vor allem jene Eltern zu spüren, die auf die Betreuung ihrer Kinder angewiesen sind, um arbeiten zu können. Die viel Geld bezahlen, damit ihre Söhne und Töchter professionell versorgt werden. Als der Streik begann und Binnur Yüksel ihre beiden Söhne nicht in einer Notgruppe in Duisburg unterbringen konnte, ist sie ins Schleudern geraten: „Ich bin zwischen meiner Mutter und der Schwiegermutter hin- und hergependelt. Beide haben im Wechsel aufgepasst”, sagt die Lehrerin. Sie und ihr Mann sind berufstätig und abhängig von verlässlichen Betreuungszeiten. „Wenn der Streik noch länger dauert, wird es schwierig. Man kann die Kinder ja nicht über Wochen weggeben”, sagt die 31-Jährige. Dennoch hat sie Verständnis für den Streik und die Forderungen der Erzieherinnen. Im Türkischen, so sagt sie, gebe es ein Sprichwort: „Unter dem Fuß jeder Mutter ist ein Stück Himmel.” Will heißen, jede Mutter sei ein Engel und Erzieherinnen leisteten was Engelhaftes. „Sie leisten eine wertvolle Arbeit.”
Chef ist nicht begeistert
Forum
Diskutieren Sie mit anderen DerWesten-Lesern
Den Streik und seine Auswirkungen bezeichnet Sherife Osmani als „furchtbar”. „Mein Chef ist nicht begeistert, dass ich ständig meine Dienste tauschen will.” Die Mutter eines fünfjährigen Sohnes ist Bäckereifachverkäuferin und im Dienstplan vormittags eingeplant. Ihr Sohn Arian besucht die städtische Kindertagesstätte im Immendahl in Duisburg. Er hat besonderen Betreuungsbedarf, „er ist schwierig”, erzählt die Frau. Sie habe das Problem gehabt, ihm verständlich zu machen, warum er eine ganze Woche lang nicht zu seinen Freunden in den Kindergarten gehen darf. Denn weil es in der ersten Streikwoche keine Notgruppe gab, musste Arian zu Hause bleiben. Folge: „Jetzt muss ich ihn wieder jeden Morgen überreden, hierhin zu gehen.”
Manuel Hauke betritt die Kindertagesstätte in Duisburg-Hochstedt um 14 Uhr. Er holt seine behinderte Tochter Ronja aus der Notgruppe ab. Was er vom Streik hält? „Er ist großer Mist.” Aus Sicht eines Vaters müsse er sagen, für seine Tochter könne er nicht mal eben eine Ersatzbetreuung organisieren. Und schon gar nicht bezahlen. „Ronja ist krank. Sie kann nicht sprechen”, berichtet er. Der Mann arbeitet bei Siemens als Kranführer, seine Frau ist ebenfalls berufstätig. „Wäre meine Frau nicht Erzieherin, hätte ich kein Verständnis für den Streik”, räumt er ein.
Wie lange Eltern in Nordrhein-Westfalen und im ganzen Land noch Verständnis aufbringen und Notgruppen akzeptieren müssen, ist unklar. Laut Verdi ist eine schnelle Lösung nicht in Sicht: „Nach der Sommerpause geht's weiter”, heißt es.